Popmusik

Robbie Williams in Berlin: „Extremen Ruhm übersteht keiner unbeschadet“

Robbie Williams feiert seine 25-jährige Solokarriere mit dem neuen Album „XXV“, das er in Berlin bei zwei Konzerten vorstellt. Wir sprachen mit dem englischen Superstar über Erfolg, Depressionen, Alter und andere Abgründe. Und begaben uns bei der Gelegenheit auf die Suche nach großem Pop aus Berlin.

„Ich war früher auch naiv“, sagt Robbie Williams im tip-Interview. Foto: Promo
„Ich war früher auch naiv“, sagt Robbie Williams im tip-Interview. Foto: Promo

Robbie Williams ist offensichtlich ein Langschläfer

Robbie Williams ist offensichtlich ein Langschläfer. Als sein Konterfei beim Video-Interview auf dem Bildschirm erscheint, lümmelt sich der Sänger nachmittags tatsächlich noch im Bett. Mit leicht zerzausten Haaren und freiem Oberkörper. Man sieht seine zahlreichen Tattoos. Unwohl scheint er sich in dieser Situation nicht zu fühlen, im Gegenteil. Er redet vollkommen entspannt über sich und sein Album „XXV“. Mit diesem Werk feiert er seine 25-jährige Solokarriere. Dafür hat er Klassiker wie „No Regrets“, „Come Undone“ oder „Strong“ neu aufgenommen. Mit dem niederländischen Metropole Orkest.

Das Ergebnis ist erwartbar: klassischer Charme, opulente Arrangements. Bei „Angels“, der kommerziell erfolgreichsten Robbie-Williams-Single aller Zeiten, schwellen erst die Streicher an, später stößt die Bläsersektion dazu. Von diesem Stück gibt es noch eine zweite Version – produziert mit jener Künstlichen Intelligenz, mit der 2021 Beethovens 10. Sinfonie vollendet wurde.

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Robbie Williams‘ Lieblingssong: „Feel“

Fragt man Robbie Williams nach seinem persönlichen Lieblingssong, dann kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „‚Feel‘. Ich bin wirklich stolz auf die Melodie und den Text.“ Deswegen freut sich der Künstler über die Popularität des Videos bei YouTube: „Es hat von all meinen Titeln die meisten Klicks bekommen, mehr als ,Angels‘.“ Kein Wunder: Zeilen, in denen der Musiker offenbart, dass er sich vor sich selbst erschreckt, sind noch immer zutiefst bewegend. Wenn man danach die neue Nummer „Lost“ hört, bleibt der erste Satz „I wake up, terrifying myself again“ direkt im Gedächtnis haften. Er scheint eine Fortsetzung von „Feel“ einzuleiten. Diese These begeistert den 49-Jährigen, er strahlt. Auf ihn, meint er, wirke „Lost“ wie eines dieser altmodischen Robbie-Williams-Stücke. Als der junge Musiker Oli Swan, den der Superstar via Instagram entdeckte, ihm die „Lost“-Akkorde schickte, holte die emotionale Atmosphäre Robbie Williams sofort ab: „Da kamen automatisch die traurigsten Momente hoch.“

Robbie Williams: „Als ich total verloren war, habe ich mich selbst medikamentiert“

Tatsache ist: Er weiß nur zu gut, was es bedeutet, aus dem seelischen Gleichgewicht zu geraten. Hat es in den vergangenen 25 Jahren viele Augenblicke gegeben, in denen Robbie Williams sich verloren gefühlt hat? Seine Replik fällt entwaffnend ehrlich aus: „Das war die meiste Zeit so. Ich habe nämlich einen sehr geschäftigen Geist, der mich leicht überwältigt. Oft grübele ich: Wie soll ich mit dem umgehen, was gerade in meinem Kopf passiert?“ Wenn ihn diese Gedanken zu überrollen drohten, betäubte er sich früher mit Alkohol und Drogen: „Als ich total verloren war, habe ich mich selbst medikamentiert.“ Funktioniert hat das logischerweise nicht, Robbie Williams glitt in eine Abhängigkeit ab. Doch jetzt ist er abstinent, seit mehr als 20 Jahren. Seine Familie erdet ihn. Die Verantwortung, die er für seine Frau Ayda Field und seine vier Kinder hat.

Das heißt allerdings nicht, dass seine persönlichen Probleme nun vom Tisch wären. 2022 hielt Robbie Williams bei der „Night of Discovery“-Gala in St. Tropez eine Rede. Er bekannte sich zu seinen Depressionen, zu seinen Zwangsstörungen, zu seiner Legasthenie. Als Süchtiger soll er sich geoutet haben, als Alkoholiker. Das dürfte Mut erfordert haben. Hat Robbie Williams seine Angst – auf Fotos von diesem Abend steht ihm seine Nervosität förmlich ins Gesicht geschrieben – überwunden, um sich für psychisch Kranke stark zu machen? Im Gespräch spielt er seinen Einsatz recht bescheiden herunter: „Ich habe einfach den Drang, das auszusprechen, was ich denke. Wenn das den Leuten hilft – großartig!“

„Ich hatte sehr viel Glück und Liebe meinen Job.“

Auf jeden Fall hat Robbie Williams mittlerweile begriffen, dass Erfolg, Geld und ein hoher Bekanntheitsgrad nicht automatisch der Schlüssel zum Glück sind. „Diesbezüglich haben die meisten Menschen falsche Vorstellungen, befeuert von ihrer Naivität“, erläutert er. „Ich war früher auch naiv.“ Bis er Anfang der 1990er-Jahre mit Take That in den Pophimmel katapultiert wurde, damals war er noch ein Teenager. Zunächst sei alles faszinierend gewesen, erinnert er sich: „Doch irgendwann kommt man an einen Punkt, wo das Ganze nicht mehr so wunderbar ist. Ich glaube, extremen Ruhm übersteht keiner unbeschadet.“ Dennoch möchte sich Robbie Williams nicht in die Riege der jammernden Popstars einreihen: „Ich hatte sehr viel Glück und Liebe meinen Job.“

Dementsprechend verschwendet er keinen Gedanken daran, beruflich etwas kürzer zu treten, wenn er im kommenden Jahr 50 wird: „Ich frage mich: Was bedeutet dieser Geburtstag eigentlich?“ Eine Antwort hat er nicht parat, jedenfalls noch nicht. Immerhin weiß Robbie Williams eins: Er will nicht auf der Stelle treten, sondern sich weiterhin vorwärts bewegen. Vielleicht sogar mit Take That: „Gegenwärtig gibt es zwar keine konkreten Pläne. Aber sofern es meine Gesundheit zulässt, würde ich gern mal wieder etwas mit Take That machen.“

Zunächst konzentriert er sich allerdings auf seine Solotournee. Ein Konzerttermin jagt den nächsten – obgleich Robbie Williams von sich sagt, er habe die Neigung, sich zu isolieren. Wie packt er es trotzdem, auf der Bühne vor Tausenden oder gar Zehntausenden aufzutreten? „Ich habe in diesem Moment die Verantwortung, viele Menschen gut zu unterhalten“, erklärt er. „Diese Verantwortung nehme ich sehr ernst. Unabhängig davon, wie es mir gerade geht.“

Auch die Shows in Berlin stehen unter dem Motto „Let Me Entertain You“

Somit dürften auch seine beiden Shows in Berlin unter dem Motto „Let Me Entertain You“ stehen. In dieser Stadt fühlt sich Robbie Williams von jeher wohl. Dort stellte er seine Alben „Escapology“ und „Intensive Care“ weltexklusiv vor. Überdies erzählte er vor mehr als zehn Jahren in einem stern.de-Interview, er habe eine Wohnung in Berlin. In der Nähe vom Checkpoint Charlie. Nichtsdestotrotz hat er wohl niemals eine so enge Beziehung zu der spröden Musikmetropole entwickelt wie etwa David Bowie oder Nick Cave.

In der Liste derjenigen, die eine Platte in den Hansa Studios aufgenommen haben, finden sich Depeche Mode und U2, doch kein Robbie Williams. Gut möglich, dass das seiner Boygroup-Vergangenheit geschuldet ist. Ein Teenie-Star passt halt irgendwie besser nach London als nach Berlin. Diese Stadt brachte schon immer eher Individualisten hervor. Je radikaler ihr Sound war, desto eher fanden sie internationale Anerkennung. Rammstein gelang als Vertretern der Neuen Deutschen Härte der Sprung in die USA. Ebenso tourten die Einstürzenden Neubauten mit ihren experimentellen Songs im Ausland. Marlene Dietrich baute sich als eigensinnige Diva eine Weltkarriere auf. Sie trug gern Hosenanzüge, als Sängerin begeisterte sie mit ihrer rauchigen Stimme.

Großer Pop aus Berlin: Rosenstolz. Foto: Olaf Blecker
Großer Pop aus Berlin: Rosenstolz. Foto: Olaf Blecker

Das heißt aber nicht, dass es überhaupt keinen Mainstream-Pop made in Berlin gibt. Ich+Ich alias Annette Humpe und Adel Tawil lernten sich in dieser Stadt im Frühjahr 2002 in einem Tonstudio kennen. Der Rest ist Geschichte: Zwei ihrer drei gemeinsamen Alben standen an der Spitze der deutschen Charts. Noch mehr Nummer-eins-Alben, nämlich fünf, können Rosenstolz vorweisen. Mit eingängigen Ohrwürmern wie „Liebe ist alles“ eroberten die Ostberlinerin AnNa R. und der Westdeutsche Peter Plate eine große Fangemeinde, nachdem sie 1991 in Berlin Rosen­stolz gegründet hatten.

Seitdem das Duo 2012 eine Pause auf unbestimmte Zeit eingelegt hat, arbeitet Peter Plate als Produzent, Texter und Komponist unter anderem für Sarah Connor. Er unterstützte die Sängerin, die seit vielen Jahren in Berlin lebt, bei ihrem ersten deutschsprachigen Album „Muttersprache“ und war auch an dem Nachfolger „Herz Kraft Werke“ beteiligt. Zum Beispiel an der Single „Vincent“. Sie schaffte es bis auf Platz neun der Singlecharts, während die beiden Platten die Charts anführten.

Eine wirkliche Überraschung war dieser Erfolg nicht. Schließlich stand Sarah Connor bereits 2001 mit ihrem Debütalbum „Green Eyed Soul“ auf Platz zwei der Charts, fortan tummelten sich all ihre Langspieler in den Top Ten. Damit ist die Sängerin wohl die Berliner Queen of Pop. Das würde sie nach Helene ­Fischer eigentlich als perfekte Duettpartnerin für Robbie Williams qualifizieren.

Text: Dagmar Leischow

  • Mercedes-Benz Arena Mercedes-Platz 1, Friedrichshain, Mo 20.2. und Di 21.2., 20 Uhr, online

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