Die Berlinerin Joplyn macht fantastische Nachtmusik an der Schnittstelle von Deep House, Dream Pop und R’n’B. Im Interview mit tipBerlin spricht sie über ihr Debütalbum „Pappelallee“, Identität – und Unterhosen.
tipBerlin Joplyn, Ihr Debütalbum „Pappelallee“ ist nach der Straße benannt, in der Sie aufgewachsen sind…
Joplyn Genau, bis ich sieben war, habe ich dort gewohnt.
tipBerlin Was verbinden Sie mit der Gegend?
„Wenn ich heute an die Pappelallee denke, kommt sie mir vor wie ein utopischer Ort“
Joplyn Ich bin ja immer ein wenig misstrauisch, was meine Kindheitserinnerungen betrifft, aber wenn ich heute an die Pappelallee denke, kommt sie mir vor wie ein utopischer Ort. In meiner Erinnerung hat immer die Sonne geschienen, was ja schon mal gar nicht stimmen kann. Meine beste Freundin hat in derselben Straße gewohnt, sie in der Nummer 77, ich in der 88. Und dann sind wir gemeinsam durch den Prenzlauer Berg stolziert, mit unseren Unterhosen auf den Köpfen…
tipBerlin Unterhosen?
Joplyn Ja, das war unser Look. Wir wollten die irgendwie nicht normal anziehen, sondern lieber auf dem Kopf tragen. Mit meiner Mama bin ich auch gerne zum Helmholtz- oder Kollwitzplatz gegangen, auf den Spielplatz. Und im Ali Baba, einem Pizzaladen an der Kreuzung zur Eberswalder Straße, da war ich auch ganz oft.
Für mich sind die Erinnerungen an diese Gegend nur schön, und auch so unschuldig. Irgendwie passte das für mich zum Album – nicht, weil es besonders fröhlich ist, sondern weil ich damit die melancholischen Erinnerungen an die Pappelallee verbinde, die ja heute nicht mehr so ist wie damals.
tipBerlin Hat sich die Stadt in Ihre Musik eingeschrieben?
Joplyn Wie ich meinen Sound gefunden habe, hat viel damit zu tun, dass ich in Berlin aufgewachsen bin. Meine ersten Lieder waren ja Gedichte, die ich dann zu Melodien verwandelt habe. Dadurch, dass mein gesamtes Umfeld auf Techno und Electronic steht, habe ich meinen Sound irgendwann intuitiv in diese Richtung geformt. Ich habe mich weg vom reinen Klaviersound bewegt, mir Ableton runtergeladen und ein Keyboard gekauft, sodass ich auch Synthies spielen konnte.
tipBerlin In Ihren Videos kultivieren Sie einen sehr artifiziellen Look und sind oft opulent kostümiert. Wann fühlen Sie sich verkleidet?
Joplyn Eigentlich nie. Auch wenn ich kein Video shoote, ziehe ich mich gern so ausgefallen an, dass mich Leute auf der Straße gleich zweimal angucken. Ausgefallene Kleidung fühlt sich nicht wirklich wie ein Kostüm an, sondern wie ein erweiterter Ausdruck meiner künstlerischen Identität.
tipBerlin Ist Joplyn also eine Kunstfigur?
Ja, ich würde schon in Richtung Kunstfigur tendieren. Deshalb habe ich mich auch dafür entschieden, nicht meinen richtigen Namen zu verwenden. Wenn ich als Joplyn irgendwo hingehe, fühle ich mich anders, als wenn ich als Privatperson unterwegs bin.
tipBerlin In Ihrem neuen Song „Mind Actress“ singen Sie: „I’m just an actress, playing roles in your head“ – Sie seien nur eine Schauspielerin, die verschiedene Rollen in den Köpfen anderer Menschen spiele. Das klingt nach einer sehr selbstermächtigten Art, über seine Außenwahrnehmung nachzudenken: Sie als Darstellerin, die ihre Scharaden aufführt. Inwieweit, glauben Sie, können Sie Ihre Wirkung auf andere beeinflussen?
Für Joplyn ist Identität wandelbar
Joplyn Der Begriff „Mind Actress“ ist erst einmal nichts Ermächtigendes, sondern eine Metapher dafür, dass so viele verschiedene Versionen von mir in den Köpfen von unterschiedlichen Leuten existieren – auch, wenn es nur jemand ist, den ich flüchtig in der U-Bahn gesehen habe.
Identität ist generell ein Thema, das mich schwer beschäftigt. Wer bin ich eigentlich, wenn alles, was ich bin, erst durch andere kommt? Alle sagen immer, Identität sei etwas Festes, aber eigentlich ist sie sehr wandelbar. Ich werde mehrmals am Tag zu einer anderen Person – abhängig davon, mit wem ich gerade zu tun habe. Identität ist auch immer eine Frage von Aktion und Reaktion.
tipBerlin Gibt es für Sie trotzdem ein paar Identitätsanker?
Joplyn Nichts ist festgeschrieben. Ich habe mir über die Jahre Verhaltensweisen beigebracht, auf die ich natürlich zurückfallen kann. Aber wenn ich mich einen Monat lang einschließen würde – oder mich, im Gegenteil, mit ganz neuen Leuten umgeben würde –, könnte ich meine komplette Persönlichkeit verändern.
tipBerlin Welche Rolle spielt Ihre Familiengeschichte für Ihre Identität?
Joplyn Mein Vater ist Vietnamese, aber in Deutschland aufgewachsen, er spricht nicht wirklich Vietnamesisch. Seine Mutter wiederum war im Zuge des Vietnamkriegs nach Kanada geflüchtet, was bedeutet, dass ich dort ganz viel Verwandtschaft habe. Ich bin also gewissermaßen zwischen den Kulturen aufgewachsen, wir haben zum Beispiel vietnamesische Feste gefeiert. Ich würde aber trotzdem sagen, „ich fühle mich nicht so vietnamesisch wie ich aussehe“, was ich traurig finde.
tipBerlin Welche Projektionen von außen nerven Sie?
Joplyn Man wird oft als „Entweder-Oder“ eingestuft, zum Beispiel entweder introvertiert oder extrovertiert. Viele sehen da nur Schwarz und Weiß und übersehen die vielen Grautöne, die dazwischen liegen. Zusätzlich wird man als Frau in der elektronischen Musik oft kategorisiert – weil man ein Einzelfall ist. Natürlich gibt es Frauen in dem Bereich, aber am Ende sind es doch viele Männer, die Techno machen. Als junge Frau wird man da von vielen nicht so ernst genommen.
tipBerlin Von Booka Shade bis Robot Koch haben schon viele namhafte Produzenten Ihre Songs geremixt. Freuen Sie sich darüber – oder nervt der Kult um die Remixe von männlichen Stars auch mal?
„Für das Remix-Album würde ich am liebsten nur Frauen verpflichten“
Joplyn Ich gebe meine Songs gerne aus der Hand, weil ich es interessant finde, wie andere mit meiner Stimme arbeiten. Und der Booka-Shade-Remix hat ja auch meine Karriere vorangebracht. Aber den generellen Kult um Männer in der elektronischen Musik gilt es zu verändern. Für das Remix-Album von Pappelallee würde ich am liebsten nur Frauen verpflichten. Meine Traumkandidatin wäre Maya Jane Coles.
- Joplyn: „Pappelallee“ (Stone Free Berlin), das Album könnt ihr hier anhören
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