Hausbesuch: Immer mehr Sammler ziehen nach Berlin und kaufen für ihre Kunst spektakuläre Gebäude. Nun gibt es erstmals die Collection Night: Zwölf Berliner Privatsammlungen öffnen ihre Türen
Unverkennbar dringlich rattert die Fallblattanzeigetafel und verbreitet Hektik, noch bevor man die Wartelounge mit ihren silbernen Stühlen auch nur betreten hat. Dort der Schock: Trotz der betriebsamen Kulisse wird niemals ein Flug abgehen oder ankommen, all die sich lautstark bewegenden Metallplättchen bleiben schwarz. Klingt nach BER, ist aber Kunst – wir befinden uns nicht in einer Abflughalle in Schönefeld, sondern in einem Bunker in Mitte und das scheinbare Versagen des Objekts ist Absicht. Es handelt sich dabei um „Mandi XXI“ (2009), eine Arbeit des belgischen Künstlers Kris Martin, der sich in seinem Werk immer wieder mit Vergänglichkeit befasst. So verspricht er seinen Sammlern auch schon mal „Life after Death“ (2013) als Siebdruck auf Papier, ebenfalls in der aktuellen Hängung der weithin bekannten Sammlung Boros zu entdecken.
Weitaus weniger bekannt ist noch immer, wie vielfältig die Berliner Sammlerszene inzwischen ist und welche spannenden Entdeckungen man an ungewöhnlichen Orten machen kann. Dies zu ändern ist Ziel der von Julia Rust (Sammlung Olbricht) und Juliet Kothe (Sammlung Boros) initiierten „Collection Night“, während der am 23. August zwölf Berliner Privatsammlungen gemeinsam ihre Türen öffnen. Ihnen geht es darum, Schwellenängste abzubauen und die Freude am Sammeln zu vermitteln. Sammler*innen betrachten die Initiatorinnen dabei als „Rückgrat des Berliner Kunstlebens“. Diese Einschätzung wird übrigens nicht überall geteilt, wie jüngst eine von der Bezirkspolitik verursachte Tragödie in Lichtenberg zeigte – doch das Sammlerehepaar Haubrok beweist Rückgrat, macht vorerst „im Exil“ weiter und zeigt anlässlich der „Collection Night“ Arbeiten von Joyce Pensato am Rosa-Luxemburg-Platz.
Ein weiteres Highlight verspricht die Vor-Eröffnung der neuen Räumlichkeiten der Sammlung Wemhöner in der Hasenheide 13 zu werden. Da ist einerseits der Ort selbst mit seiner dramatischen Geschichte, die bereits 1873 mit der Gründung von „Kliems Festsälen“ auf dem Nachbargrundstück beginnt. Politische Großveranstaltungen der Arbeiterbewegung, eine Nutzung als Reservelazarett und die Premiere von Erwin Piscators „Proletarischem Theater“ (Titelseite des Programmhefts: George Grosz) folgen, später Saalschlachten mit Nazis und Bombenschäden. Nach dem Krieg dann die Nutzung als Kino und Diskothek – und nun für einen Abend ein Ereignis, in der Geschichte und Gegenwart sich verdichten: Gezeigt wird Julian Rosefeldts 18-minütiger Schwarz-Weiß-Film „Deep Gold“ (2013/2014), der eben nicht nur auf Luis Bunuels „L’Age d’Or“ verweist, sondern, garniert mit einer Show-Einlage von Peaches, atmosphärisch auch das zwischen Elend und Exzess taumelnde Berlin der Zwanziger Jahre evoziert.
Ebenfalls mit einer beeindruckenden Location kann die von dem Kunsthändler Désiré Feuerle aufgebaute Collection Feuerle aufwarten, die sich in einem Bunker am Halleschen Ufer befindet. Man betritt die Sammlung durch den dunklen „Sound Room“, in dem von John Cage komponierte minimalistische Klänge andeuten, wohin die Reise geht: in eine sehr besondere Welt – die sogar mit einem „Lake Room“ aufwarten kann, in dem ein unterirdischer See durch seine Spiegelungen faszinierende Raumbilder erzeugt. Die Präsentation der ausgestellten Kunst vermittelt dazu einen Eindruck zeitlicher Tiefe, die in der problematischen Beschleunigung aktueller Diskussionen oft aus dem Blick zu geraten droht: In den von dem britischen Architekten John Pawson renovierten Räumlichkeiten werden in einem spannenden Dialog zeitgenössische Positionen wie James Lee Byars oder Anish Kapoor Artefakten gegenübergestellt, die aus einem Zeitraum von 200 v. Chr. bis ins 18. Jahrhundert stammen, darunter Khmer-Skulpturen und chinesische Gelehrtenmöbel aus Hang- und Quing-Dynastie.
Vom tiefen Bunker bis ins lichte Grün
Braucht man jedoch unermessliche Ressourcen und überwältigende Architektur, um Kunst sinnvoll zu sammeln und auszustellen? Nicht unbedingt. Das zeigt ein Besuch in Nikolassee, wo Joelle und Eric Romba (ROCCA Foundation) im Grünen zur Miete wohnen. Sie haben in den letzten zehn Jahren eine beeindruckende Sammlung anspruchsvoller Gegenwartskunst aufgebaut, die sich der Suche nach Identität in der Fotografie, zeitgenössischer Op-Art, fotorealistischer Malerei und Architektur in der Kunst widmet, dazu interessieren sich die Kunsthistorikerin und der Anwalt für Positionen, die kunsthistorische Vorbilder weiterdenken. Hier zeigt sich angesichts radikaler Werke wie Alexandra Birckens „Timo“ (2017) oder Leigh Ladares „An Invitation: Sunday, July 24, 2011“ (2012), dass Kunst nicht dekorativ sein muss, um im persönlichen Umfeld existieren zu können.
Und unbezahlbar sein muss sie auch nicht, wie Erling Kagges Band „A Poor Collector’s Guide to Buying Great Art“ erläutert, der im Salon der Rombas zu entdecken ist. Manchmal reicht sogar kleines Geld: Teilnehmer einer Führung durch den Boros-Bunker, die auch nicht signifikant mehr kostet als Burger, Pommes und Getränk in Kreuzberg oder Neukölln, können sich am Ende der Tour im Rahmen der von Paulo Nazareths Installation „Arma Branca“ (2013) eine Arbeit selber auf einem A4-Blatt stempeln und mitnehmen – und bekommen automatisch einen Vorgeschmack auf die ethischen Konflikte, die der Kunstmarkt mit sich bringt: Zwar haben sich in jüngster Zeit auch die Preise für offene Auflagen einst marktferner Künstler gut entwickelt – doch ausgerechnet diese Arbeit verhandelt nichts Geringeres als Leben und Tod.
Collection Night Samstag, 23.8., Orte und Programm unter berlincollectors.com
Eintritt frei bis auf die Boros Collection und die Feuerle Collection, beide nur mit Online-Anmeldung