Interview

Krautrock-Legende Roedelius: Statt Impfung will er „Asyl“

Der große Pionier der elektronischen Musik Hans-Joachim Roedelius legt mit „4 Hands“ ein neues Album vor. Denn auch mit 87 Jahren ist die Krautrock-Legende weiterhin musikalisch aktiv. Der Einfluss seiner avantgardistischen Klangexperimente, die vor allem in den Siebzigern unzählige Bands beeinflussten, ist unumstritten. Unser Autor Steffen Greiner wollte sich eigentlich mit Roedelius über Berlin unterhalten, musste aber wenig später feststellen, dass sich die politische Einstellung des Soundtüftlers im Gegensatz zu dessen Musik nicht abfeiern lässt. Ganz im Gegenteil: Mit fast 90 möchte der gebürtige Berliner Roedelius zurück in seine Heimatstadt ziehen, weil er um „Asyl“ wegen der österreichischen Impfpflicht bitten will. Aua!

Hans-Joachim Roedelius hat Pionierarbeit im Feld der elektronischen Musik geleistet. Seine politischen Aussagen sind allerdings weniger fortschrittlich. Foto: Votos-Roland Owsnitzki

Roedelius scheint ins andere Lager gewechselt zu sein

Das Zoom-Interview mit Hans-Joachim Roedelius lief dann doch ganz schön chaotisch. Wir sprangen in der Biografie zwischen den Jahrzehnten und Orten, ich lernte seinen Hund kennen und die kürzeste Kantate eines barocken Ahnen. Wir haben viel gelacht. Darum habe ich mich natürlich gefreut, dass mir Hans-Joachim Roedelius, Pionier der elektronischen Musik, mit dem man sehr schnell sehr freundschaftlich per „Achim“ ist, noch einmal eine Mail hinterherschickte.

Es ging ja viel hin und her, schreibt er, er wolle noch ein paar Dinge betonen. Zum Beispiel: die Leser:innen des tipBerlin auch bitte darüber zu informieren, dass er und seine Frau Martha in Berlin, seiner Geburtsstadt, vielleicht um Asyl ersuchen werden, wenn sich in Österreich, wo er inzwischen lebt, „der Hitlergeist noch weiter ans Licht“ wage durch „Verfassungsfeindlichkeiten“ wie die Impfpflicht. Der große Neuanfang sei in vollem Gange, schreibt Roedelius und wünscht mir gute Gesundheit. Dem bin ich also hiermit nachgekommen. Eine prägende Figur der jüngeren deutschen Musikgeschichte ist, so scheint es, auf sehr alte Tage ins andere Lager gewechselt, dorthin, wo man glaubt, hinter allem stecke ein böser Plan.

Roedelius und Cluster als Pioniere der elektronischen Musik

Eigentlich sollte es in diesem Text um Berlin gehen und seine Erinnerungen an die Stadt seiner Kindheit, Jugend und erster Schritte als Künstler. Und um ein neues Album, das Roedelius gemacht hat: „4 Hands“ heißt es, eingespielt mit dem US-Komponisten Tim Story. Mehr als 100 Alben hat Roedelius in seiner Laufbahn seit den 1960ern eingespielt. Die bekanntesten davon vermutlich in den 1970ern.

Kluster hieß die Band, die Roedelius 1969 in Berlin gemeinsam mit Conrad Schnitzler und Dieter Moebius gründete. Zumindest bis 1971, als sie begann, bereits ohne Schnitzler, sich mit „C“ zu schreiben – und international für Furore sorgte. Ein wenig mystisch, ein wenig ironisch, vor allem sehr experimentell: Noch vor Kraftwerk entdeckten Cluster die Macht der Repetition, von Loops und elektronischen Klängen. „Cluster 1“ von 1971 klingt noch immer unfassbar modern und überwältigend, ein Meilenstein in der Entwicklung der elektronischen Musik.

Zusammenarbeit mit Tim Story: „Es passt zu dem Weg , den ich gegangen bin“

Ein paar Jahre später sollten sie mit Brian Eno arbeiten, der parallel zur Produktion der Berliner Bowie-Alben zum Fan geworden ist. Auch sein melodischeres Projekt Harmonia ist bis heute bei Liebhaber:innen der elektronischen Avantgarde im Umfeld des Krautrocks legendär. Später sollte er collagierte Ambient-Sinfonien schreiben und Techno. Und auch eine dritte Variante seiner ersten bekannten Gruppe sollte es noch geben: Qluster, gegründet 2011. Conrad Schnitzler war da schon tot, Dieter Moebius verstarb 2015. Hans-Joachim Roedelius ist heute 87.

Doch auch seine jüngeren Auftritte an Orten wie dem HAU oder beim CTM atmen nicht den Geist der Nostalgie, sondern lassen einen musikalischen Forschergeist erahnen. „Ich arbeite nur noch mit den Interferenzen. Ich versuche rauszufinden, mit welcher Druckstärke ein Ton wie lange braucht, um auszuklingen, und was er macht im System, und im Anschlag des nächsten Tons die Bewegung zwischen den Tönen, die abläuft“, sagt er zu seinen aktuellen Ansätzen. „In dieser Interferenzerei spielen sich ganze Universen von Musiken ab, von klanglichen Verflechtungen.“

Hier sieht alles so idyllisch aus: Tim Story und Hans-Joachim Roedelius. Foto: Emily Ramharter

Ein Album wie „4 Hands“, für das Tim Story vor Jahren auf seinem Piano eingespielte Roedelius-Sequenzen zu Klangskulpturen erweiterte, das ist für ihn nunmehr die Suche nach Innerlichkeit, eine Meditation. „Ich bin schon still genug eigentlich nach all dem elektronischen Krach, den ich gemacht habe. Ich finde, das ist ein schöner Ausklang auch meines Lebens, das zu machen. Es passt zu dem Weg, den ich gegangen bin.“

Nazi-Propaganda: „Weil ich das machen musste, habe ich mich danach nie wieder zu etwas drängen lassen“

Der Weg beginnt 1934 in Berlin. „Wenn ich an Berlin denke, sehe ich mein Berlin, das Berlin, das keiner kennt, vor den Bomben. Vor allem sehe ich drum herum alles, die ganzen Seen, die Havel, die Panke. Berlin ist eine schöne Stadt, eine gute, um drin zu leben“, sagt er heute. Seit vielen Jahren wohnt er in Baden bei Wien, seit der Pandemie ist er nicht wieder in seine Heimatstadt gekommen. Als Jugendlicher hat er die Seen alle durchrudert, fast bis zur Ostsee ist er gefahren.

Ganz unbekannt ist er schon als Kind nicht, er taucht regelmäßig in Nazi-Propaganda-Filmproduktionen auf. „Verklungene Melodien“ heißt der erste dieser Filme, gerade vier Jahre alt ist er da. Vielleicht bezeichnend, dass so einer die Musik wirklich nicht aufgeben will. „Weil ich das machen musste, habe ich mich danach nie wieder zu etwas drängen lassen. Ich habe immer nur das gemacht, was ich wollte“, sagt er heute. Nach dem Krieg landet er im Ostteil der Stadt, desertiert, kommt in den Knast. Auf Bewährung entlassen, beginnt er, statt des erhofften Medizinstudiums, eine Ausbildung zum Krankengymnasten und Masseur. Als die Stasi ihm noch vor dem Mauerbau 1961 auf die Pelle rückt, flüchtet er in den Westteil. Hier hält er sich als Physiotherapeut über Wasser.

Roedelius kann auch mit 87 Jahren noch technisch mithalten. Foto: Imago/Gonzales Photo/Malthe Ivarsson

Club Zodiak am Halleschen Ufer: Ein künstlerisches Experimentierfeld

Einige Jahre später begegnet er Conrad Schnitzler. Vor Kluster gründeten die beiden bereits das Zodiak, einen Club am Halleschen Ufer, der in vielem vorwegnahm, wofür West-Berlin wenige Jahre später stehen sollte. Damals künstlerisch noch eher in einer verschlafenen Metropole, schuf 1967 ein Kollektiv um Schnitzler ein künstlerisches Experimentierfeld. Human Beings nannte sich die Gruppe, der auch Roedelius angehörte, bis er 1969 die Stadt verließ, um in Westdeutschland eine Musikkarriere zu verfolgen. „Wir waren ja am Übergang von den Fischen zum Wassermannzeitalter”, sagt er heute. „Der Wassermann sammelt Ideen ein. Wir haben Ideen aufgegriffen, die in der Luft lagen.“

Was heute in der Luft liegt, wird im Interview deutlich, als sich seine Frau Martha mit ins Gespräch einschaltet, um zwischen Lachen und Verzweiflung zu berichten, wie lange die Karriere ihres Mannes nun schon dauert, und wie viele Kisten zu sortieren sind. Also, für den Fall, dass sie Österreich verlassen müssen. Die Kinder sollen schließlich kein Chaos erben, wenn sie abhauen.

Verschwörungstheorien: Roedelius übersieht, dass er Teil einer rechten Bewegung ist

Moment: Da will der Roedelius, der dem Krieg, der NVA und der Stasi von der Schippe sprang, also heute vor einer harmlosen Impfung wegrennen. Beziehungsweise, nein, vor einer Autokratie, in seinen Augen. „Wir haben eine riesige Aufstandsbewegung, es sind Hunderttausende, die hier demonstrieren gehen“, sagt er. „Aber die Medien machen es schön klein. Die zeigen’s nicht. Das ist sowas von Verarsche“, macht er weiter. „Das Volk ist auf der Straße.“ Während Martha von nicht-anerkannten Covid-Antikörpern referiert, der Unterdrückung individuellen Denkens und Schwedenkräutern. Es geht, wie oft in solchen Situationen, sehr schnell bergab. „Die wollen uns entmannen, entfrauen”, sagt er, „wir werden demoralisiert, wir werden in die Entzweiung getrieben.“

Hans Joachim Roedelius wird mit seinen Verschwörungstheorien zum Teil einer rechten Bewegung. Foto: Imago/Chromorange

Interviews wie das mit Roedelius führte ich in den letzten Jahren immer wieder einmal, wie man schließlich auch im Alltag Gespräche zu führen hatte: Man kommuniziert im Vertrauen, dass beide Seiten vom gleichen Irrsinn ausgehen, wenn man darin übereinkommt, dass die Zeiten irre sind. Roedelius übersieht, dass er Teil einer rechten Bewegung ist, dass sein Begriff von Freiheit und Unabhängigkeit nur vordergründig ein solidarischer ist, hinter dem sich Egozentrik verbirgt.

Man muss es so klar sagen: Wer ins „Asyl“ will wegen einer Impfung, sich selbst gleichstellt mit Millionen flüchtender Menschen und das Verschwörungsnarrativ vom „Great Reset“ anbringt, weil eine globale Krise das Leben unvorhergesehen verändert, hat den Bereich des Rationalen verlassen. Als Künstler mag ihm dieser Zug gedient haben, als Mensch steht es ihm nicht wirklich gut. Also, klar, merci für den Tanz, Achim, aber schade, dass du heute auf einer anderen Seite stehst.

Gute Gesundheit wünscht er mir zum Abschied. Das wünsche ich ihm auch.

  • Roedelius & Story „4 Hands” (Erased Tapes)

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