„Ich bin 71 Jahre jung“ – Im Rentenalter und kein bisschen leise: Schockrock-Legende Alice Cooper kommt nach Berlin. Vorher hat er uns noch erzählt, wie er mit dem Altern umgeht, was er von Scheinhinrichtungen hält und warum er heute nur noch süchtig nach Golf ist
tip: Herr Cooper, was ist denn das offizielle Renteneintrittsalter für Schock-Rocker?
Alice Cooper: Ich denke, es kommt immer auf den eigenen Gesundheitszustand an, geistig wie körperlich. Wenn dich Krankheiten zu sehr einschränken, solltest du auf deinen Körper hören und deine Karriere beenden. Aber für meinen Teil kann ich sagen: Ich bin befinde mich zurzeit in der Form meines Lebens. Ich toure nicht nur mit meiner Band, sondern auch auch mit den Hollywood Vampires. An fünf Nächten in der Woche mache ich eine Radiosendung, die von über 180 Sendern weltweit ausgestrahlt wird, ich habe 20 verschiedene Dinge parallel laufen und höre nie auf, an meiner Frau herumzunörgeln. Manche Menschen sind 71 Jahre alt – ich bin 71 Jahre jung.
tip: Ihr Freund und Fast-Altersgenosse Iggy Pop trinkt nicht, raucht nicht und macht zur Entspannung Quigong – was ist Ihr Geheimrezept, um fit zu bleiben?
Alice Cooper: Meiner Meinung nach macht Stress mehr kaputt als alles andere. Außerdem bin ich seit jeher Nichtraucher, meine Frau genauso. Rauchen ist eine große Belastung für den Körper. Ich kenne Frontsänger von anderen Bands, die nur zwei Auftritte pro Woche machen können, weil die Zigaretten ihr Lungen so stark angegriffen haben. Außerdem kann ich mich glücklich schätzen, dass ich schon vor 37 Jahren mit dem Trinken aufgehört habe. Aber ich denke, Stress ist wirklich der größte Faktor, vor allem finanzieller Stress. Es ist schon ein riesiger Unterschied, ob man eine Tour nur aus finanziellen Gründen machen muss oder ob pure Überzeugung und Freude dahinterstecken.
tip: Ihre neue LP „The Breadcrumbs“, die am 13. September erscheint, hat einen klaren Bezug zu ihrer Heimatstadt Detroit. Was können wir erwarten?
Alice Cooper: Detroit hatte damals einen ganz bestimmten musikalischen Sound. Während Chicago für seinen Blues bekannt war, war Los Angeles es für Psychedelic Rock, New York stand eher für Soul – und Detroit war Hard Rock. Die Platte orientiert sich an musikalischen Größen aus Detroit. Auf diese Weise möchte ich meine Heimatstadt gewissermaßen ehren.
tip: Detroit ist nicht nur für seinen Rock, sondern auch für seinen Techno bekannt. Hatten sie jemals eine Verbindung zu dieser Art von Musik?
Alice Cooper: Zu Techno hatte ich überhaupt noch nie eine Verbindung. Ich glaube, Detroit ist wahrscheinlich berühmter für das Plattenlabel Motown und dessen Sound. Letztendlich war es aber egal, wer was macht. In den alten Tagen, so um 1968, 69, 70, da haben wir in Studios gespielt, wo auch Iggy war, und die MC5, Bob Seger und all die anderen Hard-Rock-Bands. Die Szene war sehr freundschaftlich, wir waren alle wie Brüder im Geiste. Als wir bei Auftritten ins Publikum schauten, sahen wir Leute wie Smokey Robinson und Stevie Wonder. Und wir waren auch bei Auftritten von Marvin Gaye und anderen Soul-Musikern. Die Liebe zur Musik verband uns. Man war Teil einer coolen Gemeinschaft.
tip: Mal in die freudsche Werkzeugkiste gegriffen: Wieviel von der Kunstfigur Alice Cooper steckt in Ihnen selbst?
Alice Cooper: Während meiner Alkoholabhängigkeit wusste ich nicht mehr, wo Alice anfängt und wo er endet. Das war ein fließender Übergang. Jetzt, wo ich trocken bin, spiele ich die Figur Alice Cooper zu 100 Prozent. Und das fällt mir leicht. Vor dem Auftritt quatsche ich mit meiner Band hinter der Bühne über alles mögliche. Sobald dann aber die Vorhänge aufgehen, werde ich zu Alice Cooper. Und das ist ein komplett anderer Mensch, mit dem ich als Privatperson nichts gemein habe.
tip: Wie wir alle wissen, sind Sie in den vergangenen fünf Jahrzehnten etliche Male von den Toten wieder auferstanden. Wie sterben Sie auf der Bühne am liebsten?
Alice Cooper: Alice Cooper ist der Bösewicht und es ist wichtig, dass er nicht einfach so davonkommt. Das Gute soll siegen. Wir haben schon viele Sachen probiert, aber an der Reaktion des Publikums sieht man sehr gut, was dramaturgisch funktioniert. Die spektakulärsten Hinrichtungsmethoden sind sicherlich das Hängen und die Guillotine. Ein elektrischer Stuhl dauert zu lange. Wenn das Fallbeil der Guillotine nach unten fällt, gibt es einen abrupten Schockmoment. Das wirkt.
tip: Alice Cooper ist ein gläubiger Christ. Was sagt denn der Pastor Ihrer Gemeinde über Ihren Job als Bösewicht?
Alice Cooper: Ich habe ein feste Glaubensüberzeugung und es ist sehr schwer, mich von meinem Glauben an Gott abzubringen, weil der tief in meiner Seele verankert ist. Es ist doch so: Im Leben muss jeder schauen, was für ihn persönlich wichtig ist. Für mich ist es meine Familie und die Beziehung zu Gott. Ich habe eine tolle Familie und wir haben alle eine sehr enge Verbindung zueinander. Gleiches gilt für meine Bandkollegen. Mich umgeben Menschen, die mir Halt geben. Meine Bühnenshows sind auch nicht antichristlich. Ich spiele Alice Cooper wie eine Figur von Shakespeare – und meine Shows sind auch nicht brutaler als „Macbeth“ oder andere klassische Tragödien. Das ist eben auch Rock ’n’ Roll. Ich fordere vor allem niemanden dazu auf, Drogen zu nehmen oder rumzuhuren. Eine Alice-Cooper-Show ist eher ein Broadway-Musical, eine Flucht in das Unwirkliche.
tip: Mal kurz zurück zu Ihren Anfängen: Zum Ende der High School haben sie im Abschlussjahrbuch als Lebensplan angegeben, dass Sie Millionen Platten verkaufen wollen. Haben Sie diese optimistischen Pläne jemals hinterfragt?
Alice Cooper: Selbstverständlich. Aber es hat am Ende nur drei Alben gebraucht, um das Ziel zu erreichen. Und jetzt bin ich schon bei 60 Millionen!
tip: Wie ist Ihr aktuelles Golf-Handicap?
Alice Cooper: Im Moment eine Drei.
tip: Das ist ziemlich gut. Was bedeutet Ihnen der Sport?
Alice Cooper: Als ich mit dem Trinken aufhörte, fand ich im Golf eine sichere Art der Sucht. Wenn du auf den Platz gehst und fünf oder sechs gute Schläge landest, gehst du am nächsten Tag wieder raus und willst sechs oder sieben gute Schläge landen. Es ist ein Selbstläufer. Je mehr du spielst, desto besser wirst du. Und das ist großartig! Zurzeit spiele ich sechs Tage in der Woche Golf. Ich habe eine wirklich suchtempfängliche Persönlichkeit. Gefällt mir etwas, mache ich es im extremen Maße. Wenn wir auf Tour sind, bin ich mit meinen Gitarristen Ryan Roxie und Chuck Garric jeden Morgen auf dem Platz und spiele neun Löcher. Das ist ein guter Ausgleich. Auf der Bühne denke ich nicht im geringsten an Golf. Und auf dem Golfplatz denke ich ebensowenig an Rock ’n’ Roll. Da kann ich abschalten und ich selbst sein.
Max-Schmeling-Halle Falkplatz 1, Prenzlauer Berg, Fr 13.9., 20 Uhr, VVK ab 70,75 €