Platten im Test

Alben der Woche: Gorillaz hüpfen, Stella Sommer gönnt uns großes Drama

Shockdown vom Lockdown? Klar ist: Wir brauchten schon lang nicht mehr so viel geile Musik, um durchzuhalten. Und es gibt sie auch: Die Gorillaz, um über die Dielen (oder das PVC) zu hüpfen – und Stella Sommer, um sich in die Couch oder an den Teddybär zu kuscheln.

Wer noch vor der Sperrstunde ordentlich Whiskey beim Späti klargemacht hat, kann den Salon zum Saloon umfunktionieren, wo dann Elvis Costello standesgemäß klimpert. Die Eels lassen uns auch nicht im Stich; das Sun Ra Arkestra hingegen schon, so halb zumindest. Wer ganz crazy drauf ist, hört Oneohtrix Point Never. Und wer findet, es ist höchste Zeit für George Michael, aber noch nicht für „Last Christmas“, dem empfehlen wir George Michael 2.0 aus Friedrichshain: Better Person. Diese Platte ist so toll. Better Lockdown garantiert.


Gorillaz: „Song Machine: Season One: Strange Timez“ (Parlophone / Warner)

Pop Welcher der vielen Gastauftritte ist jetzt der schönste? Der pathetische Elton John? Die elegische Fatoumata Diawara? Der grummelige Robert Smith? Die Idee der Gorillaz, über Monate hinweg immer neue Tracks mit wechselnden Gaststars zu veröffentlichen, war jedenfalls eine schöne, wenn auch lange nicht so innovativ, wie viele meinten. Zusammengefasst auf einem Album bebildern die vielen neuen Stimmen nun aber wunderbar, was das Projekt von Damon Albarn schon immer auszeichnete: Wie selbstverständlich, ja schwerelos die Comic-Band durch die Genres hüpft. Immer ein großer Spaß, der wieder einmal mit der eher melancholischen Melodieführung von Albarn im wundervollen Kontrast steht. (Thomas Winkler)


Elvis Costello: „Hey Clockface“ (Concord / Universal)

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Saloongeklimper Ist das jetzt die Scott-Walker-Phase, fragt man sich beim Auftakt: „Revolution 49“ ist eine dunkle Spoken-Word-Nummer, aber mit rauschenden Gitarren bei „No Flag“ schlägt die Platte eine andere Richtung ein, rast durch Elvis Costellos ganze Stil-Bandbreite, glänzt mit Saloongeklimper, Georges-Brassens-Anleihen, feinen Balladen und alter Größe. „Hey Clockface“ ist einfallsreich und catchy. Bloß Costellos Cleverness fehlt: Seine Texte wirken zwischen Polit-Pathos und Abschiedsmelancholie wie Platzhalter. „Hey Clockface“ hat von allem viel, nur Dringlichkeit nicht. (Christopher Wasmuth)


Oneohtrix Point Never: „Magic Oneohtrix Point Never“ (Warp / Rough Trade)

Magic Oneohtrix Point Never

Experiment Wird Daniel Lopatins Musik zugänglicher? Oder immer irrer? Schlecht zu entscheiden, denn kaum hat man sich gewöhnt an ein wundervolles Geblubber, dröhnt plötzlich ein Indie-Chorus, bevor ein Mini-Hörspiel abgelöst wird von einem Free-Jazz-Ausflug mit Club-Beats – oder ganz anders. Der New Yorker packt in jede seine durch die Genres, Rhythmen und Klangfarben springenden Miniaturen so viel wie andere in ganze Alben. So anstrengend wie bereichernd. (Thomas Winkler)


Stella Sommer: „Northern Dancer“ (Northern Dancer Records / The Orchard)

Folk Noir „Northern Dancer“ war ein Galopprennpferd, ein sehr erfolgreiches. In den 1960ern und 1970er Jahren rockte der behufte Tänzer die Rennbahnen. Stella Sommer, bekannt als Bandleaderin von Die Heiterkeit, überführt den „Northern Dancer“ nun endlich ins Reich der Musik. An Popklassikern – den Beatles, Dylan, Velvet Underground – orientiert sich die 33-Jährige auch im Songwriting. Sommer schreibt simple, dunkle Songs, die auf Piano- oder Gitarren-Tonfolgen basieren, versehen mit dieser unverkennbaren, tiefen Altstimme.

Das klingt oft nach hohem Stil, nach großem Drama. Während bei Die Heiterkeit mehr Pop-Appeal dazukommt, geht es auf „Northern Dancer“ getragen, melancholisch, mellow zu. Der Film, den man sich dazu denken muss, wäre wohl eher Neorealismo oder Nouvelle Vague als ein Hollywood-Blockbuster. (Jens Uthoff)


Eels: „Earth To Dora“ (PIAS/Rough Trade)

Earth to Dora

Indie-Rock Ach, niemand macht das so schön wie die Eels. Ganz gemächlich schlürft der Rhythmus, darüber schluffige Gitarren und völlig entspannt singend diskutiert Mark Oliver Everett, was es mit einem macht, wenn die Liebste den Ex vögelt. Für ihr 13. Studioalbum „Earth To Dora“ setzt „E“ das Erfolgsrezept der Eels mal wieder extrem effektiv um: So eingängig, aber trotzdem eigen klang der verschrobene, immer leicht depressive Indie-Rock schon lange nicht mehr. (Thomas Winkler)


Better Person: „Something To Lose“ (Mansions and Millions)

80s-Balladen Rotlicht, Qualm und Saxofon: Better Person hat sein 80s-affines, psychoballadeskes Debüt-Album „Something To Lose“ in Kalifornien klargemacht. Ist der Mann aus Friedrichshain der neue George Michael? Wenn man dieses Synthie-Funkeln, die Midtempo-Beats und diese bis in die Hoöhen so unverschämt sichere Stimme von Better Person hört, bei der man schneller wegschmilzt als Zitronen-Eis am Strand von Sizilien, liegt der Vergleich schon verdammt nahe. Produziert wurde die bilingual polnisch-englische Platte übrigens von Ben Goldwasser von MGMT, dem besten Psych-Pop-Duo der Welt. Es läuft. (Stefan Hochgesand)


Sun Ra Arkestra: „Swirling“ (Strut / Indigo)

Cosmic Jazz Herman Poole Blount ist ja nun schon eine Weile tot, 27 Jahre um genau zu sein. Das Erbe das allgemein als Sun Ra bekannten Musikers, Außerirdischen und Weltverbesserers ist aber dank Epigonen, Kopisten, Okkultisten und anderer Verehrer noch sehr lebendig. Jedenfalls lebendiger als dieses seit über 20 Jahren erste offizielle Album seines mittlerweile von Marshall Allen geleiteten Arkestra, das alte Klassiker und wenige neue Komposition doch bisweilen arg hausbacken umsetzt. (Thomas Winkler)


Mehr zum Thema: Letzte Woche hat Adrianne Lenker alle überholt – sogar James Blake und Bruce Springsteen. Davor hat Woodkid in Melancholie gebadet – und Beabadoobee, bewaffnet mit Fake-Blumen, ließ gröhlen.

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