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Berliner Veranstaltungsbranche: Lockdown vorbei, Krisenmodus bleibt

Ob Berlin oder Brandenburg, lange Zeit ächzte die Veranstaltungsbranche. Zwei Jahre, um genau zu sein. Zwei Jahre, in denen ihre Bühnen verwaisten, in denen ihre Boxen verstummten, in denen Künstler:innen wie auch Besuchende auf Abstand blieben. Die Corona-Pandemie stürzte viele Festival- und Konzertveranstalter:innen in eine finanzielle Krise. Einige bastelten sich digitale Fallschirme, doch die bremsten den Sturz nicht wirklich. Zwar konnten sich Musikbegeisterte Tickets für Internet-Konzerte kaufen, die Veranstlatungsbranche damit unterstützen, doch diese Begeisterung dürfte sich im Rahmen gehalten haben. Es sind eben auch nur bessere Youtube-Videos.

Veranstaltungsbranche in der Krise? Sieht doch erstmal gut aus, das „Zurück zu den Wurzeln“-Festival 2022. Foto: Yoran Nesh

Berliner Veranstaltungsbranche: Deutlich mehr verkaufte Karten als Besuchende

Dieses Jahr ist es anders. Die Corona-Beschränkungen sind weitgehend aufgehoben, Festivals finden wieder in gewohnter Umgebung und gewohntem Umfang statt. Ticketverkäufe laufen wieder, Instagram-Profile füllen sich mit Impressionen von fröhlichen Menschen vor großen wie kleinen Bühnen. Ob Festival oder Konzert, Besuchende sind in Massen da. Sieht doch alles gut aus. Nach außen hin mag das so wirken, doch die Veranstalter:innen kämpfen noch immer – mit Corona-Nachwehen, aber auch weiteren Problemen.

„Eine hohe Ticketnachfrage hatten wir schon, waren sogar ausverkauft“, sagt Ute Füsgen von M.A.D Booking, den Veranstaltenden vom Berliner „Punk & Disorderly“-Festival. „Ein Viertel der Leute sind allerdings nicht erschienen. Ich höre überall von Veranstaltern, dass 20 bis 30 Prozent nicht kommen.“

Ähnlich verhält es sich bei Konzerten. Laut einem Pressesprecher der Kulturfabrik seien bestimmte Events nur noch 40 bis 50 Prozent ausgelastet, zu diesen zählen etwa Auftritte von weniger bekannten Musiker:innen. Immerhin: Bei verschobenen Konzerten sind es 70 bis 80 Prozent. Ein Grund dafür ist ein Überangebot. Viele Veranstaltungen der vergangenen zwei Jahre werden nachgeholt, einiges läuft parallel. Jedes Wochenende wühlen sich Musikbegeisterte durch einen Wust aus Acts. Für sie ist das schön, für Veranstalter:innen stressig.

Zudem besteht die Frage, ob Veranstaltungen auch wirklich stattfinden. Zwei Jahre Ungewissheit haben ihre Spuren hinterlassen. Vorbei ist das noch nicht, die Corona-Pandemie schwelt weiterhin, die Angst vor einer Infektion ist nach wie vor real. Je nach Altersgruppe fällt diese jedoch unterschiedlich ins Gewicht. „Während Konzerte mit sehr jungem Publikum gut funktionieren, fehlen bei Konzerten mit einem Publikum ab 35 Jahre oft 20 bis 40 Prozent im Vergleich zu 2019“, sagt der Veranstalter Christian Morin, der unter anderem die Reihe „Sonic Morgue“ im Silent Green ausrichtet.

Konzerte und Co.: Was tun, wenn alles teurer wird?

Das „Zurück zu den Wurzeln“-Festival fand Anfang Juni statt und war ebenfalls nicht vollständig ausgelastet, beschweren wollen sich die Veranstalter:innen aber nicht. „Die Resonanz war wahnsinnig gut“, heißt es von der Pressesprecherin Lara Wassermann. „Natürlich besteht die Frage, ob die Nachfrage ohne Corona höher gewesen wäre. Kann man nur mutmaßen, aber ich glaube nicht.“ Im kommenden Jahr rechnet sie mit rund 5.000 Besucher:innen mehr. „Wir sind gerade im Vorverkauf für nächstes Jahr. Es läuft.“ Es ist ein positives Beispiel, stellvertretend für die ganze Branche ist es aber nicht.

Und wenn Leute Karten kaufen und nicht kommen, führt das zu einem Problem: Die Menschen kaufen weder Essen noch Getränke. Mehr Einnahmen sind jedoch nötig, vor allem mit Blick auf die angebotsseitigen Preisschocks. Die Energiepreise stiegen in diesem Jahr enorm. 2019 lag der Jahresdurchschnittspreis für Strom bei rund 37 Euro je Megawattstunde. Im vergangenen März kostete die Megawattstunde bereits 253 Euro.

Sunday Ballroom Jam im SO36. Foto: Montecruz Foto

Nun steckt Energie quasi in allem drin. Lagerung, Transport, Infrastruktur und Technik kosten deutlich mehr als vor zwei Jahren. Getränke und Essen ebenfalls. So hatte das Wurzelfestivaleinen Gesamtkostenanstieg um 42 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit, beim Punk & Disorderly-Festival im Mai im Astra-Kulturhaus waren es 50 Prozent. Trotz Ausverkauf machte letzteres Minus. Bei Konzerten fallen die Zahlen ähnlich aus. Die Preissteigerungen müssen die Konsument:innen mittragen, in Form von höheren Ticket- und Getränkepreisen. Irgendwie müssen diese schließlich ausgeglichen werden. Dauerhaft in Kauf nehmen werden das wohl wenige. Die Teuerungen treffen alle.

„Die gesamten Lebenshaltungskosten steigen nun mal, da müssen die Leute Abstriche machen. Den Rotstift eher bei Kultur als bei Essen oder Strom anzusetzen, ist entsprechend wahrscheinlich“, sagt Ute Füsgen vom Punk-&-Disorderly-Festival.

Wo sind die Anpacker in der Veranstaltungsbranche?

Andere Veranstalter:innen klagen ebenfalls über gestiegene Kosten. Dass sie zwei Jahre lang nur abgespecktes Programm hatten, es also ohnehin zu weniger Einnahmen kam, macht das Kostenproblem umso gewichtiger. Der Staat könnte der Veranstaltungsbranche etwas Last von den Schultern nehmen, Hilfspakete schnüren. Ein FDP-Finanzminister mit Sparfetisch wird dem aber kaum nachkommen. Neben gestiegenen Kosten und fortbleibenden Besucher:innen (trotz Kartenkaufs) gibt es jedoch noch eine weitere Schwierigkeit: das Personal.

Viele Jobs in der Veranstaltungsbranche brachen innerhalb von zwei Jahren Pandemie und Unsicherheiten weg. Corona-Hilfen bekamen die Betroffenen häufig nicht. Sie mussten sich umorientieren. „Es gibt immense Personalengpässe in allen Bereichen. Produktion, Technik, Security und bei anderen Dienstleistungen“, sagt Veranstalter Christian Morin. Die Leute seien abgewandert und hätten Angst in die Branche zurückzukehren.

„Wer kann ihnen schon versprechen, dass sie im Herbst nicht wieder ihren Job verlieren? Auch hat Corona gezeigt, dass die Position der Soloselbstständigen in einer solchen Situation eine Katastrophe ist.“ Soziale Sicherungssysteme fehlen für sie und einige fielen zudem durch das grobmaschige Netz staatlicher Hilfen.

Bleibt nur noch Optimismus

Konzertveranstalter haben noch den Vorteil, dass sie eine Mischung aus festen und freien Mitarbeitenden haben. Festivals setzen hingegen überwiegend auf Freie. So oder so, letztlich müssen jetzt alle Veranstalter:innen aus einem deutlich kleineren Mitarbeiter:innenpool fischen. Zumindest ist ein dicker Köder, also eine ordentliche Bezahlung nötig, damit die Leute anbeißen. In der Vergangenheit neigten viele Veranstalter:innen zum Lohndumping, sagt eine Pressesprecherin des Wurzelfestivals. Naheliegend wäre also die Annahme: Wer viel zahlt, wird schnell fündig.

Die Berliner Band „SOMETIMES WITH OTHERS“ bei Sonic Morgue Ende März 2022 im Silent Green. Foto: Christian Morin

Durch die vielen Überschneidungen bei Veranstaltungen und einem generellen Überangebot bei gleichzeitigem Kräftemangel, muss ein fairer Lohn aber kein Garant für eine Vollbesetzung sein. Es braucht Nachwuchs; der muss gelockt werden. Mehr Sicherheiten, bessere Löhne. Damit sich die Personalprobleme also bessern, sind gesamtgesellschaftliche Debatten über die Arbeit von Selbstständigen nötig. „Die Sicherungssysteme für Freischaffende, die ja in der Kultur vorherrschend sind, müssten komplett neu überdacht werden“, sagt Christian Morin. Wann das geschieht, ist jedoch eine offene Frage. Selbstständige werden schnell vergessen.

Gut möglich, dass sich all die Sorgen der Veranstalter:innen in den nächsten Jahren auflösen, dass kein weiterer Lockdown kommt, dass es wieder mehr Soloselbstständige gibt. „Alle hoffen auf eine Normalisierung im Jahr 2023“, sagt Morin. Müssten Konzerthallen in diesem Jahr nochmal schließen und Festivals abgesagt werden, könnte es für einige das Ende bedeuten. Aber so schlecht wie es auch der Branche in den vergangenen zwei Jahren ging, ihre Akteur:innen bleiben optimistisch. Ja, die Kosten mögen gestiegen sein und ja, es mangelt an Personal, gelegentlich auch an Besuchenden. Doch letztlich ist Kultur ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Viele Menschen feiern gerne, lieben Livemusik, wollen etwas erleben, sei es auch nur ein wenig bechern auf einem Festivalgelände. Es wäre ein Jammer, wenn das nicht mehr ginge – nicht nur in Berlin.


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