Platten im Test

Alben der Woche: Nick Waterhouse glitzert, Rhiannon Giddens hypnotisiert

Wie macht der Nick Waterhouse das bloß, dass er so vintage, aber niemals altbacken klingt? Er sollte dieses Geheimnis besser für sich behalten, denn es ist eine wahre Goldgrube – und eins unserer Alben der Woche. Wir haben noch mehr Platten im Test: Xiu Xiu jedenfalls haben sich Gäste geladen, um frisch zu bleiben, Sharon van Etten und Owen Pallett zum Beispiel. Rhiannon Giddens ist so ziemlich die einzige Sängerin der Welt, von der wir „Amazing Grace“ in einer neuen Version hören wollen. Thomas Fehlmann lässt den Techno lieber treiben, statt zu pumpen. Cassandra Jenkins träumt von sich selbst als Hund mit drei Beinen. What the fuck?! The Reds, Pinks and Purples haben den buntesten Bandnamen und erinnern an The War On Drugs. Und Jane Weaver erinnert uns daran, warum wir uns irgendwann in die Popmusik verliebt haben. All dies und all dies auf einmal bei unseren Alben der Woche, den Platten im Test.


Nick Waterhouse: „Promenade Blue“ (Innovative Leisure/Membran)

Retro-Pop Sollte es also tatsächlich noch mal zu einem vierten Teil von „Zurück in die Zukunft“ kommen, wissen wir, wo der Soundtrack bestellt werden kann: Niemand wohl stellt aktuell so liebevoll aufpoliert, so stimmungsvoll und so ehrerbietig den Sound der späten Fifties und frühen Sixties nach wie Nick Waterhouse. Der Musiker aus Los Angeles lässt das goldene Zeitalter des Rock’n’Roll nicht nur wiederauferstehen; bei ihm stolziert noch der simpelste Bubblegum Pop eine glitzernde Samstagabendshowtreppe hinab. (Thomas Winkler)


Xiu Xiu: „Oh No“ (Polyvinyl/Rough Trade)

Noise-Pop Ein zwischenmenschliches Zerwürfnis war dem Vernehmen nach der Ausgangspunkt dafür, dass Xiu Xiu-Mastermind Jamie Stewart diesmal auf Dialog setzt: Duette sind aber nun wirklich unerwartetes Terrain für eine Band, die sonst mit Postpunk, Noise und Elektronik verstört. Allzu tiefe Spuren haben die Gäste – von Sharon van Etten über Owen Pallett zu Liz Harris aka Grouper – aber nicht hinterlassen. Das Album klingt nach Stewart, nur zugänglicher. Etwas Austausch tut dem erklärten Misanthropen offenbar gut. (Stephanie Grimm)


Rhiannon Giddens: „They’re Calling Me Home“ (Nonesuch/Warner)

Americana „Amazing Grace“? Zum 872.836. Mal? Muss das sein? Andererseits: Das, was Rhiannon Giddens daraus macht, nämlich eine mit hypnotischen Trommeln unterlegte, gesummte Meditation, das verweist auf die tiefsten afrikanischen Wurzeln des Klassikers, beschreitet aber zugleich die kurzen Wege des globalen Dorfes. So traditionell die Coverversionen und wenigen eigenen Songs auf „They’re Calling Me Home“ auch klingen, so sehr zeigen sie der US-Folklore, sei es nun Bluegrass, Gospel, Appalachen-Folk oder Blues, einen Pfad in eine Jetztzeit ohne musikalische Grenzen. (Thomas Winkler)


Thomas Fehlmann: „Böser Herbst“ (Kompakt)

Autoren-Techno Fehlmanns Musik hat auf dem Dancefloor nichts zu suchen, weil sie dort alles schon gefunden hat. “Böser Herbst” widmet sich einer Auffassung von Techno-Musik, die nicht pumpt und stattdessen treibt. Die mit wattigem Rauschen und verschlissenen Samples unterfütterten Ambient-Dub-Loop-Grooves erinnern merklich an den Sound des GAS-Projekts von Kompakt-Chef Wolfgang Voigt. Und wie sich die Zielgruppe nach einem Durchlauf fühlt, bringt ein Tracktitel perfekt auf den Punkt: “Umarmt”. (Kristoffer Cornils)


Cassandra Jenkins: „An Overview On Phenomenal Nature“ (Ba Da Bing)

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Folk-Pop Von den vielen schönen Geschichten, die Cassandra Jenkins auf ihrem zweiten Album erzählt, ist die allerschönste die, in der sich die US-Amerikanerin selbst als dreibeinigen Hund vorstellt. Wie man lernt, mit den Realitäten klarzukommen, während man dem nachtrauert, was man verloren hat, wird im Song „Michelangelo“ exemplarisch durchgespielt, bestimmt aber die Stimmung des ganzen Albums, das zielsicher zwischen Selbstbehauptung und Melancholie torkelt – und deshalb allen Fans von Big Thief sehr gut gefallen wird. (Thomas Winkler)


The Reds, Pinks and Purples: „Uncommon Weather“ (Tough Love/Cargo)

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Gitarren-Pop Wer The War On Drugs mag, also die Band, der sollte auch hier mal reinhören: verhallte Vocals auf bittersüß-melodischen Melodiebögen, gestützt durch sanft verzerrte Gitarren. Und dieses Gefühl, dass die Welt gerade noch in den Angeln ruht, aber jeden Moment an die Wand knallen könnte. Der Sound ist, zugegeben, etwas cheaper als bei TWOD: guilty Drum Machine und Keyboardstreicher. Aber man glaubt auch hier dem Sänger jede Silbe, und wo gibt‘s das schon? (Stefan Hochgesand)


Jane Weaver: „Flock“ (Fire Records/Cargo)

Pop Man hatte ja fast vergessen, was Pop alles sein kann. So gesehen setzt Jane Weaver mit „Flock“ ein Statement gegen die streamingbedingte Verarmung, denn der Pop auf dem neuen Solo-Album der mit Kill Laura bekannt gewordenen Engländerin ist nicht nur Hitmaterial, sondern auch Klangforschung, ist mal hingetupft und dann doch episch, ist tanzbar und kontemplativ, lässt sich Zeit und kommt auf den Punkt, ist psychedelisch und stocknüchtern – und das alles notfalls auch auf einmal. Ein Album, das sich leicht weghört, aber doch auch zum Versinken taugt. (Thomas Winkler)


Mehr Musik

Psssst, nicht weitersagen, aber: Die Alben der Woche von letzter Woche sind immer noch so richtig gut. Hypeverdächtig geradezu mit Dry Cleaning und Jonas Nays Band Pudeldame, die mit „Berlin Midde“ eine ganz eigene Stadthymne geschrieben haben. Ein heißer Kandidat für das Album des Jahres ist jetzt schon Serpentwithfeet mit seiner Gospel-R&B-Feier der queeren Liebe.

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