Musik

Magic Island: Pop zwischen Hanffarm und Neuköllner Einschusslöchern

Schon merkwürdig, dass Musik, die unter „Magic Island“ – auch und besonderds auf dem neuen Album „So Wrong“ – läuft, ausgerechnet eng mit Kellern verbunden ist. Orten, die wirklich nicht einmal im Kinderspiel mit irgendwelchen Utopien aufgeladen, sondern einfach nur unheimlich sind, nach Muff, Schimmel, Heizöl und 20 Jahre alter ungenutzter Campingausrüstung von vor drei Mietergenerationen riechen. Unser Autor Steffen Greiner stellt die Künstlerin vor.

Magic Island im Späti-Cybercafé. Foto: Elena Peters Arnolds

Magic Island: Zwei Blocks auf der Weichselstraße stehen im Zentrum des neuen Albums

2019 zog Magic Island auf dem Pop-Kultur-Festival mit ihrer Adaption von Dantes „Göttlicher Komödie“ das Publikum für eine immersive Performance zu sich in den Gewölbekeller der Kulturbrauerei hinab. Auch ihr neues Album entstand in einem Keller, auf der Weichselstraße. Ihr altes Studio hat die frühere Berliner Underground-Rap-Ikone Massaka 36 aufgebaut. „Er hatte eine Marihuana-Farm dort unten und feierte riesige Partys. In den Wänden sind noch Schussspuren zu erkennen. Und dann haben wir das übernommen, um dort Dream Pop aufzunehmen“, sagt Emma Czerny, die Frau, die sich Magic Island nennt.

Wieder solche Neukölln-Geschichten. Zwei Blocks auf der Weichselstraße stehen im Zentrum ihres neuen Albums, es ist ihr zweites. Schon „Like Water“, ihr Debüt von 2017, machte sie zur Pop-Queen der Sonnenallee, gleichzeitig glamourös und abseitig. Nun thematisiert das neue Album „So Wrong“ tatsächlich, was sich im Kiez ereignet, nicht als Szene-Folklore, sondern auch als Details aus dem Alltag in politischer Frustration. „Als ich nicht mehr um die Welt flog, um überall Konzerte zu spielen, wurde meine Nachbarschaft zu einer neuen ganzen Welt. Der Raum hatte eine neue Bedeutung, als die Welt kleiner wurde, ich begann Dinge zu sehen, die ich vorher nicht wahrnahm.“
Magic Islands Musik hatte bei aller Dream-Pop-Affinität immer eine düstere Schlagseite, einen Blick für die Gesamtscheiße. Der sich über das Jahr, in dem das neue Album entstand, noch verstärkt hat. Was vielleicht eher am Jahr als an Czerny liegt.

„Baut doch euer Studio hier im Keller, for free.“

Straßenszenen, Drogendeals, Freund:innen im Knast, Ungerechtigkeit, Kapitalismus, Polizeisystem, „es sind interessante Zeiten, die wir überleben“, lacht sie, es klingt gar nicht so gequält. „Aus dem Studio mussten wir dann raus, wegen, na klar, der Gentrifizierung. Aber dann hat die Bar nebenan uns gesagt: Baut doch euer Studio hier im Keller, for free. Das ist der Geist der Community hier!“ Oder auch: Planungsbüro ersetzt Dream Pop ersetzt roughen Rap, genau das ist doch auch der Geist der Gentrifizierung – wer das Wort kennt, ist schon Teil des Problems. Die Aufnahmen entstanden dann während der Lockdowns, und jeden Abend, wenn Czerny und ihr Produzent Phong das Studio verließen, schlug ihnen die Einsamkeit entgegen.

Jener Phong ist neu im kooperationsfreudigen Magic-Island-Kosmos, ein HipHop-Produzent, der des Hip-Hops müde wurde. Czerny lernte ihn bei Aufnahmen zu einem Feature auf dem Rap-Track eines Freundes kennen. „Zusammen Musik machen ist wie eine Romanze, man braucht einen Vibe, sonst macht es keinen Spaß“, sagt sie. Der scheint zu stimmen, die beiden planen bereits ein Folgeprojekt, das noch mehr, noch unapologetischer in den Mainstream-Pop geht: Hits, Hits, Hits.



Dass „So Wrong“ so deutlich in Hip-Hop und R&B schwimmt, ist nicht dem Produzenten geschuldet, sondern vor allem Czernys musikalischer Biografie. Ihre musikalischen Anfänge liegen nämlich nicht nur in kindlicher Chor-Erfahrung und Klavierunterricht. „Als ich 13 war, hörte ich ständig das Album ‚Purple Haze‘ von Cam’ron. Und wenn ein fettes Sample in der Hook lief, dachte ich immer: Das will ich sein! Ich möchte die Sängerin sein, die die Hooks in Rap-Songs singt. So habe ich mit dem Singen angefangen.“ Mit einem Track wie „Give N Take“, der klingt wie ein vergessenes Juwel des Pop-Wunderjahres 1998, schreibt sie sich nun quasi rückwirkend in diese Sound-Geschichte ein.

Techno-Menschen in der Kunstwelt

Ihre musikalische Freiheit fand sie erst viel später und genauso wie ihre persönliche Freiheit: in Berlin. Vor neun Jahren zog sie hierher, zuvor lebte die Kanadierin einige Zeit in Breslau, auf den Spuren ihres polnischen Vaters. Ein Wochenende zu Besuch an der Spree sorgte dafür, dass sie bald auf Dauer blieb. Und auch stets in ihrem Apartement in Neukölln, damals Randbezirk, heute Zentrum. Das gilt vielleicht auch für ihre Rolle in der Berliner Szene. Zu Beginn orientierte sie sich weniger in der damals richtig durchstartenden DIY-Pop-Szene von Neukölln, sondern in die Kunstszene. „Das gehört zu den schönsten Seiten von Berlin, dass die Disziplinen sich kreuzen, Techno-Menschen sind auch in der Kunstwelt unterwegs, Menschen aus dem Pop in der Performance-Szene …“

Dabei bleiben, bei aller Cross-Szene-Utopie, die Elemente oft genug eigenständig. So eigenständig wie die Bestandteile, die in Magic Islands Musik zusammentreffen, ohne sich ineinander zu verrühren. Das Gefühl von Old School grenzt an das Gefühl von tiefer Zeitlosigkeit und lässt alles ganz postmodern strahlen. Was den Klang zusammenhält? Ihre Stimme, sagt Emma Czerny. Und eine gewisse Rohheit, die sich auch dann nicht auflöst, wenn sie ihre Stücke in die Wolken entschwinden lässt. Und erst recht nicht, wenn sie auf den ganz großgeschriebenen POP zielt. Ist das eigentlich schwer, angesichts der technischen Möglichkeiten, überhaupt noch so rough zu klingen? „Für mich ist es hart, den LoFi-Sound hinter mir zu lassen, weil ich ungeduldig bin. Immer, wenn ich was produziere, räume ich das nicht auf“, lacht Magic Island.

Magic Island als Pailletten-Prinzession. Foto: Iga Drobisz

Diese Weirdness (man muss sie nicht wie Czerny selbst „Ehrlichkeit“ nennen) tut auch „So Wrong“ gut.„So Wrong“, das impliziert natürlich, Stichwort verrühren, dass es auch ein „So Right“ gibt, einen Gegenpol. Und tatsächlich: Während im Stück „So Wrong“ über den Verlust einer Beziehung getrauert und Einsamkeit und Lethargie verhandelt wird, ist der Anti-Titeltrack eine Hymne auf die Unabhängigkeit: „So good, so right, I’d rather be alone tonight“, singt sie. Zwei Seiten einer Medaille. „Es war eine schwere Entscheidung, das Album ‚So Wrong‘ und nicht ‚So Right‘ zu nennen,“ angesichts der Dualität auf dem Album, in der Ästhetik und der Stimmung. „Und wir überlassen es den Hörer:innen, zu dekonstruieren, was falsch ist. Alles ist abhängig von der Wahrnehmung. Was sind deine Werte, deine Perspektiven?“ Was angesichts dessen, dass der aktuelle Diskurs eher Eindeutigkeiten einfordert, beinahe mutig ist.


Vielleicht ist dieser Diskussionsvorschlag ein Geschenk an die Gemeinschaft, aus der Magic Island ihre Inspiration zieht. Womöglich sollte man einmal darüber reden, in den Spätis und Kneipen mit neuen Besitzer:innen und in den Kellern, die dort, wo Emma Czerny lebt, doch einmal voller Utopie gesteckt haben. Wenn das eines Tages wieder geht.

Bis dahin bleibt die Weichsel-Community eine virtuelle. Statt eines Release-Konzerts wird es eine Ausstellung im Stadtraum ihres Kiezes geben, 14 befreundete Künstler:innen aus allen Sparten haben die 14 Tracks des Albums auf ihre Art multimedial gestaltet. Über QR-Codes kann dann jeweils ortsspezifisch der Raum via Phone mit Kunst und Musik gefüllt werden – eine gutes Szenario, ahnt man schon, für neue Geschichten.

Magic Island: „So Wrong“ (Mansions and Millions)


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