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Interview

Tom Schilling über seine Band und Berlin: „Ich gehöre wohl  zum Inventar der Stadt“

Tom Schilling macht Musik. Mit seinem Bandprojekt Die Andere Seite wagt der Berliner Schauspieler musikalische Schritte auf romantisch-melancholischem Boden. Sein neues Album „Epithymia“ ist keine leichte Kost. Ein Gespräch über die sehr spezielle Energie Berlins – und einen Schrei, der sein musste.

Tom Schilling macht Musik. Mal im Anzug, mal im Metal-Shirt. Foto: William Minke

Die Andere Seite mit Album „Epithymia“: Tom Schilling macht Musik

tipBerlin Tom Schilling, du hast vor vielen Jahren einen wütenden Leserbrief an uns geschrieben wegen einer Filmkritik im tip. Nimmst du dir Kritik immer noch so zu Herzen oder stumpft man irgendwann ab?

Tom Schilling Ich nehme mir das alles immer noch total zu Herzen. Ich weiß aber nicht, ob ich heutzutage noch einen Leserbrief schreiben würde. Insgesamt bin ich aber ein Mensch, der immer alles reinwirft und wenn ich das Gefühl habe, dass jemand nicht genau hinschaut, dann verletzt mich das. Ich fand das damals aber eine coole Aktion vom tip, dass der Brief abgedruckt wurde. Funny Side-Story.

tipBerlin Gerade musizierende Schauspieler müssen mit besonders viel Kritik leben, da die Leute bei Nebenprojekten besonders skeptisch sind. Wie war das bei dir, als du 2017 dein Debütalbum „Vilnius“ rausgebracht hast?

Tom Schilling Das ist halt ’ne Medaille mit zwei Seiten. Everything comes with a price, ne? Einerseits hast du natürlich einen gewissen Wettbewerbsvorteil, weil du auf eine öffentliche Wahrnehmung, die du schon aus einer anderen Tätigkeit gesammelt hast, zurückgreifen kannst. Auf der anderen Seite sind die Leute viel voreingenommener und du musst dich wirklich bemühen, die Herzen zu erreichen und dieses Framing von voreingenommenen Leuten zu durchstoßen. Ich habe diesen Vorwurf allerdings noch nie so richtig verstanden. Warum kann man nicht noch einen zweiten Beruf haben?

Tom Schilling bewegt sich unter dem Namen Die Andere Seite zwischen Rammstein und Schubert. Foto: William Minke

tipBerlin Dein neues Album „Epithymia“ ist ausgesprochen düster. Keine leichte Kost. Ist das eine Strategie, um auch als Musiker ernstgenommen zu werden?

Tom Schilling Ich mache alles in meinem Leben ohne Berechnung und nehme die Sachen so, wie sie aus mir herauspurzeln. Anders kann ich das auch nicht. Obwohl ich Schauspieler bin, kann ich mich nicht verstellen. Das ist eigentlich absurd. Aber selbst im Film geht es mir um Persönlichkeit. Und in der Musik sowieso: Ich könnte mich jetzt nicht hinstellen und Songs spielen, die nichts mit mir zu tun haben. Genauso kann ich keine Lieder schreiben, die umgekehrt ein anderes Bild von mir zeichnen.

Insofern: Nein! (lacht) Im Endeffekt kann ich nur versuchen, das, was ich selber gut finde, oder das, was in mir steckt, so pur wie möglich rauszubringen. Wenn ich jetzt eine Platte machen würde, klänge die ganz anders, als das Album, über das wir jetzt sprechen. Das habe ich ja schon vor 2 Jahren geschrieben. 

Schauspieler und Musiker Tom Schilling: „Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Leben keinen Jazz mehr machen“

tipBerlin Es gibt viele persönliche und intime Momente auf dem Album. Woher kommt der Mut, das Innenleben in die Öffentlichkeit zu tragen?

Tom Schilling Ich finde das gar nicht so mutig. So richtig unter Kontrolle habe ich das ja eh nicht. Eher bin ich in einem gewissen Gefühlszustand und dankbar, dass ich diesen in etwas übersetzen kann. Das ist meine Aufgabe und gibt meinem Leben einen Sinn. (zwinkert) Was dabei rumkommt, werfe ich nach draußen und mache mich angreifbar. Aber während ich schreibe, mache ich mir keine Gedanken darüber, wie das aufgenommen wird. Mir gehts um Aufrichtigkeit, die in ein Song gepresst ist, den ich selber gut finde.

Erst jetzt werde ich damit konfrontiert, wenn mich jemand fragt, woher ich den Mut nehme, meinen Schutzpanzer abzuwerfen. Aber gerade diesen darf ich ja gar nicht haben. Sonst würde ich irgendwelche belanglosen Popsongs schreiben, die vielleicht besser im Radio gespielt werden würden, aber die mir nichts bedeuten. Das ist natürlich auch ein Talent, etwas zu erschaffen, was nichts mit einem selber zu tun hat. Wie so eine Technik. Aber ich bin kein Techniker!

tipBerlin Trotzdem hast du den Bandnamen von Tom Schilling and The Jazz Kids in Die andere Seite umbenannt. Warum taucht dein Name nicht mehr auf, wenn das alles doch so persönlich ist?

Tom Schilling Ich wollte nicht mehr, dass mein Name im Titel vorkommt und ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Leben keinen Jazz mehr machen werden. Es war an der Zeit, einen neuen Namen zu finden. Außerdem sind wir keine feste Band, die regelmäßig probt, sondern ein Projekt. Das nächste Projekt wird dann vielleicht nochmal anders heißen. Das ist vielleicht marketingtechnisch nicht so schlau, aber es fühlt sich richtig an.

„Bei mir geht es um eine gewisse Sehnsucht“

tipBerlin Der Name passt natürlich auch sehr gut zu den balladenhaften Songs. Wie wirkt sich deine Sozialisierung als Schauspieler auf deine Texte aus? 

Tom Schilling Wenn man Schauspieler ist, hat man natürlich einen direkteren Zugang zu Texten als in der Popmusik. Da sind die Texte oft ja eher zweitrangig. Bei mir ist es genau umgekehrt: Die Texte stehen an erster Stelle und die Musik komponiert sich aus den Inhalten heraus.

Natürlich könnte die Sprache eine andere, modernere Sprache sein, aber ich kann halt gewisse Worte nicht so gut benutzen wie andere. Es gibt zum Beispiel viele Rapper, die ein tolles eigenes Sprachbild verwenden, aber das ist halt nicht meins. Bei mir geht es um eine gewisse Sehnsucht und daher sind meine Texte auch eher in der Romantik verhaftet. 

Tom Schilling & The Jazz Kids live. Inzwischen heißt das Musikprojekt Die Andere Seite. Foto: Imago/R. Keuntje/Future Image

tipBerlin Wonach sehnst du dich?

Tom Schilling Das weiß ich nicht. Aber das ist doch der Kern der Sehnsucht, dass man nicht weiß, was nicht erfüllt wird. Und leider auch, dass es sich nicht erfüllt. 

tipBerlin Deine Bewunderung für romantische Komponisten wie Schubert ist nicht zu übersehen. Warum ist Schubert immer noch so aktuell?

Tom Schilling Schubert ist der Sehnsuchtskomponist. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts hat er Menschen angesprochen, die vielleicht so empfinden wie ich. Diese Gefühle, die seine Musik transportieren, sind zeitlos. Während Mozart und Beethoven zeigen, wie toll und groß und extrovertiert sie sind, findet Schubert immer den Kern im Kleinen. Und das fasziniert einfach weiterhin. 

Tom Schilling und Die Andere Seite: „Mich interessiert die Kraft und der Punch“

tipBerlin In der Romantik geht es oftmals um die Flucht aus der Stadt. Du hingegen wohnst mitten in Berlin. Wie wirkt sich das urbane Leben auf deine Musik aus?

Tom Schilling Als Berliner kann ich das nur schwer sagen, weil ich so durch und durch Berlin bin. Schließlich habe ich nie in einer anderen Stadt gewohnt. Ich weiß nur, dass die Platten, die in Berlin entstehen, schon eine bestimmte Energie ausstrahlen.

Ich meine die Berliner Jahre von Nick Cave, David Bowie, oder wie die geteilte Stadt die Einstürzenden Neubauten inspiriert hat. Ich bin hier aufgewachsen mit Rammstein und die hatten immer Berlinbezüge. Ich müsste wohl eine Zeit weggehen, um zu begreifen, wie sehr mich diese Stadt prägt. 

tipBerlin Im Song „Gera“ singst du von einer sterbenden Stadt. Gerade Berlin befindet sich im massiven Wandel. Institutionen schließen, Mieten steigen, die A 100 soll gebaut werden. Würdest du sagen, Berlin liegt auch im Sterben?

Tom Schilling Ne, ehrlich gesagt gar nicht. Berlin ist in einem ständigen Wandel. Wandel hat ja immer mit Sterben zu tun, aber dadurch entsteht immer auch was Neues. Irgendwas wird geboren. Und die Städte, die ich da besinge, die sind reiner Niedergang und den finde ich herzzerreissend.

tipBerlin Was war denn so schlimm an diesen Städten?

Tom Schilling Städte wie Gera blicken auf eine stolze Historie zurück. Noch Anfang des 20. Jahrhundert waren es lebendige Kulturmetropole. Der Strukturwandel im Zuge der Wiedervereinigung hat vielen ostdeutschen Städten aber nicht gut getan.

Speziell Gera empfand ich als beklemmend und destruktiv bei meinem Besuch vor 3 Jahren. Ich schließe aber nicht aus, dass meine persönliche Verfassung damals, diesen Eindruck verstärkt hat. Zudem hatte ich in Gera eine potentiell sehr gefährliche Begegnung, die mich nachhaltig verstört hat. Ich möchte aber nicht näher darauf eingehen. 

Tom Schilling über Konzerte: „Am unsichersten bin ich auf der Bühne“

tipBerlin Nick Cave, Rammstein, Bowie: Wie beeinflussen dich deine musikalischen Helden?

Tom Schilling Also bei Rammstein weiß ich nicht, ob ich noch dazugestoßen wäre, wenn ich sie nicht so früh entdeckt hätte. Aber mit 14 war das die beste Musik, um mich von meinen Eltern abzugrenzen. Nicht nur von meinen Eltern, sondern auch von den anderen Jugendlichen in meiner Klasse, die halt Grunge, Hip-Hop und Pop gehört haben. Mich interessiert die Kraft und der Punch, den die haben.

tipBerlin Wo wir gerade bei Kraft sind: Beim „Lied vom Ich“ kommt dieser wahnsinnige Schrei (lacht). Hast du je so geschrien?

Tom Schilling Im Film muss man oft schreien. 

Schauspieler Tom Schilling macht Musik und erforscht sein Inneres. Foto: William Minke

tipBerlin Aber in der Musik ist das ein Befreiungsschlag.

Tom Schilling Ja, das war so eine Eingebung, dass der Song das irgendwie braucht. Als ich das im  Proberaum zum ersten mal ausprobiert habe, haben mich meine Bandkollegen echt befremdet angeschaut und „was war das denn?“ gefragt. (lacht)

tipBerlin Also es ging gar nicht anders… 

Tom Schilling Ich wusste, dass das Lied diese Entfesselung braucht. Ich hatte zu der Zeit gerade die Band Gewalt entdeckt und viel Musik von Patrick Wagner gehört. Ich finde ihn super und seine Band liebe ich. Er ist ja eher so ein Shouter, er schreit ja eigentlich das gesamte Konzert durch. 

tipBerlin Wie siehts bei dir mit Konzerten aus. Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder als Musiker auf der Bühne zu stehen? Unsicherheit, Vorfreude, wie ist dein Gefühlszustand?

Tom Schilling Ich bin immer unsicher als Mensch und im Leben an sich. Aber am unsichersten bin ich auf der Bühne. Es ist immer eine große Überwindung für mich, weil ich nicht auf so ein sicheres Instrumentarium an Taschenspielertricks zurückgreifen kann. Ich bin halt nicht als Musiker auf der Bühne großgeworden und stecke da noch absolut in meinen Kinderschuhen. 

Dann verunsichert mich schon der Soundcheck, wo andere einfach wissen, was zu tun ist, damit sie sich wohler fühlen oder welche Stellschrauben man drehen kann. Daher ist jedes Konzert für mich eine neue Überraschung. Am 25. Mai spielen wir im Astra. In Berlin macht es immer großen Spaß. Schwierig sind andere Städte.

tipBerlin Warum?

Tom Schilling Ich spüre schon eine große Zuneigung von Berlinern. Das liegt vielleicht daran, dass ich selbst Berliner bin. Wir haben die meisten Fans hier und viele kennen mich halt aus meinen Berlinfilmen. Anscheinend gehöre ich irgendwie zum Inventar der Stadt.

  • Die Andere Seite „Epithymia“ (Virgin), Erscheinungsdatum: 22.4.22
  • Astra Kulturhaus Revaler Str. 99, Friedrichshain, Mi 25.5., 20 Uhr, VVK 28 €, mehr Infos und Tickets hier

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