Interview

Sam Vance-Law mit neuem Album „Goodbye“: Homo-Herzeleid und Prada

Der kanadische Neuköllner Sam Vance-Law hat mit seiner zweiten Platte „Goodbye“ ein queeres Break-Up-Album aufgenommen. Doch ist Homo-Herzeleid überhaupt anders als Hetero-Herzeleid? Wir haben den Musiker besucht und nachgehakt.

Sam Vance-Law mit neuem Album „Goodbye“: Trotz Herzeleid bleibt ein ansteckendes Lachen. Foto: Luka Godec

Sam Vance-Law mit neuem Album: Was hilft gegen Herzeleid?

Der Engel trägt Prada. Schwarze Prada-Lederschuhe. Aber letztlich wird auch das Luxus-Shopping Sam Vance-Law, den kanadischen Neuköllner von 34 Jahren und zudem Darling der deutschsprachigen Popkritik, nicht von seinem Herzeleid befreit haben. So wenig wie die fructosestarken Himbeeren und die nach portugiesischer Atlantiksonne schmeckenden Pastéis de Nata, die Leute von seinem Label Virgin Music bereitgestellt haben zur Versüßung des bitteren Themas während des Interviews im Obergeschoss eines chicen Kreuzberger Hinterhauses.

Nein, um sich durch das Herzeleid, den Emo-Schmodder durchzulavieren und wieder strahlen zu können, wie er es an diesem Nachmittag zum Glück oft tut, noch ansteckender als sein präsidentialer Landsmann Justin Trudeau, musste Sam Vance-Law schon diese, seine zweite Langspielplatte aufnehmen namens „Goodbye“. Mehr noch als bei seinem Kammerpop-Debüt, dem gefeierten „Homotopia“ voller wunderbar tragikomischer, plotgetriebener Story-Songs rund ums Schwulsein heutzutage, hat das Thema Sam Vance-Law diesmal wieder von selber heimgesucht: Kurz bevor „Homotopia“ 2018 erschien, machte sein Boyfriend Schluss mit ihm. Ergo: Therapie Trennungsplatte. 

Sam Vance-Law elegant in einem Kreuzberger Hinterhof. Foto: Luka Godec

Sam Vance-Law: „Entweder diese Trennungsplatte – oder jahrelang nichts“

Dabei hatten Freundinnen, vor allem die Sängerinnen Wallis Bird und Charlotte Brandi, ihn davor gewarnt, sich auf Jahre dieses Schmerzenssujet anzubinden. Aber er musste es eben trotzdem tun aus Gründen, die persönlich und politisch sind, wie er sagt: „Mir war klar, ich schreibe entweder diese Trennungsplatte – oder jahrelang nichts. Außerdem gibt es nicht genügend queere Break-Up-Platten. Und mit ‚nicht genug‘ meine ich: nahezu keine.“

Das wohl prominenteste Beispiel eines gescheiterten Gay-Songs in der Popgeschichte: „Voices Carry“ (1985) von Aimee Mann (beziehungsweise ihrer damaligen Band ‚Til Tuesday) war als lesbische Herzbruchhymne angelegt, wurde dann aber, auf Druck der Plattenfirma, zwangsheterosexualisiert. Aber was soll überhaupt spezifisch homo oder hetero am Herzeleid sein? Könnte man nicht einfach sagen, wie Boy George anno 1984 sang: „love is love“ und Herzeleid ist Herzeleid, nein?

Stolz die neue Platte „Goodbye“ signieren: Sam Vance-Law im Label Virgin Music. Foto: Luka Godec

„Ja, find ich top“, entgegnet Sam Vance-Law. „Aber andere Menschen haben die Entscheidung getroffen, zu sagen: ‚Schwule Männer können sich nicht lieben. Praktisch nicht. Psychologisch nicht. Und dann sind sie auch noch so pervers, dass sie denken, dass ihre Perversität Liebe sein könnte.‘ Und das ist das, womit du und ich und andere aufgewachsen sind. Ich will also gar nicht sagen, dass Liebe anders wäre als Liebe. Eine queere Break-Up-Platte ist ein großes Ding, aber nicht, weil ich es so will, sondern weil andere vorher gesagt haben, dass es sowas nicht geben könnte.“ 

Kein Bock auf Heartbreak, also Zucker

Ein Statement also. Aber, nochmal kritisch nachgehakt: Spielt eine schwule Trennungsplatte am Ende gar den Leuten in die Hände, die behaupten, schwule Liebe könnte nicht gutgehen? „Das wäre das verrückteste Argument, das ich jemals gehört habe“, sagt Sam Vance-Law und lacht leicht bitter. „Nimm Adele! Die singt permanent von Trennung. Dann wären ihre Songs, im Umkehrschluss, ja der perfekte Beleg dafür, dass hetero Liebe niemals gutgehen kann. Aber das zu sagen wäre doch absurd! Und zweitens: Wenn du zeigst, dass Heartbreak real ist – dann muss die Liebe auch real gewesen sein.“ Touché!

Bei Herzeleid helfen nicht nur Prada-Schuhe, sondern auch ein Break-Up-Album. Foto: Luka Godec

Der erste Song (nach dem eigentlichen Opener, einer jazzklavierigen Whiskeybar-Träumerei) auf Sam Vance-Laws „Goodbye“-Platte heißt „Kiss Me“, setzt mit Synthies ein, und ist schon sowas wie ein Meta-Song: Sam Vance-Law singt nämlich von dem schwungvollen Happy-Song, den er nunmehr nicht singen kann, angesichts der Trennung. Smarter Move: Sam-Vance-Law-Humor. „Dieser Song kam, weil ich dann doch ganz schön genervt war, dass ich eine solche Platte schreiben muss“, sagt er und lacht beherzt. „Ich hatte nur ein paar Lieder geschrieben bis dahin, aber hatte dann schon keinen Bock mehr.“ Also: Zuckerguss, ein paar Refrains lang.

Die Strophen holen einen dann zurück auf den Boden der Schmerzsachen. Das orchestral schwelgende „Icarus“ erzählt vom nach Freiheit drängenden, fliegenden Boy (aus dem griechischen Mythos), dem das Wachs und damit das Federkleid wegschmolz, der Nähe zur Sonne wegen. Das groovende „Get Out“ trifft dieses vermaledeite Hin- und Hergerissensein zwischen „Jemanden zurück wollen“ und ihm den Arschtritt zu geben. „Too Soon“ mit Handclaps und vernuscheltem Saxofon handelt vom allzu frühen Wiedersehen des Ex beim Gassigehen. Typisch tragikomischer Sam-Vance-Law-Humor!

Kanadischer Neuköllner Sam Vance-Law: Komasaufen mit Beyoncé

„Been Drinking“ wieder erzählt vom Substanzmissbrauch nach der Trennung. Rock’n’Roll? Eher Schmerzbetäubung. Auf den Titel kam Sam Vance-Law eigener Aussage zufolge durch Beyoncés „Drunk In Love“, wiewohl der Text auch Referenzen auf Bill Withers und auf Joni Mitchell enthält. Sam Vance-Laws Song wagt den Twist, zu behaupten, eigentlich sei er jetzt, komasaufend, gewissermaßen nüchtern – die wahre Trunkenheit habe vorher stattgefunden: trunken vor Liebe.

Farewell, Sam, aber bitte komm wieder! Foto: Luka Godec

„Vielleicht ist das keine gute Message an die Kids, aber ich fürchte: Nach ’ner schlimmen Trennung trinkt man – ob man es will oder nicht.“ Ein Engel ist Sam Vance-Law wohl doch nicht, aber es müsste schon mit dem Prada-Teufel zugehen, wenn er nicht bald einen Neuen fände. Bis dahin gibt’s Himbeeren. Und eine tolle queere Platte, die kathartisch kickt. Goodbye, Ex? Aber hallo!

  • Sam Vance-Law „Goodbye” (Virgin/Universal) Erscheinungsdatum 6.5.22

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