Interview

Musicboard-Chefin Katja Lucker: „Berlin ist immer noch ein Sehnsuchtsort“

Vor zehn Jahren wurde das Musicboard Berlin gegründet, seitdem hat die Stadt eine Institution, die Popmusik fördert. Wir sprachen mit der Musicboard-Chefin Katja Lucker über Lobbyarbeit, die erste Million und Gefahren, die über der Szene schweben.

Eröffnungsrede von Katja Lucker, Pop-Kultur 2022. Foto: Imago/Votos/Roland Owsnitzki

Katja Lucker: „Berlin hat immer Werbung mit uns gemacht“

Die Musicboard-Geschäftsführerin Katja Lucker wurde in Norddeutschland geboren und kam 1989 nach Berlin. Sie wirkte beim Aufbau der Kulturbrauerei mit, war Projektleiterin bei der RUHR.2010. Seit 2015 firmiert das Musicboard als landeseigene GmbH, es verteilt Fördergelder für popkulturelle Initiativen, festivals sowie Stipendien zudem ist es die Organisation des Pop-Kultur-Festivals, der Fête de la Musique und weiterer Projekte verantwortlich.

tipBerlin Katja Lucker, vor zehn Jahren wurde das Musicboard Berlin gegründet. Wie kam es zu der Entscheidung?

Katja Lucker Wir waren eine Gruppe von Menschen, die alle mit Musik zu tun hatten und haben untereinander immer gesagt, wir brauchen für den popkulturellen Bereich so etwas wie das Medienboard, das Fördergeld zur Verfügung hat und sich um Film kümmert. 

tipBerlin Dabei profitiert Berlin von der Musik- und Clubszene! 

Katja Lucker Genau! Berlin hat immer Werbung mit uns gemacht. Mit Clubs, Konzerten, dem Mythos Berghain, die Tourist:innen kommen deswegen hierher, die Szene bekommt aber immer mehr Probleme. Es gab damals schon die Clubcommission, die die Interessen der Clubbetreiber:innen vertritt. Da geht es um Awareness-Probleme, Diskriminierung und auch stadtpolitische Aspekte wie die Verlängerung der A100, die Clubs verdrängt. 

tipBerlin Die Clubcommission hat aber keine Fördergelder zu vergeben. Sie hatten ein anderes Konzept, oder?

Katja Lucker Ja, daher gab es Überlegungen, mit wem man deswegen in der Politik sprechen müsste. 2010 war Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister und Kultursenator und hatte mit Björn Böhning einen jungen Chef der Senatskanzlei. Der ist selbst Musikfan und hatte mit Tatjana Kaube eine engagierte Referentin und beide waren offen für die Idee. Wir haben uns also getroffen und für -unsere Themen lobbyiert. Es ging ums Geld. 

tipBerlin Und dann gab Ihnen Klaus Wowereit das Geld?

Katja Lucker Nicht sofort, aber es gab Interesse und vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011 holten wir uns von Wowereit das Wahlversprechen ab, dass, wenn er wieder ins Amt gewählt wird, er uns eine Million Euro zur Verfügung stellt und wir damit starten können. Das geschah. Anfangs wussten wir nicht genau, wie das Musicboard ausgerichtet werden sollte. Sollte es eher um Kunst gehen oder um wirtschaftliche Fragen? Mein Vorbild war die französische Musikförderung, und da stehen oft die Künstler:innen im Mittelpunkt. Deshalb waren mir Stipendien und Auslandsresidenzen wichtig.  

Katja Lucker: „Die halbe Stadt wollte das Musicboard leiten“

tipBerlin Wussten Sie, dass Sie Geschäftsführerin werden?

Katja Lucker Gar nicht! Die halbe Stadt wollte das Musicboard leiten, ich kam damals von der RUHR.2010 und habe mich für das Projekt, das ich mitentwickelt habe, ganz regulär beworben und bekam schließlich den Zuschlag. Dann wurde es ernst, die Million fürs erste Jahr kam, ich habe Büroräume in der Alten Münze besorgt und konnte die ersten Leute einstellen. Im ersten Jahr entwickelten wir die Förderprogramme, Stipendien, Festivalförderung. Auch die Clubcommission und die Berlin Music Commission hat das Musicboard finanziell unterstützt.

tipBerlin Welche Künstler:innen, Bands und Projekte wurden konkret vom Musicboard noch gefördert?

Katja Lucker Wir fördern im Jahr mehrere hundert Künstler:innen, Projekte und Veranstaltungen und haben eine tolle Bandbreite an Genres, von Hip-Hop, Metal, Afropop bis Folk und House. Viele unserer ehemaligen Geförderten haben an Sichtbarkeit gewonnen und konnten sich nachhaltig in der Musikszene etablieren – ich denke da zum Beispiel an Künstler:innen wie Planningtorock, Gurr, Ebow, Isolation Berlin oder Wayne Snow. 

tipBerlin Außerdem organisieren Sie das Pop-Kultur Festival.

Katja Lucker Das begann 2015 und war nicht unsere Initiative. Die Senatskanzlei kam dann auf uns zu und sagte, dass wir jetzt auch die Berlin Music Week organisieren sollten. Daraus ist dann das Pop-Kultur Festival entstanden, mit der ersten Ausgabe 2015 auf dem Gelände des Berghains, und seit 2018 organisieren wir für die Senatsverwaltung für Kultur auch die Fête de la Musique. Mit all diesen Entwicklungen wurde unser Etat erhöht und mittlerweile sind wir eine Institution mit neun festangestellten Mitarbeiter:innen, einem Titel im Haushalt, weiteren Mitteln aus Kooperationen und unter dem Strich einem Jahresbudget von etwa sechs Millionen Euro.

Katja Lucker: „Das Musicboard ist eine Erfolgsgeschichte“

tipBerlin Damit hat sich in den zehn Jahren das Budget versechsfacht. Eine Erfolgsgeschichte?

Katja Lucker Ja, das Musicboard ist eine Erfolgsgeschichte. Wir werden oft von anderen Bundesländern – oder auch aus dem europäischen Ausland – angefragt, die wissen wollen, wie man solche Strukturen aufbaut. Mittlerweile gibt es zum Beispiel das PopBoard NRW, das ich gerne beraten habe. Dafür waren wir ein bisschen die Blaupause. Aber viele Einrichtungen, die in Deutschland Popmusik fördern, sind immer noch nicht gut genug ausgestattet. Berlin ist da sicherlich eine Ausnahme.

tipBerlin Das Musicboard hat Berlin als Pop-Standort in den letzten zehn Jahren geprägt, wie sehen Sie in der Hinsicht die Zukunft der Stadt?

Katja Lucker Im europäischen Vergleich gibt es kaum eine Metropole, die so viele Orte hat. Noch, muss man sagen. In London etwa hat die Gentrifizierung heftig zugeschlagen, viele Clubs mussten schließen. Uns droht das auch, die Gefahr schwebt über der Stadt. Doch was Berlin ausmacht, ist die Internationalität, allein für unser Stipendienprogramm haben wir über 800 Bewerbungen bekommen, die Menschen leben alle hier, kommen aber aus der ganzen Welt. Berlin ist immer noch ein Sehnsuchtsort, die Leute wollen immer noch hier leben und arbeiten.

Kommende Musicboard-Veranstaltungen 2023: 

  • Party im Park: Das inklusive Fest zu 15 Jahren Handiclapped Freiluftkino Friedrichshain, 10.6., 15 bis 22 Uhr
  • Fête de la Musique In ganz Berlin, 21.6., fetedelamusique.de
  • Pop-Kultur Kulturbrauerei, 30.8. bis 1.9., pop-kultur.berlin

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