Magro zählt zu den spannendsten Drummern Berlins. Was macht der Typ so besonders auf seinem schwindelerregenden Debüt „Trippin“? Wir haben uns die Platte intensiv angehört, um das zu klären – und ihn am Mauerpark getroffen, um zu schauen, wie der Typ hinter den krassen Drums im echten Leben so drauf ist.
Obwohl dichter Regen auf den etwas trist daliegenden Kiesweg am Mauerpark prasselt und laut vorbeidonnernde Trams und Lastwägen das unbequeme Nasskalt zu allem Überfluss aus den breiten Pfützen zurück in die Luft spritzen, lächelt Magro ins ausladende Grau. Mit schmalem Basecap auf dem Kopf, stylischer Brille auf der Nase und frühsommerlichem Blouson weist der Berliner Drummer und Produzent schnell den Weg durchs Wetter-Chaos zu der Trockenheit spendenden Markise seiner Stamm-Imbissstube. Anders als auf dem Coverfoto seines Debüt-Albums „Trippin“ wirkt der 31-Jährige in persona keineswegs introvertiert, sondern erzählt mit wärmendem Kaffeebecher in der Hand und unbeirrt vom vorbeirauschenden Straßenlärm davon, wie das mit ihm losging – und wo er jetzt stehe: „Ich komme aus einer Musikerfamilie und bei uns lagen immer Instrumente rum. Als Kind habe ich häufig zum Klavierspiel meiner Mutter getrommelt und gesungen.“
Magros Debüt „Trippin'“ ist besonders und schwindelerregend
Aufgewachsen in der Nähe von Stuttgart, entschloss sich Magro nach der musikschulischen Ausbildung an Klavier und Schlagzeug für ein Studium der Jazz-Drums in Mainz. Nachdem er schon zu Jugendzeiten in verschiedenen Bands gespielt hatte, begann für ihn dort die Suche nach dem eigenen Stil, die er nun schon seit einigen Jahren in Berlin fortsetzt. „Ich finde es langweilig, Stücke nach dem klassischen Baukasten Strophe/Refrain/Bridge und so weiter zu machen. Ich stehe drauf, einzelne Elemente und Stilmittel herauszunehmen und die als Ankerpunkte für etwas Neues zu setzen.“ Zu hören war dieser explorative Ansatz zwar schon auf den Tonträgern seiner früheren Live-Jazz-Kombo „The Ropesh“, doch Magros jetziger Solo-Sound hebt sich noch einmal deutlich von den eher avantgardistischen Sphären des Quintetts ab. Vor allem durch seinen eigenen Einstieg ins Producing ist in den letzten Jahren ein elektronischer, aber nicht weniger experimenteller Sound gereift.
Magro: Gut getimte Schläge aus dem Handgelenk
Mit einem schwindelerregenden Drum-Fill-In eröffnet der 31-Jährige sein Debüt-Album „Trippin“, um dann mit synthetisch-waberndem Vibraphon-Sound und gekonnt verstolpertem Hip-Hop-Beat den klanglichen Teppich für U.S.-Rapper TwizzMatic auszurollen. Der bedankt sich mit nasaler Stimme und taktübergreifenden Lines, die einem das Gefühl geben, man wäre in einem unveröffentlichten Kendrick-Lamar-Song gelandet.
Doch auch diese Assoziation wird nach kurzer Zeit von dem schnellen, aber sanft angespielten Solo des renommierten Jazz-Gitarristen Kurt Rosenwinkel abgelöst, der sein Instrument wie eine hektische Geige über tief brummende Bässe jagt. Der Titelsong bereitet gleich zu Beginn auf das vor, was folgt – nämlich ein ständiges Spiel mit Erwartungen und der konstante Bruch mit gewohnten Formen. „Ich versuche auch beim Producing kreativ meinem Gehör zu folgen. Das ist für mich die Verbindung zum Jazz. Denn der lebt davon, was man im Moment hört und fühlt.“
Immer wieder wiegen einen bei Magro Synth-Schichten zunächst durch repetitive Sequenzen in Sicherheit – und dann wird man doch vom akustisch eingespielten Schlagzeug wieder in sphärische Gefilde fortgetragen. Magros Drumming bestimmt dabei die Richtung der Stücke, ohne zu sehr im Vordergrund zu stehen. Der feine Techniker bleibt überwiegend in 4/4-Takten, die er aber zwischen den lauten, beat-tragenden Akzenten virtuos mit leise gespielten Schlägen auf der Snare anreichert – sogenannten Ghost-Notes. Wichtig für den unaufdringlichen, aber prägnanten Drum-Sound ist auch das gekonnte Wechselspiel aus kleinen, schnellen Fingerbewegungen und gut getimten Schlägen aus dem Handgelenk, mit denen er gerne auch leicht verzögerte Akzente auf den rauschend ausklingenden Becken setzt.
Von New York nach Berlin – was Magro in die Hauptstadt bracht
Die so entstehenden Klangwelten erinnern vor allem an den experimentellen R’n’B-Jazz von Künstlern wie Robert Glasper und Drummer Chris Dave aus den Vereinigten Staaten. Auch Berührungspunkte mit dem kalifornischen Produzenten Flying Lotus klingen etwa im Interlude „Conscious 2“ an. Eine Ähnlichkeit, die Magro gar nicht erst von der Hand zu weisen versucht. „Die meiste Musik, auf die ich stehe, kommt eben aus den U.S.A. Und auch das Drumming war immer geprägt von U.S.-Künstler:innen“.
Seine Leidenschaft für die Hip-Hop-Kultur aus den Staaten führte ihn nach dem Studium für mehrere Monate nach New York City, wo er am liebsten gleich geblieben wäre, um irgendwann mit seinen Idolen zu spielen. Doch der dann eingelegte Zwischenstopp Berlin wurde für den Sound-Tüftler Magro, wie für viele seiner Kolleg:innen, schließlich zur neuen Heimat. „Man bekommt hier einfach alles! Es ist anders als New York, aber auf eine coole Weise. In Berlin machen viele Leute einfach ihr eigenes Ding, und ich glaube, es ist vor allem dieser Mindset, der mich hier beeinflusst.“
Der Einfluss der Berliner Szene lässt sich auch an der Liste der Features auf „Trippin“ ablesen. Neben TwizzMatic aus Philadelphia, den der Schlagzeuger über eine Instagram-Anfrage für den Rap-Part gewinnen konnte, treten vor allem in Berlin lebende, befreundete Künstler:innen auf. Während Sängerin Leona Berlin die Vocals zur Single „Running“ beisteuert, einem vorwärtstreibenden Song zwischen Jump’n’Run-Gaming Soundtrack und Neo-Soul, verarbeitet die Kanadierin XHO in „Black on Black“ ihre Wut über anhaltenden Alltagsrassismus auf einem experimentellen Elektro-Beat mit lang nachhallenden Percussions. Wie sehr sich Magro in der hiesigen Musikszene engagiert, wird spätestens klar, als er trotz des unnachgiebigen Starkregens sichtlich euphorisch über die neuesten Entwicklungen in der Hauptstadt referiert. So seien etwa Bekannte von ihm gerade dabei, sich enger mit der weltweit schwer angesagten Jazz-Szene Londons zu vernetzen.
In den Vocals Vibes von Björk
Die lebt bekanntlich davon, dass etablierte Stars und Newcomer ihre musikalischen Ressourcen bündeln und sich etwa auf Streaming-Plattformen untereinander verlinken. Einen solch kollektiven, weniger konkurrenzartigen Spirit sieht der Schlagzeuger auch in Berlin immer mehr aufkeimen und hat ihn selbst offensichtlich schon verinnerlicht.
Auch der Song „Silence“, mit dem sein Debüt abschließt, ist eine freundschaftliche Zusammenarbeit. Seine ehemalige Mitbewohnerin Ronja singt mit warmer, fast gehauchter Stimme über verträumte, bassige Synth-Orgeln und lässt so nach Kendrick-Anleihen und Chris-Dave-Drums auch noch Björk-Vibes mit einfließen. Ein erdendes Ufer, das Magro bewusst ans Ende seiner anspruchsvoll geschichteten Klangwelten stellt. „Der Song klingt anders als der Rest und ist genau deshalb das richtige Outro fürs Album. Denn davor kommt so viel Information und teils vielleicht auch etwas anstrengende Musik. Aber ich mag es, wenn Alben einen mit auf die Reise nehmen.“
Die klangliche Reise auf „Trippin“ offenbart sich vor allem nach mehrmaligem Durchhören. Immer wieder taucht ein neuer Klang im Hintergrund auf, den man beim ersten Sortieren noch nicht wahrgenommen hatte. Alsbald kann man sich auf die Ausfahrten der explorativen Stücke freuen. Der offensichtlich auch an regnerischen Feiertagen gut gelaunte Magro genießt es hörbar, sich mit seinem Schlagzeug durch die eigens produzierten, mystischen Synthie-Welten zu manövrieren ‑ und vergisst dabei zum Glück nicht, auch uns Zuhörenden den Weg zu weisen.
Magro: „Trippin“ (Henni Records/Hey!blau)
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