1979, als der Punkrock nach Deutschland schwappte, eröffnete Klaus Maeck in Hamburg Rip Off, den legendären Plattenladen und Vertrieb für die neue deutsche Musik der Zeit: also Punk und alles, was folgte. In den 1980er-Jahren entstanden seine Filme „Decoder“ (1984) und „William S. Burroughs: Commissioner of Sewers“ (1989) sowie die Buchveröffentlichungen „Decoder Handbuch“ (1984) und „Einstürzende Neubauten: Hör mit Schmerzen“ (1989). Später war er Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer des unabhängigen Freibank Musikverlags. Er traf den Regisseur Fatih Akin, mit dem er 2004 die Produktionsfirma Corazón International gründete und Akins Filme und die anderer Regisseure produzierte. Gerade erschien sein Buch „Volle Pulle ins Verderben“ mit Erinnerungen, Stories und Bildern. Wir sprachen mit Klaus Maeck über Zoobesuche mit William S. Burroughs, den „Tunix“-Kongress in West-Berlin, sein Verhältnis zu den Einstürzenden Neubauten und die Kunst, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Klaus Maeck: „Tunix, das war ein Umbruch, ein Aufbruch, wo ganz vieles entstanden ist, was es vorher nicht gab“
tipBerlin Klaus Maeck, wir bleiben beim du. Also Klaus, du bist gerade 70 geworden. Herzlichen Glückwunsch! Gerade erschien „Volle Pulle ins Verderben“, dein Buch mit Erinnerungen, Geschichten und Bildern. Ist das ein Geschenk, dass du dir selbst zum runden Geburtstag gemacht hast?
Klaus Maeck Das kann man tatsächlich so sagen, ich habe mir das seit Jahren gewünscht. Als Musikverleger und nachher Filmproduzent hat sich aber einfach nie die Zeit ergeben. Es geht mir aber nicht darum, Bilanz zu ziehen. Das war eher etwas für mich, was ich dann auch beim Schreiben gemerkt habe. Es ist befreiend und lehrreich, wenn man über seine eigene Geschichte nachdenkt und sie aufschreibt. Natürlich freut es mich, wenn das andere auch interessiert oder sogar berührt.
tipBerlin Dein Leben ist eine Geschichte der bundesdeutschen Gegen- und Subkultur. Von Landkommunen, Hippies und dem Landweg nach Indien, über Punk und Anarchie bis zu den Einstürzenden Neubauten, dem unabhängigem Musikverlag Freibank und Fatih Akin und der Produktion von unabhängigen Filmen. Siehst du das auch so?
Klaus Maeck Im Nachhinein ist das auch für mich eine interessante Beobachtung. Auslöser für meine Interessen war der „Tunix“-Kongress in Berlin Ende der Siebziger. Das war ein Umbruch, ein Aufbruch, wo ganz vieles entstanden ist, was es vorher nicht gab: die Grünen, die „taz“ und was weiß ich alles. Und da war ich mittendrin, ein bisschen zu spät für die Hippies, die ich zwar interessant fand, auch zu spät für die ’68er oder die Bewegungen in den USA, aber ich habe das immer studiert und dann Anregungen übernommen, um ähnliche Sachen hier zu machen, sei es einen Laden als Treffpunkt zu gründen oder Untergrundzeitschriften herauszugeben.
tipBerlin Auch die Autoren der Beat Generation waren für dich eine wichtige Referenz.
Klaus Maeck Ich habe die ersten Bukowski-Romane in Englisch gelesen und dachte, Mensch, das muss man doch auf Deutsch übersetzen. Nun war ich kein Übersetzer, aber irgendwann gab es die Bücher auch auf Deutsch, und auch die Literatur von den Beats, wo jetzt Bukowski nicht unbedingt zugehört, hat mich fasziniert. Das gleiche galt für die „Illuminatus Trilogie“ von Robert Anton Wilson, sowas gab es damals nur in Englisch und ich dachte, sowas muss man doch auch hier machen können. Gut, ich konnte jetzt nicht Bücher übersetzen oder schreiben, aber ich habe Zeitschriften herausgebracht, in denen ich diese Bücher propagiert und auch per Mail Order verkauft habe, das hat mir immer sehr viel Spaß gebracht.
tipBerlin Punk hat dich sofort, als es in England losging, auch interessiert, und Punk und Beat-Generation waren doch verschiedene Welten. Oder hast du beide Phänomene zusammengedacht?
Klaus Maeck Das hat sich so ergeben. Ich war ja ein paar Jahre älter als die Punks und einige Jahre jünger als die Beats, also genau so dazwischen. Und interessanterweise gab es eine Straße weiter von Rip Off, dem Punkladen, den ich aufgemacht habe, die beste Buchhandlung der Welt. Die Weltbuchhandlung von Hilka Nordhausen. Dort gab es jede kleine unabhängige Publikation und natürlich auch die ganze amerikanische Beat- und Underground-Literatur. Und diese beiden Szenen haben sich tatsächlich auch im Hamburger Karolinenviertel überkreuzt. Die jungen und alten Literaten und dann plötzlich die Scharen von Punks. Das war dieser aufregende Zeitgeist Anfang der 1980er-Jahre.
tipBerlin Du warst oft am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Einige Ereignisse, die du erlebt hast, sind heute legendär. War dir das damals auch schon klar, dass Geschichte gemacht wird, das du Geschichte machst?
Klaus Maeck Das war nicht klar. Das ist einfach so passiert. Was sich dann daraus später entwickelt hat, hat mich immer wieder erstaunt. Mir fallen gerade die Toten Hosen ein, die seit Jahrzehnten die Charts anführen. Das war so eine kleine Fun-Punk-Band. Oder dass es die Einstürzenden Neubauten über 40 Jahre nach ihrer Entstehung noch gibt. Was für ein Wunder. Oder eben die Leute, die ich gerne treffen wollte, weil sie mich so interessiert haben und ich dann irgendwie mutig genug war, um mal anzufragen, William S. Burroughs oder der LSD-Guru Timothy Leary. Ich sagte, ich würde gerne mal mit euch sprechen und war dann immer selber erstaunt, wenn es dann hieß, ja, warum nicht, komm doch vorbei.
tipBerlin William S. Burroughs hat auch in deinem Film mitgemacht. Das Honorar war eine Flasche Wodka.
Klaus Maeck Genau, ja.
Klaus Maeck: „William S. Burroughs wollte immer in den Zoo. Lemuren, die fand er gut.“
tipBerlin Sehr nett sind auch diese Zoobesuche mit ihm, die du in deinem Buch beschreibst.
Klaus Maeck Er wollte nichts mehr von Berlin oder Hamburg sehen. Hatte genug Städte gesehen, genug Menschen kennengelernt, aber in den Zoo wollte er jedes Mal. Lemuren, die fand er gut.
tipBerlin Hast du trotzdem auch mal was verpasst, außer das Konzert der Sex Pistols auf dem Boot in England, als du stattdessen im Knast gelandet bist?
Klaus Maeck Ja, das habe ich tatsächlich vermisst, dass ich die Sex Pistols, meine damalige Lieblingsband, nie live sehen konnte. Denn kurz vor dem Hamburger Konzert, für das ich Karten hatte, haben die sich aufgelöst. Ansonsten gibt es bestimmt viele Sachen, die ich verpasst habe. Legendär werden Konzerte oder Ereignisse ja erst später, wenn die Bands oder Personen zum Kult geworden sind.
tipBerlin Du hast auch ein Stück weit zu der Legendenbildung dieser Ära beigetragen, etwa mit deinem Buch über die Einstürzenden Neubauten.
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Klaus Maeck Mit den Einstürzenden Neubauten war das so. Erst war ich Fan, weil das wirklich so ein neuer, bahnbrechender Sound war, dann habe ich sie lange als Freund begleitet, bis ich irgendwann ein Buch und dann auch eine Doku gemacht habe. Dann dachte ich Ende der 1990er-Jahre, jetzt ist auch mal gut, ich will kein lebenslanger Chronist der Neubauten werden. Doch dann suchten sie gerade einen neuen Manager, und so war ich für ein paar Jahre auch noch deren Manager. Heute gucke ich sie mir tatsächlich nur noch im Konzert an, demnächst in der Elbphilharmonie in Hamburg, da freue ich mich schon drauf.
tipBerlin Das hättest du wahrscheinlich damals, als „Kalte Sterne“ aufgenommen wurden, auch nicht gedacht, dass die in Philharmonien spielen werden, oder?
Klaus Maeck Nicht wirklich, überhaupt nicht.
tipBerlin Kommen wir zu West-Berlin. Du bist für eine Weile in den 1980er-Jahren in die Mauerstadt gezogen, die Einstürzenden Neubauten waren da schon relativ etabliert. Wie hast du die Situation damals erlebt?
Klaus Maeck Ich zog in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nach West-Berlin, nachdem der Rip Off Plattenladen in Hamburg bankrott gegangen ist, ich Konkurs anmelden musste und von Gerichtsvollziehern verfolgt wurde. Da war Berlin ein schönes Exil, die Stadt gehörte ja noch nicht zur Bundesrepublik, und so konnte ich ein Telefon haben, ein Auto und ein Bankkonto, was in Hamburg nicht mehr ging. Mit den Neubauten war ich aber schon vorher bekannt, Anfang der 1980er in Hamburg. Da gab es einen regen Austausch zwischen diesen beiden Städten, so hat sich dann auch die Freundschaft zwischen Neubauten und Abwärts zum Beispiel ergeben, und dann sind zwei Abwärts-Mitglieder zu den Neubauten gegangen. Die Neubauten haben auch ihre ersten Platten hier in Hamburg aufgenommen.
tipBerlin Wann bist du nach Hamburg zurückgegangen?
Klaus Maeck Etwa ein halbes Jahr vor dem Mauerfall, von dem ja noch keiner ahnte zu der Zeit. Einfach weil mich mein alter Freund und der Bassist der Neubauten, Mark Chung, fragte, ob ich nicht bei seiner neuen Geschäftsidee mitmachen möchte. Er wollte einen Musikverlag gründen, der Musiker fair behandelt und nicht von der GEMA abhängig macht. Das erschien mir gut, weil auch keinen festen Job hatte und mich irgendwie über Wasser halten musste. Ich dachte erst mal, ein halbes Jahr kann ich nochmal gucken, weil mir das Geschäft eigentlich zum Hals raushing durch den Konkurs und diese vielen Schulden, die ich mit dem Plattenladen als unerfahrener Geschäftsmann gemacht habe.
tipBerlin Aber Mark Chung hat in dir auch Potenzial gesehen zu einem kompetenten Punk-Geschäftsmann, oder?
Klaus Maeck Er wollte anfangs die Rechte für die Stücke der Einstürzenden Neubauten nicht irgendwelchen Großverlagen geben, von denen man wusste, dass sie eigentlich nichts tun, außer dass sie einen Teil des Geldes kassieren. So hat er die Aufgaben eines Musikverlages nochmal anders wahrgenommen, also richtig wahrgenommen. Aber dieses halbe Jahr Hamburg beim Freibank Musikverlag, das dauerte dann über 20 Jahre. Weil immer mehr befreundete Bands auch von uns vertreten werden wollten und so hat sich nochmal eine zweite Karriere im Musikgeschäft ergeben. Bevor ich wieder zum Film kam, was mich eigentlich faszinierte, wo ich aber schnell feststellen musste, dass man davon schwer leben kann.
tipBerlin Film und Musik haben dich gleichermaßen beschäftigt, du hast dann die Produktionsfirma mit Fatih Akin gegründet. Wie kam es dazu?
Klaus Maeck Ein Musikverlag ist unter anderem auch dafür zuständig, Musik in Filmen, Fernsehen, Werbung und so weiter zu platzieren. Auf diese Weise habe ich Fatih Akin kennengelernt, der meinen Musikgeschmack gut fand und mich als Musikberater für „Gegen die Wand“ engagiert hat. Daraus hat sich eine engere Zusammenarbeit entwickelt, sodass wir eine Firma gegründet haben, die wir dann zehn Jahre zusammen gemacht haben.
Klaus Maeck: „Betriebswirtschaft? Überhaupt nicht! Alles learning by doing und do it yourself„
tipBerlin Hattest du eigentlich Betriebswirtschaft oder so etwas studiert?
Klaus Maeck Überhaupt nicht! Alles learning by doing und do it yourself.
tipBerlin Besser wäre: Die Produktionsfirma corazón international ist schon lange nicht mehr aktiv und bei Freibank bist du nicht mehr in der Geschäftsführung. Wie ist dein aktueller Status?
Klaus Maeck Tatsächlich bin ich da kein Gesellschafter mehr, aber natürlich der Firma eng verbunden. Zum Beispiel lege ich noch Musik bei der jährlichen Freibank-Rezeption auf dem Reeperbahn-Festival auf, das kann ich nicht lassen. Außerdem habe ich seit zehn Jahren noch meine eigene Produktionsfirma Interzone Pictures, mit der ich aber in letzter Zeit wenig mache. Ein Buch zu schreiben, dauert ja auch seine Zeit.
tipBerlin Es ist etwas ruhiger geworden bei dir.
Klaus Maeck Ganz absichtlich. Ich habe einen großen Garten, ich lebe auf dem Land und in dem riesigen Garten ist auch immer etwas zu tun, was mir auch sehr viel Spaß macht. Die Platten und Filme können jetzt andere machen.
- Volle Pulle ins Verderben, Stories, Interviews Bilder von Klaus Maeck Filmemacher, Musikverleger und Weltenbummler. Keine Autobiografie, aber Erinnerungen, Stories, Interviews und Bilder, die sich zu einem autofiktionalen Porträt ergänzen. Moloko+, 236 Seiten, 17,50 €
- Mehr zu Klaus Maeck findet sich hier
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