Drei Millionen Menschen haben in den vergangenen anderthalb Wochen schon den digitalen Club #UnitedWeStream besucht. Was bleibt für die Clubs an Geld tatsächlich hängen? Wir haben die harten Fakten, die nackten Zahlen
Nichts Geringeres als den größten digitalen Club will „United We Stream“ zu jedem nach Hause bringen. Seit dem 18. März werden täglich zwischen 19 und 24 Uhr live DJ-Sets aus verschiedensten Berliner Clubs gestreamt, jeden Tag aus einem anderen. Feierndes Publikum gibt es nicht in den Clubs, aber dafür ist man am DJ so nah dran wie sonst fast nie. An Licht-Effekten wird auch nicht gespart. Wer sich das zuhause mit dem Beamer auf die Wohnzimmerwand projiziert, hat ein Maximum an Club-Gefühl, im Rahmen des zurzeit Gesunden und Erlaubten.
#UnitedWeStream soll den Clubs Geld bringen – doch reicht das?
Weltbekannte Läden wie das Watergate, der Tresor, das Kater Blau und die Griessmühle wurden so schon insgesamt drei Millionen mal in die Wohnzimmer gebeamt. Aber auch tolle Geheimtipps wie Anomalie knapp vor dem S-Bahn-Ring – und Zur Klappe, ein einstiges schwules Cruising-Klo.
Am vergangenen Sonntagabend waren DJs vom normalerweise hundert Mitarbeiter*innen starken SchwuZ am Start, dem queeren Club auf dem Rollberg in Neukölln: Bambi Mercury, Caramel Mafia, Marsmaedchen, Mermaid. Und sie haben das prima gemacht. Gerade der Spirit im SchwuZ lebt ja davon, dass eine feierwütige Crowd sich antanzt und zusammen Songs von Madonna und Lady Gaga schmettert. Das blieb nun zwangsläufig aus. Aber die DJs haben gleichwohl den typisch poppig-melodischen SchwuZ-Sound nach Hause gebracht und haben auch so vergnügt mitgetanzt, dass man sich vor dem Wohnzimmer-Beamer nicht mehr allein gefühlt hat.
Wie der SchwuZ-Spirit von der feierwütigen Crowd jetzt weiterlebt
Phantastischer Einsatz! Aber lohnt sich das Ganze eigentlich?
Die Einschaltquoten von insgesamt beachtlichen 3 Millionen Klicks über die Tage hinweg klingen nach einem riesigen Erfolg. Und sie bleiben auch einigermaßen gleich hoch, egal ob ein sehr bekannter oder ein eher unbekannter Club gerade filmt. Witzigerweise sind die Rush Hours übrigens keineswegs zwischen 22 und 24 Uhr, sondern eher zwischen 19 und 22 Uhr – also deutlich früher als das Partyleben in Berlin an einem normalen Abend starten würde. Gut, aber vielleicht würde man in einer normalen Woche auch nicht am Montag, Dienstag und dann auch noch Mittwoch wieder abtanzen? Zurzeit aber hilft das den Nerven natürlich besser als jede Schokolade.
10 Cent pro digitalem Club-Besuch. Da ist viel Luft nach oben
Nun aber zu den nackten Fakten, zu den harten Zahlen: 300.000 Euro an Spenden hat „United We Stream“ bisher bekommen. Das ist ein ganz beachtlicher Betrag. Toll! Wenn man sich aber noch mal an die 3 Millionen Zuschauer*innen erinnert, sind es andererseits auch nur läppische 10 Cent pro digitalem Club-Besuch. Da ist viel Luft nach oben!
Im „echten Leben“ würde man ja auch 15 Euro für den Eintritt und noch mal das Gleiche, mindestens, an Drinks ausgeben. Und fürs Klo. Und das ganz ohne Toilettenpapierprobleme.
Klar, im Moment müssen die meisten auf die Sparbremse drücken, aber ein Euro pro digitalem Club-Besucht sollte vielleicht trotzdem drin sein, nicht? Oder zwei oder drei.
Mit den Einnahmen unterstützt die Clubcommission Härtefälle
Was aber passiert eigentlich mit den Spenden? Lutz Leichsenring von der Clubcommission, die das Projekt initiiert hat, steht dem tip Rede und Antwort: „Mit den Einnahmen werden Härtefälle unterstützt, die zum Beispiel nicht mehr ihre Miete bezahlen können. Die gesamte Szene können wir damit nicht retten, da aktuell mehr als 10 Millionen Kosten monatlich zu denken sind. Wir konzentrieren uns mit dem Spendentopf auf Clubs und Veranstalter*innen, damit Künstler*innen auch nach Corona noch Auftrittsmöglichkeiten haben werden.“
Überrascht hat Lutz Leichsenring die große Solidarität, die Clubs und Veranstalter*innen insgesamt erhalten. „Die Community spendet nicht nur bei United We Stream, sondern auch direkt an einzelne Clubs die Fundraiser gestartet haben.“
Doch wie lang kann das so weiter gehen?
„Das Berliner Programm steht auch mit täglichen Streams bis Mitte April“, sagt Leichsenring. „Wir binden ab dieser Woche weitere Städte wie zum Beispiel Hamburg, Wien und Stuttgart ein. Wie es nach dem 20. April weitergeht, müssen wir aber noch gemeinsam entscheiden.“ Es steht viel auf dem Spiel: 9.000 Menschen arbeiten in der Berliner Club-Szene. Und Millionen in aller Welt lieben Berlin wegen seiner Clubs.
Am Montagabend machte „United We Stream“ im Yaam Station, am Pult stand unter anderem Barney Millah, live war auch Bony Carmel Zoom dabei. Das Yaam war schon immer ein durch und durch solidarisches Projekt.
Eine Solidarität, die wir jetzt alle brauchen können. Solidarität zum Mittanzen.
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