Interview

Songwriterin Wallis Bird mit neuem Album „Hands“: Nackt im Technogarten

FKK, Clubs, queeres Selbstverständnis: Wallis Bird liebt das freie Leben in Neukölln und überhaupt Berlin. Mit „Hands“ hat die irische Songwriterin ihr elektronischstes Album aufgenommen. Unsere Autorin Nina Töllner hat die Musikerin in einem Kreuzberger Büro getroffen und freut sich schon auf die große tipBerlin-Jubiläumsparty am 18. Juni. Bei der Sause im Zenner wird nämlich auch Wallis Bird live zu sehen sein.

„Hands“ haben für die Songwriterin Wallis Bird, die bei einem Unfall fünf Finger verlor, eine besondere Bedeutung. Foto: Tobias Ortmann

„Hands“ von Wallis Bird: Mehrtägige Partys, peinliche Aussetzer

„Oh, möchtest du Wein?“ Wallis Bird scheint es ernst zu meinen. Die irische Musikerin kredenzt im Kreuzberger Büro ihres Managements nicht nur selbstgekaufte Kekse von der türkischen Bäckerei an der Ecke. Sie hat für ihren Besuch auch gerade ein Glas fürs Mineralwasser geholt – ein Weinglas. Und findet die scherzhafte Journalistenfrage, ob es denn Wein gäbe, offenbar nicht völlig abwegig. Es ist erst später Mittag und ein Interview steht an. Aber hey, wir sind in Berlin.

Es bleibt beim Mineralwasser. Doch während draußen vorm Fenster die U1 vorbeirattert, erzählt Energiebündel Wallis Bird von ihrer feierfreudigen Seite und den Folgen: mehrtägige Partys, peinliche Aussetzer. Oder wie sie es auf ihrem neuen Album „Hands“ im Song „I Lose Myself Completely“ schildert: „I left my home for a loaf of bread and I came back three days later.“ Ja, das sei ihr vor einigen Jahren tatsächlich passiert, erinnert sich Bird ein wenig zerknirscht. Und schiebt eine Tour-Story hinterher, bei der sie nach einer durchfeierten Nacht mit blau angelaufenem Kinn wieder im Hotel auftauchte.

Ein Sturz? Eine Prügelei? Keine Ahnung, Filmriss. Birds Freimütigkeit ist sympathisch, auch ihre Herzlichkeit und ihr irisches Englisch, beziehungsweise „Denglisch“, dem es nicht an Kraftausdrücken mangelt. Aber sie selber habe sich manchmal nicht gemocht, wenn sie betrunken war, erzählt die Songwriterin. Aggressive Anwandlungen, Erinnerungslücken, der Hangover danach – irgendwann trat sie auf die Bremse. Die Entstehung von „Hands“ spielte dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Wallis Bird im Gespräch: „Ich will auch verantwortungsbewusst sein“

Ihr siebtes Studioalbum nahm Bird mit Philipp Milner auf, Produzent und eine Hälfte des Hamburger Elektropop-Duos Hundreds. Über Milner, mit dem sie in den letzten zwei Jahren viele Wochen in dessen Heimstudio im niedersächsischen Wendland verbrachte, gerät die Irin ins Schwärmen. Auf professioneller Ebene – „er hat meine Musik verstanden“ –, aber auch aus anderen Gründen: „Philipp lebt so gesund, und er hat so eine spirituelle Beziehung zu seiner Musik und seiner Gesundheit. He is a responsible, interesting, fucking cool man! Und ich dachte: Ich will auch verantwortungsbewusst sein.“

Wallis Bird: Resistent und gutgelaunt. Foto: Tobias Ortmann

Heute geht Wallis Bird schwimmen und ins Fitnessstudio, versucht, eine Balance zwischen Vernunft und „wildem Leben“ zu halten. Sie freut sich über die gewonnene Zeit, die sie nicht verkatert im Bett verbringt. In der schimmernden Synthiepop-Nummer „Dream Writing“  auf dem neuen Album singt sie von der Schönheit, bereits frühmorgens am Fenster zu sitzen, wenn die Welt um einen herum noch schläft. „Ich möchte mich mehr um die Menschen in meinem Leben kümmern, und dafür muss ich mental und physisch fit sein.“

Wallis Birds Liebeserklärung an Berlin und seine „Freaks“

Berlin und seine Clubs hat Bird, die 2012 in die Hauptstadt zog, trotzdem weiterhin ins Herz geschlossen. „Oh, I love this city“, verkündet sie in der bereits zitierten Exzess-Erzählung „I Lose Myself Completely“, einer 80s-Dance-Nummer mit treibendem Beat und glitzernden Synthesizer-Sprengseln. Fand das 2019 erschienene Vorgängeralbum „Woman“ Inspiration im Soul, so ist „Hands“ das bis dato elektronischste, „clubbigste“ Werk in Birds eklektischem Pop-Oeuvre. Zu den tanzbaren Tracks zählt auch „F.K.K. (No Pants Dance)“, eine funky Melange aus Prince und House-Musik.

Und eine weitere Liebeserklärung an Berlin. Bird feiert darin ihre Neuköllner Nachbarn, die sie im ersten Corona-Sommer dabei beobachtete, wie sie nackt im Garten zu Techno tanzten. FKK, Clubkultur, Sex-Positivität – alles Dinge, die die 39-Jährige an ihrer Wahlheimat begeistern. „Wir fucking brauchen das. Es gibt so wenige Orte auf der Welt, wo wir Freaks sein und uns sicher fühlen können“, betont Bird, selber Kind einer „sehr restriktiven, schambehafteten katholischen Erziehung, in der es schon ganz schlimm war, deinen eigenen Körper zu kennen“. Umso stärker schambehaftet, wenn man als Fünfjährige merkt, dass man Mädchen ganz besonders mag. Wie Wallis Bird.

Wallis Bird mit neuem Album „Hands“: Politik und Sexualität

„Hands“ ist auch ein politisches Album. Bestes Beispiel: „What’s Wrong With Changing“. Darin listet die Musikerin zu donnernden Percussions Schlüsselmomente ihrer eigenen Politisierung auf: der Irak-Krieg, ein rassistischer Vorfall in London, der Kampf gegen das irische Abtreibungsverbot. „Was ist so schlimm an Veränderung?“, fragt sie und gibt sich selber die Antwort: nichts!

Wallis Bird liebt die Berliner Freiheit. Foto: Tobias Ortmann

Ihre Songs seien heute aktivistischer, stellt Bird fest. „Früher ging es mir in den Texten mehr darum, für Frieden und Verständnis zu werben. Viele würden sagen, ich hätte es mir leicht gemacht. Aber es war echte Schufterei, ich selbst zu sein und zu lieben, wen ich liebe, egal, was die Leute in Irland über mich dachten. Ich habe fucking hart dafür gearbeitet, ihnen zu beweisen, dass homosexuell zu sein nicht bedeutet, jemand zu sein, vor dem man sich ekeln muss. Und dass Liebe Liebe ist.“

Wallis Bird stößt einen lauten Seufzer aus, als sei ihr eine Last von den Schultern gefallen. „Oh mein Gott, ich habe bis zu diesem Moment nie realisiert, wie hart es war. Ich war zu beschäftigt. Jetzt merke ich: Es war verdammt hart.“ Zeit, endlich durchzuatmen. Das tut Bird, wenn sie in „I‘ll Never Hide My Love Away“ zur sparsamen Akustikgitarre singt: „I’ll never hide my love away / Not if it’s dangerous / Least when it’s safe.“

„Alles, was ich jetzt will, ist helfen“

Schon der Albumtitel „Hands“ und das Cover, ein Schwarzweiß-Foto von Birds Hand, unterstreichen die Resilienz der Neuköllner Irin. Im Alter von anderthalb Jahren verlor sie durch den Rasenmäher ihres Vaters alle Finger ihrer linken Hand. Vier konnten wieder angenäht werden. Und die Linkshänderin, die es bereits damals liebte, auf ihrer kleinen Kindergitarre zu klimpern, lernte trotzdem das Gitarrespielen – auf einer umgedrehten Rechtshänder-Gitarre. Selbstmitleid? Nö. Egal, was das Leben ihr reiche – sie könne damit arbeiten, so Wallis Bird. „Ich bin sehr froh, dass es passiert ist. Weil ich diese coole Geschichte habe.“ Sie weist auf ihre versehrte Hand. „Ich liebe es, damit zu spielen.“

Wallis Bird scheint angekommen zu sein. Zum Ende des Gesprächs holt sie ein Küchentuch. Für die Kekse, die unangerührt auf dem Teller liegen. Ihr Gegenüber solle sich doch ein paar einpacken. „Ich bin an einem guten Ort“, konstatiert sie. „Alles, was ich jetzt will, ist helfen.“ Und vielleicht ab und zu ein wenig feiern.


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