Der Straßenrapper Luvre47 erzählt auf seinem Debüt-Album „Herz“ von seiner harten Jugend in der berüchtigten Gropiusstadt, samt Freunden im Knast. So reflektiert gab’s das im deutschen Hip-Hop schon lange nicht mehr. Ein Gespräch mit dem vielversprechenden Stadtrand-Rapper aus der Neuköllner Großwohnsiedlung.
Luvre47 über Gropiusstadt: „Aus so einem Umfeld kannst du lernen, oder dich anstiften lassen“
Bis fast in den Himmel emporragende Plattenbauten und graue Hausfassaden bestimmten die Ästhetik der Gropiusstadt. Ein eigener Ortsteil im Berliner Süden. Mit der U7 sind es von dort nur gute zehn Minuten ins trendige Neukölln, und doch weht in der Satellitenstadt ein anderer Wind. Durch den ehemalig hohen Sozialwohnungsanteil entwickelte sie sich in den 80ern zu einem Rückzugsort für all jene, die woanders nicht mehr willkommen waren – oder sich schlichtweg die Miete nicht leisten konnten. „Hier lernt man Zusammenhalt. Das Beste aus dem zu machen, was einem gegeben ist“, meint Luvre47, der in der Gropiusstadt aufgewachsen ist – und auch heute noch dort lebt.
Auf seinem Debütalbum „Herz“ erzählt Luvre47 von seinem Erwachsenwerden in der berüchtigten Großwohnsiedlung, die sich stark von dem unterscheidet, was Menschen innerhalb des S-Bahnrings unter Berlin verstehen. Einem Ort, an dem man mit Geschichten konfrontiert wird, die andere nur aus Drama-Serien kennen. Geschichten über Kriminalität, Drogen und Knast. „Aus so einem Umfeld kannst du lernen, oder dich anstiften lassen, das Gleiche zu tun. Beides war schon der Fall in meinem Leben“, sagt Luvre47. Die wohl berühmteste Bewohnerin der Gropiusstadt Christiane F. wurde auch vom Viertel geprägt.
„Der Scheiß ist vergänglich, das weißt du“
Er selbst habe aber immer versucht rational abzuwägen, an welche Regeln und Grundsätze er sich halten will – und an welche eben nicht. Straftaten, die mehrjährige Haftstrafen nach sich ziehen, hat er lieber ausgelassen. „Warnschuss“, einer der ausdruckstärksten Songs des Albums, handelt davon, dass das bei einigen seiner Freunde anders aussah. „Jetzt acht Quadratmeter / Familie ist sprachlos“. Die Geschichten auf dem Album sind auch die Geschichten einer Gesellschaft, die keine wirkliche Antwort auf die Probleme findet, die sie produziert; und mit denen Luvre47 von früh an konfrontiert war. Das Gefängnis als Ort der Resozialisierung? Der Rapper ist da kritisch: „Ich habe schon ein paar Leute rein- und rausgehen sehen, die meisten waren danach aktiver als vorher.“
Der nicht nur im Deutschrap grassierende Materialismus, in ihm aber in besonderer Weise durch teure Klamotten, Sportwagen und Goldketten verkörpert, kann Menschen dazu bringen, Sachen zu tun, die sie gar nicht tun müssten. „Bruder, streb nach Glück, nicht nach Reichtum / Der Scheiß ist vergänglich, das weißt du“ dichtet Luvre47, der schon oft miterlebt hat, wie die Aussicht auf schnelles Geld Menschen in den Abgrund geführt hat. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass es gar nicht so einfach ist, sich dem gesellschaftlichen Konsumrausch zu entziehen: „Grob formuliert, ist man ja eigentlich 24/7 vom Kapitalismus umgegeben und wird überall mit Werbung zugebombt, sodass man sich am Ende zur genau gleichen Marionette macht – auch wenn man es nicht feiert.“
„Herz“ von Luvre47: Wut und Melancholie
Während woanders dem Konsum auf legalen Wegen gefrönt wird, bleibt für viele in Luvres Viertel nur der Weg in die Kriminalität, wenn sie in den gleichen Genuss von Luxusgütern kommen wollen wie die medialen Vorbilder. Vielleicht ist es dieses Bewusstsein, aufgrund dessen Luvre47 in seiner Musik auf die sonst szenetypische Protzerei mit materiellen Gütern weitestgehend verzichtet.
Chancen-Ungleichheit und Perspektivlosigkeit können zu einer Menge Wut führen. Luvre47 hat das erlebt. Und so ist es nur konsequent, dass das Album auch ziemlich wütend klingt: Klassischer Straßenrap, aber mit einer großen Portion Selbstreflexion. In einigen Songs schlägt die Wut aber auch in Melancholie um, zum Beispiel, wenn es auf „Mom“ um das zeitweise angespannte Verhältnis zur Mutter geht. Auch dass der titelgebende Track „Herz“ einen ruhigeren Ton einschlägt, ist kein Zufall. Auf seinem Debütalbum nun zeigt sich Luvre47 deutlich persönlicher als bisher.
Sogar ein echtes Liebeslied hat es auf das Album geschafft, zumindest auf die Deluxe-Version: „Kein Bock”. Entstanden ist der Song zusammen mit der ebenfalls gerade an ihrem Debütalbum arbeitenden, aus Westend stammenden Sängerin Paula Hartmann, die mit ihrem melodischen Indie-Pop gerade für erste Furore sorgt. Zusammen mit Luvre47 erzählt sie von jenen verliebten Tagen, an denen man sich Ruhe von der hektischen Außenwelt wünschend mit seinem Date vom Trubel absondert, um Zeit und Raum zu vergessen. Die Stimmen der beiden harmonieren dabei so gut miteinander, dass klar ist: It’s a match!
„Alles wonach die streben, hat bei uns keinen Wert gehabt“
Ansonsten verzichtet Luvre47 auf seinem Album aber auf Features, auch weil er genervt von Künstlern ist, die nur miteinander kooperieren, um sich gegenseitig die Fans zuzuschieben. Andere Überlegungen haben aber auch eine Rolle gespielt: „Auf meinem Debütalbum wollte ich am Ende für mich selbst stehen.“ Das ist ihm gelungen.
Die dreizehn Songs der Standard-Version (die in der Deluxe-Version bald um eine Handvoll weitere Tracks ergänzt werden soll) gewähren einen tiefen Einblick in das Leben von Luvre47, in das Aufwachsen in der Gropiusstadt, die so gesehen als permanente Kulisse für das Album fungiert. In ihr verbrachte Luvre47 eine Jugend, in der die gesellschaftliche Außenseiterrolle zur Festigung einer eigenen Identität diente, die sich von der Mehrheitsgesellschaft abwandte. „Alles, wonach die streben, hat bei uns keinen Wert gehabt / Weil dieses Leben ist von deren viel zu weit entfernt.“ Luvre47 selbst, so erzählt er, hat viel Zeit in Subkulturen verbracht, in denen er sich ausleben und ausprobieren konnte.
Luvre47 etabliert sich mit „Herz“ endgültig in der Deutschrapszene
Mit seinem Debütalbum wird sich Luvre47 nun endgültig in der Deutschrapszene etablieren. Ein unbekanntes Gesicht ist er dort eh schon länger nicht mehr. Schon vor über fünf Jahren veröffentlichte er erste Songs auf Youtube. Seitdem erweiterte er seine Diskographie, die inzwischen ganze fünf EPs umfasst, kontinuierlich.
Warum er sich mit seinem Debütalbum so viel Zeit ließ? „Ein Album hat für mich noch einmal einen besonderen Stellenwert”, sagt er. „Da war es mir wichtig, dass das ganze Drumherum wirklich stimmt. Das war jetzt gegeben.“ Er schiebt hinterher, dass er auch mental auf dem Level sein wollte, auf dem er heute ist, um persönlichere Themen in seiner Musik ansprechen zu können. Gerade weil die Symbiose aus Wut und Melancholie, aus Straßenrap und Emotionen so gut funktioniert, ist es ein wenig schade, dass keiner der Songs über mehr als zwei Strophen verfügt – und sich die einzelnen Tracks im Aufbau generell sehr ähnlich sind. So macht sich über die Albumlänge hinweg doch etwas Monotonie breit, die mit etwas mehr Mut vermeidbar gewesen wäre.
Die Perspektive, die uns Luvre47 auf seinem Debütalbum „Herz“ eröffnet, ist dennoch nicht nur ihrer Thematik wegen spannend, sondern auch in ihrer musikalischen Verkleidung absolut hörenswert. So reflektiert hat schon länger kein Berliner Straßenrapper seine Herkunft, sein Aufwachsen und seine Taten musikalisch thematisiert. Zugleich schafft Luvre47 einen Sound, der einem das Leben am südlichen Stadtrand näherbringt, auch ohne dass man jemals soweit mit der U7 rausgefahren wäre.
- Luvre47 „Herz“ (Luvre47/Columbia/Sony)
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