Rock 'n' Roll

Plattenladen Moon Dance: Die letzten Rocker ausm Wedding

Früher fuhren Weddinger Biker mit ihren Harleys vor und Rocker aus Ost-Berlin standen Schlange für Udo Lindenberg: Moon Dance ist der letzte Plattenladen auf der Müllerstraße und Relikt eines totgeglaubten Lebensgefühls. Plattenhändler Manfred Albrecht arbeitet hier seit mehr als 40 Jahren. Aus Liebe zur Musik.

Manfred Albrecht führt den Plattenladen Moon Dance seit 1981. Foto: Jana Vollmer

Plattenladen Moon Dance: Wer hört noch Rockmusik?

Wo gibt es sie noch, die richtigen Rocker? Ledrige Kerle in noch ledrigerer Kleidung, die mit der Harley auf dem „Highway to Hell“ fahren, ihre Mähnen mit Bandanas bändigen und filterlose Zigaretten mit dem Zippo anzünden. Während 60er-Blumenhemden, 70er-Schlaghosen, 80er-Bleached-Jeans, 90er-Sneaker und sogar 2000er-Tracksuits von den Toten auferstanden sind, bleibt die Truhe mit den Totenkopf-Jeansjacken und Schlangenlederstiefeln fest verschlossen. Synth-Pop-Verschnitte stürmen die Charts, Old School Hip-Hop sowieso. Zugegeben, Måneskin haben den Eurovision Song Contest mit harten Riffs und Rockstar-Posen gewonnen – zum Konzert in der Mercedes- Benz Arena fuhr trotzdem niemand mit dem Chopper vor.  Die italienische Band weiß es selbst: „Cool kids don’t like Rock, they listen to Trap and Pop“.  Zum Glück geht es nicht immer nur um die coolen Kids.

Im Wedding, jenem Berliner Bezirk, der 2019 vom legendären englischen Stadtmagazin „Time Out“ zum viertcoolsten Bezirk der Welt gewählt wurde, trifft man aber hin und wieder noch Typen in Lederkutten und AC/DC-Shirts. Oder solche, die das AC/DC-Shirt zumindest noch ironiefrei im Schrank hängen haben. An der Jukebox der Kiezkneipe Zum Magendoktor zum Beispiel, vorm Dönerladen am Leopoldplatz, garantiert aber im Moon Dance auf der Müllerstraße.

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Plattenhändler Manfred Albrecht: Vier Jahrzehnte hinter der Ladentheke

Seit 1981 führt Manfred Albrecht das Fachgeschäft für Rock und Metal. Sein langes Haar bindet er nach hinten, oder lässt es über die Schultern fallen, er raucht hinter der Ladentheke und bietet wie selbstverständlich eine an. Als der Berliner vor mehr als 40 Jahren zum Plattenhändler wurde, hieß der Laden noch Sun Dance und war eine von vier Filialen. Vertreter der Musikindustrie brachten Koffer voller Neuerscheinungen zum Anspielen mit, und „The Wall“ von Pink Floyd wurde in jenem Jahr zum (bis heute) weltweit meistverkauften Doppelalbum. „Das waren goldene Zeiten, überall gab es Plattenläden“, sagt Albrecht, „jetzt bin ich der letzte Mohikaner.”

Moon Dance ist der letzte Plattenladen auf der Müllerstraße. Foto: Jana Vollmer

Besonders gerne erinnert er sich an die Wendezeit: „Das war völlig irre, die kamen alle rüber und wollten ihre Lindenbergs kaufen“. Damals natürlich noch auf Platte. Die Leute standen auf der Müllerstraße Schlange, um eine neue LP bei Moon Dance zu ergattern – so wie heute für das neue iPhone vorm Apple Store am Ku‘damm. Irgendwann war es vorbei mit dem Vinyl und Albrecht rüstete auf CD um. Trotz des aktuellen Schallplatten-Revivals verkauft er weiterhin hauptsächlich CDs. „Die Stammkunden sind Sammler und viele alte Rocker stellen nicht mehr um“, sagt er. So wirkt Moon Dance mit den Classic-Rock-CD-Kisten und Metal-DVDs wie ein Museum. Oder wie die letzte Videothek in Streaming-Zeiten. Angestellte kann sich Albrecht schon lange nicht mehr leisten: „Ich mache das alleine, so lange es geht, aber es macht immer noch Spaß“.

Plattenladen Moon Dance: Bikerstiefel im Plattenladen

Ein Kunde betritt den Laden und grüßt den Plattenhändler. Natürlich beim Vornamen. Er wolle die CDs abholen, die Moon Dance für ihn importiert hat. Der Kunde trägt schwere Bikerstiefel. „Früher sind die Leute hier noch richtig mit Motorrad vorgefahren“, erinnert sich Albrecht, „das kommt nur noch selten vor.“ Generell sehe man den meisten Leuten ihre Rock-Leidenschaft nicht mehr an, „aber es geht doch darum, was man gerne hört und nicht, was man trägt“, sagt er. Eigentlich. Es bräuchte eine neue Rockband, die viele junge Leute abholt und auch modisch inspiriert. Die Stammkundschaft sei eher in seinem Alter, einige von ihnen kenne er seit Jahrzehnten.

Albrecht ist sechs Tage die Woche im Laden. Ansprechpartner, Berater und Kumpel für die Leute, die keine Lust haben, Musik im Internet zu bestellen oder gar nicht wissen, wie das geht.  Er plaudert gerne, empfiehlt Sammlerstücke von Axel Rudi Pell oder Epica. Natürlich geht es an der Ladentheke nicht nur um Rock und Metal, sondern auch immer wieder um den Wedding.

Der Mann in den Bikerstiefeln meckert über die Parkplatzsituation, Albrecht kennt die Diskussionen um die Veränderungen im Kiez aus erster Hand. „Hier werden überall Büroklötze gebaut, dann kommen so schicke Cafés und Restaurants an jede Ecke“, sagt er, „aber wenn du dir ‘ne Hose kaufen willst oder ‘ne Wohnung suchst, hast du auch nicht viel davon.“ Früher habe es mehr ausgefallene Geschäfte und Musikbars gegeben. Vielleicht muss der Wedding gar nicht kommen, sondern war schon immer da.

Moon Dance ist ein Relikt. Foto: Jana Vollmer

Trotzdem ist Albrecht nicht verbittert, er lacht fast nach jedem Satz. Laut und sehr tief. Er wohnt auch immer noch hier, direkt um die Ecke. „Ich bin auch mal rausgezogen für ‘ne Weile, aber das war mir dann doch nichts auf Dauer“, sagt er. Manfred Albrecht und der Wedding gehören einfach zusammen, genau wie Moon Dance und die letzten Rocker der Müllerstraße.

  • Moon Dance Müllerstraße 167, Wedding, Mo-Fr 10.30-14.30 Uhr, Sa 10-13 Uhr, Tel. 030/461 3907, online

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