Wolfgang Müller (Künstler, Autor und Chronist der West-Berliner Subkultur) nimmt Abschied von seiner langjährigen Weggefährtin Tabea Blumenschein, mit der er von 1982 bis 1987 in der Tödlichen Doris wirkte und bis zum Schluss befreundet war.
Aus der westdeutschen Provinz in West Berlin im Januar 1979 ankommend, erhielt ich kurze Zeit später einen begehrten Job im Café „Anderes Ufer“. Nur zwei Häuser weiter in der Hauptstraße wohnte seit 1976 David Bowie in einer Altbauwohnung. David Bowie bereitete den prä-queeren Geist vor, der auch das erste offene Schwulencafé der Stadt beflügelte. Gudrun Gut lernte hier beispielsweise Blixa Bargeld kennen und ich – noch als Kellner, Tabea Blumenschein. Tabea, eine Gestalt von atemberaubender Schönheit, eine Erscheinung, eine Femme wie aus einem Hollywoodfilm, wohnte gleich um die Ecke, in der Schöneberger Erdmannstraße in einer riesigen Altbauwohnung. Durch ihre Rolle in Ulrike Ottingers Film „Bildnis einer Trinkerin“ war sie zum Star der Westberliner Szene geworden.
Maler Salomé nackt in Stacheldraht
Es ist heute nur schwer vorstellbar, dass seinerzeit lesbische und schwule Lokale verriegelt und verrammelt waren und der Einlass nur über Klingel möglich war. Das „Andere Ufer“ war also das erste Café mit offenen Fenstern und Türen. Seit Eröffnung entwickelte es sich zum Treffpunkt der Westberliner Bohéme. In einer Performance rollte sich Maler Salomé nackt in Stacheldraht ein. Am eigenen Körper wollte er damit die Leiden der Schwulen sichtbar machen. Gar nicht leidend, sondern leidenschaftlich lustvoll saß dagegen Tabea Blumenschein an einem der Marmortischchen und langte ihrer bildschönen Begleitung Isabelle unter den Lederrock.
Im Rückblick wird deutlich, dass mit Tabea Blumenschein erstmals eine Prä-Form des feministischen queer Punks erschien, der sich Jahrzehnte später in Riot Grrrl äußerte. Tabea meinte: „Ich mache mich doch nicht hässlich, um Männern zu missfallen, sondern schön, um Frauen zu gefallen.“ Ihre Modezeichnungen für die deutsche Ausgabe von Warhols Interview ignorierten die Konventionen ihrer Zeit. Tabeas Models hatten Beinprothesen, sie waren zu dick, zu dünn oder *Trans. Jedenfalls lagen sie jenseits klassischer Schönheitsnormen.
Ihr Talent setzte sie nie strategisch ein
Als ich 1980 mit meinem UdK-Kommilitonen Nikolaus Utermöhlen Die Tödliche Doris gründete, sagte Tabea sofort zu, mitzumachen. Aber ganz selbstbestimmt, nur, wenn sie gerade Lust und Zeit hatte. Als wir 1988 nach Japan eingeladen wurde, winkte Tabea ab: „Japan ist mir etwas zu weit weg. Außerdem kenne ich dort niemanden.“ Gerade dort habe Tabea besonders viele Fans, verriet mir kürzlich Masanori Akashi. Im Februar 2020 stellte er in Tokyo das aktuelle Tödliche-Doris-Album „Reenactment“ vor, mit Sex-Toy-Sounds und, wie der Spiegel schrieb „ausgesprochen hübsch gezeichneten Geräteporträts“ von Tabea Blumenschein.
Tabea war also bis zuletzt voll unglaublich origineller, eigensinniger Ideen, dabei kein bisschen ehrgeizig, zielstrebig oder eitel. Ihr Talent setzte sie nie strategisch ein. Geld interessierte sie ebenso wenig, wie das Image, das sie gerade hatte.
Kippenbergers Bilder in die Mülltonne gestopft
„Das schaffst auch nur Du, von einer 5-Zimmerwohnung in Schöneberg ins Obdachlosenasyl auf die Pritsche“, habe ihr einst Martin Kippenberger gesagt, als sie, direkt vom Asyl kommend ihn in der Paris-Bar traf, sagte Tabea in einem ihrer seltenen Interviews nach 1990. Zufällig hatte sie Monate zuvor Kippenbergers Bilder in die Mülltonne gestopft: „Ich hatte einfach keinen Platz mehr.“
Und während solches Aufräumen wohl jeder Mensch im Nachhinein bitter bereut und an die Eigentumswohnung gedacht hätte, die man davon hätte kaufen können, verschwendete Tabea in ihrer kleinen Marzahner Ein-Zimmer Wohnung nicht mal einen Gedanken daran. Sie sagte: „Ob man nun in Zehlendorf, Schöneberg oder Marzahn lebt – die Intelligenz bleibt überall gleich.“ Und die Kreativität und das Talent natürlich auch.
Ich bin sehr traurig, meine liebe süße Elfe. Schlaf gut.
von Wolfgang Müller (www.wolfgangmuellerrr.de)
Bildnis einer Trinkerin (Regie: Ulrike Ottinger)