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Kultur im Livestream: Berlins Künstler*innen mit Klavierkonzerten, Talk und Tierleben

Kultur in Berlin besteht derzeit vor allem aus Livestreams. Viele Künstler*innen in der Stadt haben in den vergangenen Wochen Wohnzimmer, Küchen und leere Bühnen genutzt, um mit beispielloser Routine ein ziemlich hochklassiges Angebot auf die Beine zu stellen.

Wir stellen einige vor: Die tägliche Dosis Klaviermusik ist selbstverständlich dabei, aber auch Live-Literatur, das Leben wilder Tiere sowie Politiker*innen und Promis auf allen Kanälen.

Macht’s schon ewig und macht nun weiter: Jürgen Kuttner

Livestream hieß früher Radio – und Jürgen Kuttner ist einer der besten darin. Hier ist er bei einer Probe im Deutschen Theater zu sehen. Foto: imago/Martin Müller
Livestream hieß früher Radio – und Jürgen Kuttner ist einer der besten darin. Hier ist er bei einer Probe im Deutschen Theater zu sehen. Foto: imago/Martin Müller

Livestream, was für ein schreckliches Wort – bei Jürgen Kuttner heißt es „Sprechfunk“ und geht schon seit Jahrzehnten. Der Kulturwissenschaftler, Videoschnipsel-Wissenschaftler und Radiomoderator hat gerade einige längere Pausen hinter sich. „Von Mainz bis an die Memel“ braucht die Bühne und das Publikum, was sich derzeit als schwierig erweist. Für das letzte Theaterstück „Hasta la Westler, Baby!“ ist der Vorhang wegen Corona auch vorzeitig gefallen. Aber der „Sprechfunk“, diese legendäre Radio-Anruf-Talkshow, die außer Mikro, Telefon und abseitiger Musikauswahl nichts braucht, sendet seit 22. April wieder jeden Mittwoch um 21 Uhr und ist danach als Podcast verfügbar.

Sprechfunk auf Radioeins


Berlins Star der Livestream-Kultur: Igor Levit spielt jeden Abend

Igor Levit ist gefeierter Pianist. Mit seinen täglichen Livestreams ist er auch zu einer Internet-Berühmtheit geworden, nicht nur in Berlin. Foto: Robbie Lawrence
Igor Levit ist gefeierter Pianist. Mit seinen täglichen Livestreams ist er auch zu einer Internet-Berühmtheit geworden, nicht nur in Berlin. Foto: Robbie Lawrence

Er tritt regelmäßig in den größten Konzerthäusern auf, aber momentan kennt man Igor Levit vor allem als einen der aktivsten Twitter-Nutzer. Denn der gefeierte Pianist gibt (fast) jeden Abend ein Konzert für das gesamte Internet. Sockfuß aus seiner Wohnung, Beethoven, Bach, Rachmaninoff, was eben gerade der Stimmung entspricht und ihm etwas bedeutet. Damit ist er eine Institution der Livestream-Kultur aus Berlin geworden.

Auch sonst lohnt sich der Blick auf den meinungsstarken Twitter-Kanal des 33-Jährigen. Im Dezember soll Levit beim diesjährigen Nobelpreis-Konzert in Stockholm auftreten – und hoffentlich auch vorher wieder live zu erleben sein, ganz ohne Bildschirm.

Igor Levit auf Twitter


Andrej Hermlins Familien-Swing-Orchester

David und Rachel Hermlin in authentischer Abendgarderobe. Bei den täglichen Konzerten mit Andrej Hermlin treten sie gewohnt stilsicher auf. Foto: Uwe Hauth
David und Rachel Hermlin in authentischer Abendgarderobe. Bei den täglichen Konzerten mit Andrej Hermlin treten sie gewohnt stilsicher auf. Foto: Uwe Hauth

Andrej Hermlin ist Berliner Bandleader und eine Koryphäe, was Jazz und Swing anbelangt. Sein Swing Dance Orchestra hat gerade vielleicht Pause, aber ohne Musik kann er nicht, wie er sagt. Deshalb hat er gleich zu Beginn der Corona-Krise seine Wohnung zum Konzertsaal gemacht. „The Music Goes Round and Around“ heißt es bei ihm. Allein ist er nicht, wenn er jeden Abend aufs Neue mit Klassikern und auf Swing getrimmten Hits online geht. Der Bandleader streamt aus der Isolation zusammen mit David und Rachel Hermlin sowie wechselnden Bandmitgliedern.

Andrej Hermlin auf Facebook

https://www.facebook.com/andrej.hermlin/videos/10159906763134966/

Berliner Kultur im Livestream: Christian Y. Schmidt und der Tod

Christian Y. Schmidt hat für die „Titanic“ geschrieben und aus China berichtet. „Der kleine Herr Tod“ heißt seine jüngste Veröffentlichung. Die Geschichte handelt von einem Nachwuchs-Sensenmann, dem sein Beruf übel mitspielt: Massentierhaltung, Kükensterben, oh je: Die Hauptfigur hat Burnout. Herr Hades, der Chef der Organisation, verordnet seinem Mitarbeiter Urlaub. Das ist so abenteuerlich wie morbide. Jeden Mittwoch – „bis die Seuche vorbei ist“ liest Schmidt ein weiteres Kapitel aus dem Buch.

Ulrike Haseloffs Bilderwelt haucht dem Buch übers Sterben erst richtig Leben ein. Die Vernissage fand online statt, aber mittlerweile ist die Ausstellung im bob – boxoffberlin wieder geöffnet. Die Lesungen gibt’s weiter online, die Kunst dazu aber auch live.


Der Berliner Pop-Art-Künstler Jim Avignon malt live

Jim Avignon alias Neoangin 2019 bei einem Konzert im Urban Spree. Die Corona-Zeit nutzt der Pop-Art-Künstler für Livestreams und Malerei. Foto: imago/Carsten Thesing
Jim Avignon alias Neoangin 2019 bei einem Konzert im Urban Spree. Die Corona-Zeit nutzt der Pop-Art-Künstler für Livestreams und Malerei. Foto: imago/Carsten Thesing

Vielleicht kennt man den Namen zunächst nicht, aber irgendeinem Kunstwerk von Jim Avignon ist man in irgendeiner Form schon begegnet. Dieser unverwechselbare Stil, grell, bunt und verspielt, hat es zur Documenta geschafft, tauchte in Werbung auf und ist (unter dem Namen Neoangin) auch zu Elektropop-Kostbarkeiten geronnen. Daneben dürften die meisten wohl die Mauerstück-Pop-Art kennen, denn Avignon hat auch Teile der East Side Gallery gestaltet. Eine Ausstellung im letzten Jahr hieß „Here comes the bad news“.

Was soll so ein Multitalent denn jetzt noch schaffen? Zum Beispiel die digitale Mischung aus Live-Malerei, Quizshow und Konzert. Avignon malt, nimmt Kommentare entgegen, spielt zwischendurch Musik, und am Ende hat man die Chance, eines der Kunstwerke zu gewinnen.

https://www.facebook.com/jim.avignon.7/posts/10159739559230744

Klavier-Livestreams mit Daniel Barenboim

Daniel Barenboim ist regelmäßig im Livestream zu sehen. Berlin und Kulturfans auf der ganzen Welt können ihn im Pierre Boulez Saal erleben.  Foto: Silvia Lelli
Daniel Barenboim ist regelmäßig im Livestream zu sehen. Berlin und Kulturfans auf der ganzen Welt können ihn im Pierre Boulez Saal erleben. Foto: Silvia Lelli

Daniel Barenboim, argentinisch-israelisch-berlinerischer Dirigent, Pianist und Israel-Palästina-Vermittler, ist in Corona-Zeiten umtriebiger denn je. Die Staatsoper Unter den Linden verfügt ohnehin über ein riesiges Archiv mit Konzerten, die der Maestro geleitet hat. Daneben tritt er auch live auf und hat sich bereits mehrmals im Pierre Boulez Saal an den Flügel gesetzt. Auch hier gelten Abstandsregeln. Und auch hier zeigt sich, dass die Krise die Rückbesinnung auf Familiengefüge befördert: Michael Barenboim war auch schon dabei.

Der Pierre Boulez Saal mit dem „Intermission“-Programm ist für Barenboim-Fans unverzichtbar.



Was Reality-TV-Stars gerade machen: Julian F.M. Stoeckels Instagram-Channel wird zum Promi-Treffpunkt

Es muss ja nicht immer alles bierernst sein – wobei, wenn der Reality-TV-Promi Julian FM Stoeckel zu seinem täglichen Corona-Talk Kevin Kühnert einlädt, wird es im „Hausbesuch bei“ des Berliners auf seinem Instagram-Kanal auch durchaus mal politisch. Jeden Abend gegen 19 Uhr setzt sich Stoeckel digital in einer Story mit Bekannten zusammen. Das ist in der Regel wirklich leichte Unterhaltung – von Micaela Schäfer bis zu Claudia Obert. Aber eben auch sehr Berlin-lastig, oft erstaunlich einfühlsam und ein Blick in die Leben derer, die ihr Leben in die Öffentlichkeit gestellt haben und dafür neue Wegen finden müssen.

Julian F.M. Stoeckel auf Instagram


Talkshow im Livestream: „Paillette geht immer“ hatte auch Berlins Kultursenator zu Gast

Berliner Kultur im Livestream: Jurassica Parkas Talkshow macht auch in Corona-Zeiten keine Pause. Foto: Kai Heimberg
Berliner Kultur im Livestream: Jurassica Parkas Talkshow macht auch in Corona-Zeiten keine Pause. Foto: Kai Heimberg

Früher hieß sie Gina Tonic, seit Jahren aber tritt die Dragqueen unter dem weitaus bissigeren Namen Jurassica Parka auf. Ihr Motto seit eh und je: „Paillette geht immer“. Das gilt auch in der Corona-Zeit, die sie sich im BKA-Hauptstadtstudio vertreibt. Die Krisen-Edition des Talkprogramms gibt es in regelmäßigen Abständen im Livestream. Micaela Schäfer war schon dabei, weil sie überall dabei ist – siehe oben. Aber auch Kultursenator Klaus Lederer hat sich schon einmal zugeschaltet. Die nächste Ausgabe findet am 9.5. statt.

Regelmäßig aus dem BKA-Theater


„Viral“: Lesungen im Livestream mit dem routiniertesten Literaturfestival des Internets

Lesungen und Lockdown, das geht eigentlich ganz gut zusammen. Die erste Adresse für Liveformate ist seit mehr als einem Monat das Festival „Viral“. Aus einem kleinen Aufruf am 15.3. ist so etwas wie eine Massenveranstaltung für die Isolation geworden. Kathrin Bach, Melanie Katz und Donat Blum riefen „Viral“ aus und erhielten zahlreiche Anfragen.

Seither kuratieren die drei auf der Facebook-Seite Glitteratur, die eigentlich zur Literaturzeitschreift Glitter gehört, ein Lesungsprogramm mit vornehmlich queeren, jungen Autor*innen, das en passant den halben deutschsprachigen Literaturzeitschrifts-Kosmos gefeatured hat. Dass dabei eine ganze Menge Berliner Autor*innen vertreten waren und sind, dürfte nicht überraschen.

„Viral“ auf Facebook

https://www.facebook.com/glitteratur/posts/1113794579001321?__xts__[0]=68.ARA_cmS_MR0ATKB6Y3sIfnKmmLIAlS4wY216QfKPvB6V_r-FvTTS-kMGfn4hyc3NlFLv8EUIc0Ygahl9NSn4Plk_4XjsekdVSXuqeyQC0B0xGPyULnQKusGD7-rtaJdgl_y_l_izgcvGzEcT-hvcFqVQcEaXsdDbjISohrJr–HlIBJu9AWjCOxw9tZPbDVZrFaX9Wl2vAk9IUD4KN2IVafJ9p5AuD4NW7h88Vb4lfPMvbjKJ8IiIrLEJ-fDDjt6DVYsqdxf7qtukYE7nhhHeAdsl9dJnUHZAkI22eglI_bB_hNyI0OfzOYoL_ib_c2z6dWbZPserMStMFNCQNYXelFsyg&__xts__[1]=68.ARBYXlR7vRLFGYWNNi9KTjukUvrwZ–cwc4T-_wPy94lxe7Il7xay3aQBbBhjR6cqTdoUOGlfHrDg9HD9VTDbnNUIdvfWdv8uvxNZij-MSddn6__BX0y2dnBIKPbbRKZPfe9uj9A1DTjBFdRO4Q3ICvrfUq7t14r9VBCeIVKZSFP2OJvcZJ3aWMLYnNdV8ZSr4iAKeCmHrG4RH0UePrT1c7xjg3p_dVORPs6j3qcyMFblQyK4Us2jR1rdmo3RSzkqCNWJ-1ijOREICMYJJK6L-jkpxTvQBt9lwwYf73C9OTJoNwFQzUz1wCu0fAOD1F22rnPMhpISYqslkfkdwFw-FmVKA&__tn__=-R

Naturerlebnis als Kultur-Livestream aus Berlin: „Fräulein Brehms Tierleben“

Hinter dem Namen verbirgt sich ein Verweis auf ein geradezu monumentales zoologisches Nachschlagewerk – und ein Kreativteam, das daraus im Naturpark Schöneberger Südgelände ein Theaterformat gestrickt hat. Allen voran Barbara Geiger, die seit Beginn der Corona-Krise viel im Internet zu sehen ist. „Fräulein Brehms Tierleben“ ist wie die Sendung mit der Maus, nur mit noch mehr Tieren. Mittlerweile ist das Programm sogar mehrsprachig – der Bildungsauftrag bleibt schließlich auch bestehen, wenn es mit Theater im Park nicht mehr klappt. Wenn ihr auch sonst Lust habt, Tiere in Berlin zu beobachten, verraten wir euch, wo’s am besten geht.

Fräulein Brehms Tierleben


Jeden, aber auch wirklich jeden Sonntag live: die Reformbühne Heim & Welt

Berlins Livestream-Kultur kann auf das eingespielte Team der Reformbühne Heim & Welt nicht verzichten. Foto: Axel Voelcker
Berlins Livestream-Kultur kann auf das eingespielte Team der Reformbühne Heim & Welt nicht verzichten. Foto: Axel Voelcker

Dass die Lesebühnen sich nicht entmutigen lassen, bloß weil ein Virus umgeht, ist ja klar. Seit einem Vierteljahrhundert melden sich Ahne, Jürgen Witte, Falko Henning, Jakob Hein und Heiko Werning jeden, aber auch wirklich jeden Sonntag mit brandneuen Beiträgen und spannenden Gästen. Die Isolation zieht auch an ihnen nicht spurlos vorüber. Wie so viele andere Berliner Kultur-Koryphäen verlagert sich die Lesebühne in den Livestream. Zu den Gästen zählten in letzter Zeit schon Rattelschneck und Manfred Maurenbrecher sowie das Gründungsmitglied Bov Bjerg mit dem düster-psychologischen Familienroman „Serpentinen“.

Jeden Sonntag eine neue Ausgabe der Reformbühne Heim & Welt


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