Berlin verstehen

12 Dinge, die man über Nick Cave in Berlin wissen sollte

Nick Cave kam in den frühen 1980er-Jahren nach West-Berlin. Zwar war der düstere Australier schon vorher als Sänger von The Birthday Party kein Unbekannter, doch in der Mauerstadt nahm seine Karriere richtig Fahrt auf. Hier schloss er wichtige Freundschaften, fand musikalische Begleiter, einen neuen Look und etablierte sich als einer der wichtigsten Songschreiber seiner Generation. Diese 12 Dinge sollte man über Nick Cave und seine Zeit in Berlin wissen.


Schwere Zeiten für The Birthday Party

Konzert von The Birthday Party in Hamburg, 1982.
Konzert von The Birthday Party in Hamburg, 1982. Foto: Imago/Future Image

Die frühen 1980er-Jahre waren schwierig für Nick Cave und seine damalige Band The Birthday Party. Den Australiern wurde ihr heimatliches Melbourne zu klein und sie zogen gemeinsam nach London. Doch die englische Metropole erwies sich als hartes Pflaster für die expressiven Cowboy-Punks.

Drogen, Armut und fehlender Wohnraum setzten Nick Cave, Mick Harvey und Rowland S. Howard zu. Erst bei einer gemeinsamen Tour mit der Berliner Band Die Haut zeigte sich ein anderer Weg, der vor allem für Nick Cave entscheidend sein sollte.


Begegnung mit Christoph Dreher und Die Haut

Christoph Dreher und Remo Park von der Berliner Band Die Haut im Backstage.
Christoph Dreher und Remo Park von der Berliner Band Die Haut. Foto: Imago/Future Image

Die experimentelle Instrumentalband Die Haut entstand in den frühen 1980er-Jahren in West-Berlin. Der Bassist und Filmemacher Christoph Dreher gehörte zu den Gründern. Bei der Tour mit The Birthday Party befreundete er sich mit Nick Cave und lud ihn und den Rest der Band in sein Kreuzberger Loft ein.

Die Australier waren begeistert. Im Gegensatz zu London gab es in West-Berlin bezahlbare Wohnungen, Räume zum Proben, die Künstler- und Musikerszene war klein, aber kompromisslos und innovativ. Auch der düstere Charme der Mauerstadt und ein guter Zugang zu harten Drogen machten West-Berlin für The Birthday Party zu einem attraktiven Wohnort.


Ankunft in West-Berlin

Berliner Mauer in Kreuzberg am Potsdamer Platz. Im Hintergrund das alte Tempodrom, 1982.
Berliner Mauer in Kreuzberg am Potsdamer Platz. Im Hintergrund das alte Tempodrom, 1982. Foto: Imago/Peter Homann

Die Mauerstadt erwies sich als perfekter Lebensraum für die Australier. Nick Cave zog fest zu Christoph Dreher. In dessen Loft in der Dresdener Straße schauten die beiden Filme, redeten über Musik und arbeiteten. Dreher hat Cave als sehr angenehmen Mitbewohner in Erinnerung, nur ob dieser jemals was gegessen habe, daran erinnert er sich nicht. Viel interessanter war das Nachtleben, die Bars und Konzerte, und die anderen Künstler, die in West-Berlin zu jener Zeit aktiv waren. Allen voran die Einstürzenden Neubauten.


Die Schwesterband: Einstürzende Neubauten

Einstürzende Neubauten im Berliner Metropol, um 1985.
Einstürzende Neubauten im Berliner Metropol, um 1985. Foto: Imago/Brigani Art

Der Legende nach, sah Nick Cave einen Auftritt der Einstürzenden Neubauten in einem Fernsehbeitrag in Holland. Er war sofort von der brachialen Musik und dem Sänger Blixa Bargeld fasziniert. Nach seiner Ankunft in West-Berlin lernte er schnell die Neubauten und ihr Umfeld kennen. Die Auflösung von The Birthday Party wurde unausweichlich und Nick Cave formierte um 1983 seine neue Band, mit der er heute, wenn auch unter wechselnden Besetzungen, immer noch aktiv ist: The Bad Seeds. Blixa Bargeld wurde Mitbegründer und blieb 20 Jahre dabei. Auch Thomas Wydler, der Trommler von Die Haut, kam bald hinzu.


Das Risiko und andere Kneipen

Das Risiko in der Yorckstraße. Maria Zastrow hinter dem Tresen der legendären Bar, um 1985.
Das Risiko in der Yorckstraße. Maria Zastrow hinter dem Tresen der legendären Bar, um 1985. Foto: Petra Gall

Die Bad Seeds lebten in West-Berlin, gingen auf Tour, machten Plattenaufnahmen und abends zogen sie, wenn sie in der Stadt waren, um die Häuser. Einschlägige Bars und Kneipen in Schöneberg und Kreuzberg waren bevorzugt. Tanzen ging man eher nicht, ebensowenig in Restaurants. Man ging in das Ex & Pop, das Café M, in die Blechbar oder ins SO36. Besonders wichtig war aber das Risiko, eine kleine Kneipe hinter den Yorckbrücken auf der Schöneberger Seite. Jörg Buttgereit zeigte dort seine Super-8-Filme, Wolfgang Müller von der Tödlichen Doris tauchte gelegentlich auf, genauso wie Wim Wenders, Gudrun Gut und viele Musiker und Künstler, die gerade auf der Durchreise waren.

Blixa Bargeld stand im Risiko regelmäßig hinter der Bar und auch die junge Wienerin Maria Zastrow hatte dort Tresen-Schichten und spielte Musik von Kassette. Cave befreundete sich mit ihr. Sie sprachen über Rock’n’Roll und Mode, Zastrow gab ihm Tipps, wie er sein Haar tragen sollte und beriet ihn bei der Auswahl der richtigen Hemden.


Aufnahmen in den Hansa Tonstudios

Meistersaal Hansa Tonstudio, Aufnahme von 1975. Foto: Public Domain
Meistersaal Hansa Tonstudio, Aufnahme von 1975. Foto: Public Domain

Einige Jahre vorher kam ein anderer Musiker nach West-Berlin, um sich selbst und einen neuen Sound zu finden. Die Rede ist von David Bowie, dessen Berlin-Alben in die Musikgeschichte eingingen. „Low“ und „Heroes“ entstanden zu großen Teilen in den Hansa Tonstudios in Kreuzberg. Auch Nick Cave & The Bad Seeds arbeiteten im Meistersaal, hier entstand ihre eigene Berlin-Trilogie.


Die Berlin-Trilogie der Bad Seeds

Nick Cave & The Bad Seeds: "Your Funeral... My Trial" (1986)
Nick Cave & The Bad Seeds: „Your Funeral… My Trial“ (1986)

1984 lebten Nick Cave und die meisten Mitglieder seiner Begleitband, der Bad Seeds, in West-Berlin. So war es logisch, dass man sich ein Studio in der Nähe suchte. Die Hansa Tonstudios galten als erste Adresse in der Stadt. Die Bad Seeds nahmen dort drei Studioalben auf, die sich rückwirkend als deren „Berlin-Trilogie“ einordnen lassen. Auf „The Firstborn Is Dead“ (1985), „Your Funeral… My Trial“ (1986) und „Tender Prey“ lässt sich die Entwicklung der frühen Bad Seeds nachvollziehen. Aus dem Post-Punk schälte sich ein expressiver, dunkler Blues und Caves Texte, die von Bibelzitaten, visionären Abgründen und tiefgreifender Poetik durchdrungen waren, gewannen immer mehr Ausdruckskraft.


Nick Caves Roman „Und die Eselin sah den Engel“

Nick Cave in seinem improvisierten Arbeitszimmer in Berlin. Zeichnung aus der Graphic Novel "Nick Cave" von Reinhard Kleist
Nick Cave in seinem improvisierten Arbeitszimmer in Berlin. Zeichnung aus der Graphic Novel „Nick Cave“ von Reinhard Kleist.

In West-Berlin entwickelte sich Nick Cave zu einem der überragenden Songwriter seiner Generation. Und festigte seinen Ruf als Workoholic. Er schrieb in dieser Zeit Texte für drei Studioalben, wirkte an anderen Plattenprojekten, etwa mit Die Haut, arbeitete an Filmen und nahm ein Album mit Coverversionen alter Songs auf.

Zwischendurch ging er weltweit auf Tour, und doch fand Cave die Zeit, seinen ersten Roman zu schreiben. Als er zwischenzeitlich aus Christoph Drehers Loft ausgezogen war, lebte er bei Freunden in einer Wohnung in der Yorckstraße. Dort bewohnte er eine Art Hochbett, das vollgestellt war mit Zetteln, Büchern und Fotos. In dieser Atmosphäre schrieb er den abgründigen Roman „Und die Eselin sah den Engel“ (1989), in dem ein bedauernswerter Antiheld von einer fundamentalistischen Gemeinde in den Wahnsinn getrieben wird. Der Berliner Comiczeichner Reinhard Kleist hat diese Episode (siehe Abb.) in seiner biographischen Graphic Novel über Nick Cave verewigt.


Wim Wenders und „Der Himmel über Berlin“

Nick Cave in Berlin:
Konzert von Nick Cave & The Bad Seeds. Szene aus Wim Wenders‘ „Der Himmel über Berlin“ (1987). Foto: Imago/Mary Evans/ Road Movies Filmproduktion

Wim Wenders war schon immer Musikfan und arbeitete gerne in seinen Filmen mit Bands, die er mochte. Dazu zählten Nick Cave & The Bad Seeds. Er lud die Australier ein, an seinem neuen Projekt mitzuarbeiten: „Der Himmel über Berlin“ (1987) schrieb Filmgeschichte, polarisiert die Kritiker bis heute und ist visuell eine Hommage an die verschwundene Insel West-Berlin.

In dem Film geben die Bad Seeds ein Konzert in dem alten Hotel Esplanade, mitten auf dem brach liegenden Potsdamer Platz. Das Gebäude ist heute Teil des Sony-Centers. Auf dem Filmsoundtrack finden sich zudem zwei weitere Songs von Cave: „The Carny“ und „From Her To Eternity“.


Abschied von Berlin

Nick Cave in Berlin:
Nick Cave & the Bad Seeds im Berliner Tempodrom, 29. Mai 1992. Foto: Imago/Brigani Art

Mit dem Mauerfall endete die Ära West-Berlin. Die 1980er waren vorbei und auch für Nick Cave und seine Mitstreiter veränderte sich viel. Doch die Gründe für den Wegzug der Band waren weniger politischer als vielmehr privater Natur.

Nick Cave hatte in seiner Berliner Zeit eine Lebensgefährtin. Doch dann kam eine neue Frau ins Spiel, die in der brasilianischen Metropole Sao Paulo lebte. Dorthin verschlug es den Australier für einige Zeit. Doch Berlin sollte er treu bleiben und so kamen die Bad Seeds regelmäßig zurück, spielten Konzerte und trafen alte Weggefährten.


Nick Caves Filme und Soundtracks

Nick Cave in Berlin:
Musiker und Drehbuchautor Nick Cave während der Berlinale-Pressekonferenz zum Film „20,000 Days on Earth“, 2014. Foto: Imago/Seeliger

Nicht nur die Musik brachte Cave immer wieder zurück nach Berlin, auch seine Filmarbeit führte ihn zu Premieren und Filmfestivals in die Stadt. Bei der Berlinale präsentierte er den archaischen Western „The Proposition“ (2005, R: John Hillcoat) zu dem er das Drehbuch schrieb und 2014 die ihm gewidmete Dokumentation „20.000 Days on Earth“ (2014) von Iain Forsyth und Jane Pollard.


Der große Ruhm

Nick Cave in Berlin:
Nick Cave & The Bad Seeds live in der Waldbühne am 14. Juli 2018. Foto: Imago/POP-EYE

Nick Caves Leben wurde in den letzten Jahren von dem tragischen Tod seines Sohnes überschattet. Cave hat den Verlust in seiner Musik verarbeitet, sich in einem Dokumentarfilm dazu geäußert und spricht und schreibt darüber in seinem Blog sowie den dazugehörigen Soloshows, bei denen ihm Zuschauer jede erdenkliche Frage stellen dürfen, die er dann beantwortet. Parallel stieg die Nachfrage nach seiner Musik exponentiell an. Konzerte der Bad Seeds finden in immer größeren Hallen statt und sind dennoch meistens innerhalb von Minuten ausverkauft.


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