Ausstellungen

Alte Nationalgalerie: Paul Gauguin decolonized

Alles keine Helden: In „Paul Gauguin – Why are you angry“ unterzieht die Alte Nationalgalerie das Werk des einflussreichen Pioniers der Moderne einer dekolonisierenden Revision – mit Hilfe historischen Materials und heutigen Künstler:innen aus Polynesien.

Mit Bildern von tahitianischen Frauen wurde Paul Gauguin berühmt. „Arearea no Varua Ino“ (Die Vergnügungen des Bösen Geistes / The Amusement of the Evil Spirit), 1894. Foto:Ny Carlsberg Glyptotek
Mit Bildern von tahitianischen Frauen wurde Paul Gauguin berühmt. „Arearea no Varua Ino“ (Die Vergnügungen des Bösen Geistes / The Amusement of the Evil Spirit), 1894. Foto:Ny Carlsberg Glyptotek

Paul Gauguin: Eine streitbare Persönlichkeit

Paul Gauguin war kein angenehmer Mensch. Er war pädophil, rassistisch, streitsüchtig und ein gnadenloser Selbstdarsteller.

In der Nacht, als Vincent van Gogh sich das Ohr abschnitt, war dieser Selbstverstümmelung eine heftige Auseinandersetzung zwischen den Freunden vorausgegangen. In der Bretagne prügelte sich Gauguin mit Seeleuten und verletzte sich so schwer am Bein, dass er ein Jahr lang humpelte. In seinen Jahren auf Tahiti, 1891–1903, heiratete der an Syphilis erkrankte ältere Mann ein 13-jähriges und ein 14-jähriges Mädchen. So schreibt er es in seinem autofiktionalen Tagebuch „Noa Noa“. Und stilisierte sich darin als „Inselbewohner“, obwohl er von seiner privilegierten Stellung als weißer Franzose in den französischen Kolonien profitierte.

Eigentlich, so möchte man sagen, ist dieser Typ kein Fall fürs Museum, sondern für den Knast. Doch erstens ist Gauguin (1848–1903) lange tot. Zweitens ein Hammermaler. Und drittens ist ein Museum ja kein Wellnessresort. „Wir wollen mit unseren Ausstellungen einen Raum schaffen, um gesellschaftliche Debatten aufzunehmen und neue Perspektiven auf sie zu werfen“, erklärt Ralph Gleis. „Im Fall der Gauguin-Ausstellung waren wir von der Überlegung geleitet, was wir als Kunstmuseum zum aktuellen Diskurs über Kolonialismus, Sexismus und Gender beitragen können.“

Ralph Gleis leitet die Alte Nationalgalerie, in der die Gauguin-Ausstellung ab 26. März gezeigt wird, und hat die Kooperation mit Kopenhagen auf den Weg gebracht. Den Anstoß gab eine Leihanfrage der Ny Carlsberg Glyptotek. Denn auch Berlin besitzt einen Gauguin. Unsere „Tahitianischen Fischerinnen“ wurden also nach Dänemark geschickt. Und brachten eine ganze Ausstellung mit zurück. Denn das Kopenhagener Konzept hatte Gleis überzeugt: „Es gab ja schon sehr viele Gauguin-Ausstellungen. Aber den Künstler einzubetten in einen historischen Kontext und ihn gleichzeitig mit zeitgenössischen Positionen zu konfrontieren, ist neu.“

Die Ausstellung blickt hinter den Mythos

Gauguin, in Paris geboren, war, natürlich, ein Produkt seiner Zeit. Die Familie musste aus politischen Gründen Frankreich verlassen. Der Vater, ein Journalist, starb auf der Flucht nach Lima, wo Paul aufwuchs. Sein Urgroßvater war ein peruanischer Adliger, was dem Kind Paul in Peru gleich eine doppelte Sonderstellung gab. Aber er war auch ein mittelloser Flüchtling. Mit 17 ging er zur Marine, segelte nach Südamerika, Indien. Wurde in Paris Börsenmakler, reich, Kunstsammler – und begann, Malunterricht zu nehmen. Als er 1882 nach einem Börsenkrach seine Stellung verlor, beschloss er, vom Malen zu leben. Mit wenig Erfolg. Seine dänische Frau Mette und er trennten sich, sie zog mit fünf Kindern zurück nach Kopenhagen.

Gauguin suchte zunächst in der Bretagne nach dem „einfachen“, „ursprünglichen“ Leben. 1887 ging er nach Panama. 1891 schiffte er sich nach Tahiti ein. Die Insel war zu Gauguins Zeit schon längst ein exotisch und erotisch aufgeladener Mythos, begründet rund 130 Jahre zuvor durch die Südpazifik-Reisen von James Cook und Louis Antoine de Bougainville.

Nehmen wir zugunsten Gauguins an, er hoffte wirklich, auf seiner Suche nach dem vermeintlich Ursprünglichen – das er dem rassistischen Denken seiner Zeit gemäß nun in den „unverdorbenen“ Gesellschaften Polynesien zu finden glaubte – Inspiration und einen für ihn passenden Lebensstil in Tahiti zu finden. Aber es war auch viel Kalkül dabei. „Gauguin hat selber einen Mythos kreiert. Er schrieb immer wieder: Ich bin der „wilde“ Künstler, der zurückgeht zu den Ursprüngen und aus sich schöpft. Doch wir können ihn in der Ausstellung entlarven als einen, der nicht nur aus sich schöpft, sondern beispielsweise auch aus Büchern, die er gelesen hat, und aus seinem Besuch der Kolonialpavillons der Pariser Weltausstellung 1889“, sagt Ralph Gleis.

Yuki Kiharas „First Impressions: Paul Gauguin“ ist eineTalkshow in 5 Episoden, 2018 Videostill. Foto: Yuki Kihara, the Fine Arts Museum of San Francisco, Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen and Milford Galleries, Dunedin
Yuki Kiharas „First Impressions: Paul Gauguin“ ist eineTalkshow in 5 Episoden, 2018 Videostill. Foto: Yuki Kihara, the Fine Arts Museum of San Francisco, Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen and Milford Galleries, Dunedin

Zeitgenössische Künstler:innen blicken auf Gauguin

Seine Gemälde aus Tahiti haben Gauguin weltberühmt gemacht, mehr als 70 Arbeiten werden nun in Berlin präsentiert (die Ausstellung war vor Redaktionsschluss nicht zu sehen). Hinzu kommen zeitgenössische Positionen. Die sāmoanisch-japanische Künstler:in Yuki Kihara stellte die Gemälde Gauguins einer tahitianischen queeren Community vor und filmte deren Reaktionen wie in einer Talkshow. Angela Tiatia, die auf Sāmoa und in Neuseeland aufwuchs, greift das sexualisierte Bild Tahitis auf und versucht es zu brechen. In einer eindrücklichen filmischen Arbeit isst sie eine Hibiskusblüte auf. Diese Blüten werden auf Tahiti traditionell als Schmuck verwendet, haben aber auch sexuelle Konnotationen.

Man muss es sich also als Kunstfan eingestehen: Auch die Antibürger:innen der Moderne, der Avantgarde, konnten nicht einfach aus den Denkmustern ihrer Zeit aussteigen. Wenn man hinsieht, erkennt man bei ihnen Rassismus, Ausbeutung und die Aneignung von Objekten aus anderen Kulturen für den eigenen künstlerischen Ruhm, und dass sie ihre Privilegien als Weiße ausnutzten und sich gleichzeitig als quasi-indigene Abenteurer:innen stilisierten. Das zeigt auch das Brücke-Museum mit „Whose Expression?“ im Fall der Brücke-Künstler. Solche Ausstellungen sind wichtige Schritte, um auf dem Weg der Dekolonialisierung voranzukommen.

  • Alte Nationalgalerie Bodestraße, Mitte, Di–So 10–18 Uhr, 10/ 5 €, www.smb.museum, 26.3.–10.7.

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