Platten im Test

Alben der Woche: Sophia Kennedy begeistert mit Geistern, Haiyti hat den Flow

Immer wenn das Album der Woche aus Hamburg kommt (so in etwa alle 20 Jahre mal), sind wir schwer neidisch in Berlin. Aber man kann es nicht anders sagen: „Monsters“ von Sophia Kennedy ist DAS Album, das uns Ende das Jahres oben auf den Jahresbestenlisten wiederbegegnen wird. Wie klingt das? In etwa so, als würden sich Ella Fitzgerald, Tracy Chapman und Erykah Badu per Zeitmaschine in der Zukunft treffen. Kein Witz! Aber was haben wir in der Hauptstadt? Haiyti und ihren berlinischen Kiez-Trap. Die Gute haut jetzt schon ihr drittes Album innerhalb von nur zwölf Monaten raus. Tracks von der Resterampe oder endgeil? Findet es heraus bei unseren Platten im Test, den Alben der Woche. Ach ja: Wer ein Herz hat, klickt auch den Videoclip von Brockhampton, in dem Lil Nas X und Dominic Fike kuscheln und knutschen.


Sophia Kennedy: „Monsters“ (City Slang/Rough Trade)

Weird-Pop So fängt es an: Ein schleifender Albtraum-Beat, Geräusche aus dem Unterbewusstsein, und Sophia Kennedy singt mit geisterhaft gedehnter Stimme von Tieren, die einen heimsuchen. Auch sonst geht es auf dem zweiten Album der in Hamburg lebenden US-Amerikanerin gern ums Irresein, um außerkörperliche Erfahrungen, um Katzen auf der Zunge, während die elektronische Klangerzeugung die absonderlichsten, verquersten, bizarrsten Sounds aus den Tiefen des Kosmos klaubt. Ach ja: Tolle Melodien kann Kennedy auch noch. (Thomas Winkler)


Haiyti: „Mieses Leben“ (Hayati Musik/Universal Urban)

MIESES LEBEN

Kiez-Trap Zu avantgardistisch für die breite Masse? Feuilletonisten kriegen zwar Herzklopfen, wenn sie ein neues Haiyti-Release besprechen dürfen; der große Durchbruch bleibt ihr aber weiter verwehrt. „Ich versteh nicht, warum es nicht populär wird“, gestand die Berlinerin kürzlich im „Reflektor“-Interview. Auf ihrem nunmehr dritten Album in nur zwölf Monaten, bleibt sie ihrem bisherigen Sound jedenfalls treu: Durch ihre ständigen Wechsel in Stimmlage und Reimstruktur geraten ihre Flow-Pattern besonders erfrischend und eignen sich perfekt, um den bekannten Deutschrap-Narrativen (Drogenhandel und Depression) ein neues Gewand zu geben. Ob sich mit solcher Musik der Mainstream erobern lässt, bleibt allerdings zweifelhaft. Aber auch, ob das wichtig ist. (Benedikt Kendler)


DJ Black Low: „Uwami“ (Awesome Tapes From Africa/Cargo)

Afrobeatz Amapiano wurde im Miteinander von House und Kwaito geboren. Die elf Tracks auf DJ Black Lows Debütalbum „Uwami“ setzen dem farbenfrohen und Vocal-lastigen Ansatz des südafrikanischen Genres eine trockene und entschlackte Ästhetik entgegen und positionieren sich so gegen dessen Verwässerung und Ausverkauf. Die Akzente liegen auf harten Percussion-Klängen und schnalzenden Grooves; einige dieser Tracks würden in einem Gqom-Set kaum auffallen. Ein gleichermaßen deutliches wie bes(ch)wingtes Statement. (Kristoffer Cornils)


Linn Koch-Emmery: „Being The Girl“ (Boy Tears/Membran)

Being the Girl

Indie-Rock „All these hours in expensive therapy / Didn‘t help a thing“, singt Linn Koch-Emmery auf ihrem Debüt und beschwört ihr eigenes Ableben. An anderer Stelle fordert sie lebenshungrig: „Blow my mind.“ Auch musikalisch begibt sich die Schwedin auf Achterbahnfahrt, stürmt mit treibendem Bass und tösenden Shoegaze-Gitarren los oder tupft zarten Dream-Pop in den Nachthimmel. Hätte Lana Del Rey in einer UK-Indie-Band der späten 1980er-Jahre gespielt, wäre ihr Name wohl Linn Koch-Emmery gewesen. (Nina Töllner)


Brockhampton: „Roadrunner: New Light, New Machine“

Bubblegum-Rap Brockhampton beschreiben sich selbst als Boygroup, was zusammen mit der Verwurzelung im Rapgenre stets musikalisches Konfliktfeld bereitete. Wenn sie auch verlautbaren, der Thematik inzwischen müde zu sein, zieht sich diese Gegensätzlichkeit auch durch ihr neuestes und wohl zugleich vorletztes Album „Roadrunner: New Light, New Machine“. Während die Texte mit sozialkritischen Themen und persönlichen Offenbarungen vergleichsweise schwere Kost sind, ist der Sound ein buntes Potpourri: Hier treffen sich die rohe Atmosphäre frühen Atlanta- oder NYC-Raps mit allzu poppigen Eskapaden zwischen gitarrenlastigem R’n’B und dem Schmalz manch klassischer Boygroup. Was nicht bedeutet, dass dies jeweils für sich betrachtet schlecht wäre. In seiner Gegensätzlichkeit mutet das Album nur streckenweise mehr wie der Sampler eines Tanzfilm an denn wie das Werk einer einzigen Bigband. (Ben-Robin König)


Dodie: „Build A Problem“ (The Orchard)

Pop Dodie sollte man nicht mit Dido verwechseln. Auch wenn beide ein exzeptionelles Gespür für verträumte Pop-Melodien mit ganz großer Gestik ­haben. Das Klangfundament der 26-jährigen Dodie ist allerdings viel akustischer grundiert, da sie ja (neben vielem Anderen) auch Bariton-Ukulele und Klarinette spielt. Sanglich bewegt sich die (selbstbewusst bisexuelle) Dodie zwischen Haim und Lorde, um Selbstzweifel zu überwinden und auf den Regenbogen zu steigen. (Stefan Hochgesand)


Mehr Musik

Diese Woche gibt’s noch mehr geile Musik aus Berlin – aus den 1980er-Jahren zwar, aber fresh remastered: „Afternoons in Utopia“ und „The Breathtaking“ von Alphaville. Bei uns hat die Band ausgepackt über Drogen und ihre wilden Zeiten in West-Berlin. Dass aus Berlin überhaupt so viel geile Musik kommt, hat natürlich viel zu tun mit unseren Weltklasse-Clubs, die als Kulturstätten anerkannt wurden. Wer Trost braucht: Das Album „Hinüber“ der Berliner Pop-Hiphopperin Mine ist der Kick gegen Weltschmerz. Außerdem bei unseren Platten im Test: Dawn Richard rettet die Zukunft, Danger Dan rettet die Kunstfreiheit.

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