Pop

Berlins wichtigste Musik-Newcomer 2022: Das tip-Orakel

Wer die vielversprechendsten Berliner Newcomer 2022 werden, steht in den Sternen – oder nicht? Unsere tollkühne Musikredaktion hat schon mal in die Glaskugel geschaut und behauptet, jetzt schon zu wissen, welche Acts in diesem Jahr groß auftrumpfen werden. Hier sind die Fakten zum Mitreden und Angeben bei der nächsten Party.


Berliner Newcomer 2022: Sofia Kourtesis

Die groovenden House-Tracks der Berliner Künstlerin gehen bald sicher nicht mehr als Geheimtipp durch. Foto: Christopher Bouchard

Vocal-House Angesichts fast einer halben Million monatlicher Hörer:innen auf Spotify gehen die groovenden House-Tracks von Sofia Kourtesis bald nicht mehr als Geheimtipp durch, auch nicht in ihrer Wahl-Heimat Berlin. International machen sie eh schon Furore: Die New Yorker Musikseite „Pitchfork“ überschlägt sich in Lob für ihre Tracks; der britische „Guardian“ bezeichnet sie als eine Künstlerin, die man unbedingt im Auge behalten müsse.

Sofia Kourtesis’ 2021er EP „Fresia Magdalena“ war und ist der perfekte Soundtrack, um in der Pandemie nicht in Schockstarre zu verfallen. Das EP-Finale „Dakotas“ ist mit seinen harten Bässen unverkennbar eine Hommage an den Sound von Berlin: düster, labyrinthisch, technoid. Insgesamt ist die elektronische Musik von Sofia Kourtesis aber, nicht zuletzt dank ihrer warmen Synthesizer und funky synkopierten Beats, deutlich heller als das Meiste, was so im Berghain aufgelegt wird. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn 2022 nicht endlich das heiß erwartete Debüt-Album von Sofia Kourtesis käme. (Stefan Hochgesand)


Luvre47

Frischer Wind im Straßenrap: Luvre47. Foto: The nasty foto

Strassenrap Die 47 war früher Bestandteil der Postleitzahl der Gropiusstadt im Berliner Süden. Dort, zwischen gewaltigen und manchmal auch erdrückenden Plattenbauten, ist nicht nur Christiane F., sondern auch der Berliner Rapper Luvre47 aufgewachsen. Eine Kulisse, die prägt und inspiriert. Luvre47 erzählt in seiner Musik mit der für Straßenrap typischen Intensität und Anschaulichkeit von gesellschaftlichen Missständen, ohne sich dabei in stumpfen Sprüchen und billigen Klischees zu verlieren. Und weil er dabei auch ein großes musikalisches Gespür beweist und viel Platz für die eigenen Emotionen lässt, könnte sein im Februar erscheinendes Debütalbum „Herz“ frischen Wind in den zuletzt etwas auf der Stelle tretenden deutschen Straßenrap bringen. (Benedikt Kendler)


Toonicy

Berliner Newcomer 2022: Toonicy beeindruckt mit Empathie und Selbstbewusstsein. Foto: Amina Weber

Melancolia-Trap Photoshoots, Balenciaga-Bags und Creolen, riesig, wie wohl auch die Pupillen ihrer Bewunderer:innen – Toonicy versteht das Rap-typische Spiel mit Flex und Fashion. Ganz in ihrem Metier ist die Berlinerin aber dann, wenn sie ihre eigene Geschichte erzählt. Auf Produktionen der Broke Boys zwischen Trap und R’n’B rappt sie in bezaubernden Melodien von mentalen Tiefphasen, emotionalen und finanziellen Struggles. Mit „Teufel II“ hat die Newcomerin im November zudem eine waschechte Ballade veröffentlicht: Untermalt von Streichern und Piano singt sie von einer gewalttätigen Beziehung, Manipulation und Demütigung. Klare Botschaft an alle Hörer:innen mit ähnlichen Erfahrungen: „Du bist nicht alleine.“ Mit Empathie und Selbstbewusstsein wird Toonicy womöglich noch zur Stimme einer Generation. (Till Wilhelm)


Berliner Newcomer 2022: Ski Aggu

Ski Aggu der neue Druff-Rap-King? Foto: @zeitfang_

Druff-Rap Ski Aggu findet keinen Job – doch das nur, weil er keinen Stress sucht (Eigenaussage). Wenn es gut läuft, braucht er aber bald auch gar keinen bürgerlichen Beruf mehr. Es ist nämlich sehr gut möglich, dass wir 2022 so einiges von dem aufstrebenden Rapper hören werden und seine Karriere so richtig steil geht. Könnte aber auch sein, dass er im Drogendelirium sein aktuell hohes Sendungsbewusstsein verliert. Aus seiner Liebe zu so ziemlich jeder bewusstseinserweiternden Substanz macht der liebevoll verpeilte Wilmersdorfer in seiner Musik nämlich wenig Hehl. Warum ein Album von dem sich mit einer Skibrille maskierenden Rapper ein echtes Highlight werden könnte? Weil er freche Lines und verspielte Beats zu einem ungemein lässigen Berlinsound braut. (Benedikt Kendler)


Lie Ning

Lie Ning zierte gemeinsam mit Luna im Sommer das Cover der tipBerlin-Queer-Ausgabe. Foto: Paul Max Fischer

R’n’B Wir vom tip lieben Lie Ning schon eine ganze Weile: Im Sommer 2021 hatten wir Lie Ning (gemeinsam mit der ebenfalls spannenden Berliner Newcomerin Luna) auf unserem Cover anlässlich des Themas Queerness. Schließlich verhandelt Lie Ning, geboren in Berlin, nicht-binär und PoC, in seinem komplexen und dennoch eingängigen Art-R’n’B Fragen von Identität auf eine unerhört cool-kluge Weise. Gerade erst mit seiner neuen Single „Can I Have This Dance“ zeigt Lie Ning, dass er aber auch Tanzboden kann. Langsam wird der Aufstieg von Lie Ning unaufhaltsam: Man munkelt, dass spät im Jahr ein Debüt-Album kommen soll – schließlich ward Lie Ning im Studio gesichtet mit dem Grammy-Preisträger Stephen Fitzmaurice, der schon Tracks von Sam Smith und von Alicia Keys den Feinschliff gab. (Stefan Hochgesand)


Cosma Joy

Berliner Newcomer 2022: Cosma Joy ist so viel interessanter als all die Zupfgeigenhansels auf Instagram. Foto: Martina Borsche

Soul-Folk Mit gerade einmal 20 Jahren scheint die deutsch-britische Singer-Songwriterin ihre musikalische Identität gefunden zu haben. Selbstbewusst zerbrechlich schwebt ihre engelsgleiche Stimme über minimalistisch vor sich hin plätscherndes Gitarrengezupfe. In ihren Texten behandelt sie die Herausforderungen des Erwachsenwerdens und Frauseins in unserer Gesellschaft. Die Folk-Einflüsse sind nicht zu überhören, allerdings ist Cosma Joy so viel interessanter als all die Zupfgeigenhansels, die mit Wehmutsgebabbel auf Instagram rumschluchzen. Dies liegt an den Arrangements, die auch mal losgrooven und plötzlich die Liebe zu Jazz und Soul spüren lassen. Wie es ihrer britischen Seelenverwandte Arlo Parks bereits 2021 gelang, könnte Cosma Joy nun 2022 groß durchstarten. (Lennart Koch)


Berliner Newcomer 2022: Donkey Kid

Steglitz Night Fever mit Newcomer Donkey Kid. Foto: ALFA Photo (Louise Amelie & Aljaz Fuis)

Schlafzimmer-Funk Disco never dies. Das zeigte zuletzt der 19-jährige Berliner Donkey Kid, der musikalisch problemlos aus seinem Heimatbezirk Steglitz ins New York der 70er reist. Aus dem Schlafzimmer feuert er mörderische Grooves ab, in denen die Gitarren noch richtig funken, die Bässe wippen und der Gesang so lässig herumstolziert wie schon lange sonst nicht mehr. Dann setzen 80s-Synthesizer ein und auch die 90s funkeln durch diese treibenden Kopfnicker-Beats durch. Im Musikvideo zu „Toy“ cruist der junge Produzent durch Berlin. Hoffentlich wird der Song ein Sommerhit und Steglitz zur Kulisse fürs 2022er „Saturday Night Fever“. Steglitz Night Fever. (Lennart Koch)


Emma Elisabeth

Emma Elisabeth wurde als „nächste Stevie Nicks“ bezeichnet. Foto: Nick Piesk

Psychedelic-Americana Emma Elisabeth Dittrich hat als Musikerin bereits verschiedene Phasen hinter sich: In den Nullerjahren spielte die Schwedin bei der Pop-Punk-Band Shebang, 2013 trat sie als Betty Dittrich mit quirligem deutschsprachigen Retro-Schlager beim Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. Inzwischen hat sich die Wahlberlinerin freigeschwommen. Auf ihrem zweiten Album „Some Kind of Paradise“, das sie Anfang 2022 unter dem Namen Emma Elisabeth veröffentlicht, huldigt sie mit schimmernden Synthies dem Pop der 80er-Jahre. Beflügelnde Hooks treffen auf schwermütige Nightdrive-Stimmung, versetzt mit Americana und Psychedelic. Schon anlässlich des Vorgängers „Melancholic Milkshake“ (2019) wurde Emma als „nächste Stevie Nicks“ bezeichnet. Hat uns die in Berlin nicht noch gefehlt? (Nina Töllner)


Finn Ronsdorf

Berliner Newcomer 2022: Finn Ronsdorf ist ein extrovertierter Pianoboy. Foto: Carlos Darder

Piano-Pop Mehr als eine Million Spotify-Klicks hat Finn Ronsdorfs Herzeleid-Ballade „Reaching For Cold Hands“ nun schon ergattert – ganz ohne Plattenfirma. Das New Yorker „Billboard Magazine“ schwärmt, Finn Ronsdorf sei in der Lage, ein herrlich kompliziertes Bild frischer Verliebtheit zu zeichnen. Das trifft es! Ob seiner neuesten Single „Bloodline“ ist nun auch die „Vogue“ neugierig geworden auf den extrovertierten Pianoboy, der schon für die queere Rap-Ikone Mykki Blanco an der Volksbühne Support gespielt hat. Klare Sache, dass Finn Ronsdorf 2022 international steilgehen will: Für Frühling sind schon Gigs in London gebucht. (Stefan Hochgesand)


Christin Nichols

Christin Nichols beweist, dass man nicht immer das abgeklärte „Fuck you all!“-Biest sein muss, um Stärke zu verkörpern. Foto: Kay Ruhe

Grrrl-Wave Als Teil des Duos Prada Meinhoff war Christin Nichols die Art Sängerin, mit der man am liebsten ein paar Bartresen ablecken gehen wollte. Aber erst mit ihrem Soloalbum „I’m Fine“  (VÖ 21.1.) beweist sie nun, dass man nicht immer das abgeklärte „Fuck you all!“-Biest sein muss, um Stärke zu verkörpern – sondern dass gerade Momente der Zartheit und des Zauderns eine feministische Ikone so richtig, richtig groß machen. Auch mit den 80er-Referenzen, die ihr immer wieder zugeschrieben wurden, geht Nichols leichthändig wie nie um: In „Malibu“ probiert sie den psychedelischen Pop-Appeal des „Paisley Underground“ an wie ein Sommerkleid; der New Wave in Songs wie „Today I Choose Violence“ klingt weniger übersteuert als zu Prada-Zeiten, aber immer noch – oder eher: jetzt erst recht – lässig as hell. (Julia Lorenz)


Berliner Newcomer 2022: Melvin Hein

Berliner Newcomer 2022: Melvin Hein muss hoffentlich bald nicht mehr im Café in Mitte arbeiten. Foto: Hieu Bui

Pop Gut vorstellbar, dass der 23-jährige Berliner (und gebürtige 1.000-Seelen-Dorf-Saarländer) Melvin Hein bald nicht mehr im Café in Berlin-Mitte jobben muss. Seine EP „Sakura“ klingt mit minimal-elektronischen Pop-Balladen sehr danach, dass er der beste Kandidat ist, um unser Berliner Troye Sivan zu werden. Ein Highlight der EP ist der Track „Koi Pond“, ein Duett mit dem ebenfalls tollen Berliner Newcomer namens Radøux. Gitarre spielt Melvin Hein seit er 13 ist; zwei Jahre später hat er learning-by-doing angefangen, Musik zu produzieren, inzwischen auch für andere Acts, etwa Taby Pilgrim. (Stefan Hochgesand)


Robin and the Goblins

Berliner Newcomer 2022: Queer-Pop-Hero Robin Romo. Foto: Cristina Salgar

Art-Pop Vorhang auf für Robin Romo! Das Popwunder erinnert mit seinen burgunderroten Skulpturlocken nicht nur optisch an Queer-Pop-Hero Patrick Wolf; auch an dessen barocker, verspielter Grandezza kann sich der Kopf des Projekts Robin and the Goblins messen lassen. Robin Romo, nichtbinäre:r Künstler:in aus Spanien, hat sich nach eigenen Aussagen erst in Berlin in aller Konsequenz mit der eigenen, oft schmerzhaften Geschichte als queere Person auseinandergesetzt – und verarbeitet diese nun, zu unser aller Glück, in märchenhaften Songs voller Schatten und Licht. (Julia Lorenz)


Mehr Musik

Auch über unsere Lieblingsalben haben wir schon abgestimmt: Hier sind die 12 besten Berliner Platten 2021: Von DJ Supermarkt bis Shirin David. Er ist eine Legende: David Bowie in Berlin – 12 Dinge, die man wissen sollte. Ihr seid Rap-Fans? Das sind 12 Berliner Rapper, die ihr kennen solltet. Die Berliner Hip-Hop-Geschichte ist lang und spannend: Eine Zeitreise in Bildern durch die Berliner Rap-Historie.

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