Interview

Nina Hagen über „Unity“: „Ich bin nie Punk gewesen“

Nina Hagen, Berlins exzentrischste Musikerin und weltberühmte Ikone, hat mit „Unity“ nach gut zehn Jahren ein neues Album veröffentlicht. Wir sprachen mit der Diva über den Einfluss von Bertolt Brecht, politische Implikationen und ihren Ruf als „Godmother of Punk“.

Nina Hagen hat „Unity“ veröffentlicht. Wir sprachen mit der Musikerin. Foto: GABO

Nina Hagen: Rock’n’Roll-Kabarett als Grundlage

tipBerlin Frau Hagen, Ihr letztes Album liegt gut zehn Jahre zurück. Warum haben Sie mit dem Nachfolger so lange gewartet und wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen?

Nina Hagen Ich habe doch nicht gewartet! Ich war unterwegs mit einem innovativen Brecht- und Gospel-Programm. Wir haben Brecht-Texte mit der Band neu vertont und die habe ich gesungen, dazwischen gab es Stand-Up-Comedy. Dann wurde ein Buch über mich geschrieben, „Nina Hagen interpretiert Bertolt Brecht“, auf Französisch allerdings. Als Kind, mit elf oder zwölf, war ich ja schon Gast am Berliner Ensemble und bin somit Schülerin des Brecht-Theaters. „Dreigroschenoper“, „Mutter Courage“, „Der Aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, mit den ganzen großartigen Schauspielern, die es so nur in Ost-Berlin gab. Das ist die Grundlage für meine Bühnenpersona, dieses Rock’n’Roll-Kabarett, das ich immer aufgeführt habe.

tipBerlin Das neue Album heißt „Unity“, was bedeutet das für Sie, Einheit?

„im Geiste wurde ich schon auf meinem ersten LSD-Trip getauft“

Nina Hagen Eigentlich ist es nur eine Weiterentwicklung von meinem Christsein. Ich bin spät getauft, mit Wasser, im Geiste wurde ich schon auf meinem ersten LSD-Trip getauft. Der Titel ist aus meinem Herzen rausgesprungen. „Unity“ ist die Summe von allem was gut ist: Liebe, Frieden, Gerechtigkeit.

tipBerlin Wie läuft der Schreib- und Produktionsprozess für ein neues Album bei einer Nina Hagen ab?

Nina Hagen Gar nicht. Jedes Lied kommt allein daher. Es ist keine multiple Zwölflingsgeburt, das Album hat zwölf Lieder, aber jedes Lied kam allein in die Befruchtungsphase. Und dann kommen wir im Studio zusammen und schauen, was wir dem Lied so anziehen.

tipBerlin Bei dem Album hatten Sie prominente Geburtshelfer:innen, George Clinton, Bob Geldof, Liz Mitchell, Lene Lovich – wie kam es dazu?

Nina Hagen Das sind alles ganz geliebte Freunde von mir. Liz Mitchell habe ich bei „Ein Kessel Buntes“ kennengelernt, da war sie mit Boney M. zu Gast und ich hatte in der Zeit eine Revue mit Manfred Krug im Friedrichstadt-Palast, da wurde die Sendung aufgezeichnet. Da haben wir uns angefreundet. Als ich dann in den Westen kam, war Liz diejenige, die mir in ihrer Wohnung in Hamburg Zuflucht gewährte. Lene Lovich kenne ich auch aus den 1980er-Jahren, in Amsterdam haben wir mal einen Film mit Herman Brood gemacht, einen Song für die ethische Behandlung von Tieren geschrieben, „Don’t Kill The Animals“. George Clinton kenne ich aus den USA, als ich dort gelebt habe. Mit ihm habe ich einen Song über George Floyd gemacht, das war unsere Solidaritätsbekundung an Black Lives Matter. Alte Liebe rostet nicht.

tipBerlin Sie gelten als die Patin des Punks. Können Sie mit dem Begriff 2022 noch etwas anfangen?

Nina Hagen Das mit dem Punk, oh Gott! Ich war da doch die Stubenälteste. Ende 1976 bin ich aus der DDR raus und Anfang 1977 hat mich eine Freundin nach London geholt, deshalb bin ich dort gelandet und habe Ari Up, also Ariane Daniele Forster, die Sängerin von The Slits kennengelernt. Dann war ich sowas wie eine selbsternannte Gouvernante für Ariane und habe mich verantwortlich für ihr Wohlergehen gefühlt. Dass ihr keiner bei den kleinen Konzerten in den Punkclubs sexuell übergriffig wird. Ich habe sie geliebt, sie ist leider viel zu früh verstorben. Aber ich selbst bin nie Punk gewesen, eher Hippie. Ich war auch Glamrocker, ich habe Bowie und Bryan Ferry geliebt und mir Glitter in die Haare geschmiert. Das mit dem Punk ist ein Missverständnis.

tipBerlin Punk ist aber politisch. Mit „United Women of the World“ oder „Atomwaffensperrvertrag“ klingt das Album angesichts der aktuellen Situation sehr aktuell. Wie passen für Sie Musik und Politik zusammen?

„Als Rock’n’Roller bin ich kein Richter, sondern ein Schlichter“

Nina Hagen Wir solidarisieren uns auch in dem Video zu „United Women of the World“ mit den Frauen im Iran. Zu der Frage, wie Musik und Politik zusammenpassen, müssen Sie sich ja nur meine Person anschauen. Ich war schon immer ein politischer Mensch und weiß, dass die irdische Welt, in die ich hineingeboren wurde, eine politische Welt ist, wo sich alle streiten und Mauern bauen. Aber als Rock’n’Roller bin ich kein Richter, sondern ein Schlichter und möchte gerne verkrustete Haltungen durch meine Musik locker machen. Auch das bedeutet für mich „Unity“. Deswegen mache ich das alles, weil ich will, dass die Menschen, wenn sie meine Musik hören, sich freuen, ihre Euphorie behalten und mit einem guten Gewissen ins Bett gehen.

tipBerlin Vor zwei Jahren wurden ihre Amiga-Veröffentlichungen wieder aufgelegt. Wie schauen Sie heute auf ihr Frühwerk?

Nina Hagen Das ist die Zeit, in der ich musikalisch geprägt wurde. Auf meinem letzten Album habe ich einen Bob-Dylan-Song ins Deutsche übersetzt und diesmal musste ich nichts mehr übersetzen, von „Blowin‘ in the Wind“ gibt es ja schon eine sehr schöne Version von Marlene Dietrich. Diese Wiederveröffentlichungen bringen viele gute Erinnerungen hervor. In Ost-Berlin haben wir schließlich auch versucht, gute Musik zu machen und das hat funktioniert.

tipBerlin Sie haben an vielen Orten in der Welt gelebt, sind aber Berlin stets treu verbunden. Was bedeutet Ihnen diese Stadt?

„Der Raubtierkapitalismus macht der Stadt zu schaffen“

Nina Hagen Ich fühle mich als Teil von jedem Ort und jedem Land, wo ich schon mal sein durfte. Aber in Berlin ist mein Hauptwohnsitz, meine Meldeadresse und hier bezahle ich meine Steuern. Das bisschen Steuern von dem bisschen Geld, das ich als armer Künstler verdienen darf. Der Raubtierkapitalismus macht der Stadt zu schaffen, so wie der Kommunismus ist er nicht gut für den Menschen, für die Tiere und das Klima auch nicht. Herman Brood hat 1982 einen Song geschrieben „Berlin schmerzt“, das Leben ist Leid, aber ich versuche das Negative mit Positivem zu beantworten. Doch die Sache mit Berlin muss man nicht übertreiben, ich bin ja auch mal auf dem Land. Da gab es schon in der DDR Songs von mir darüber „Hey, wir fahren aufs Land!“

  • Nina Hagen Unity (Grönland)

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