Boris Iofan (1871–1976) war einer der bedeutendsten Architekten der UdSSR, zeitweise war er Stalins Liebling. Iofans bekanntestes Bauwerk wurde nie realisiert: Der Zweite Weltkrieg verhinderte, dass der aberwitzige „Palast der Sowjets“ gebaut werden konnte. In der Tchoban Foundation erinnert eine Ausstellung an das Schaffen des Baumeisters: „Stalins Architekt: Aufstieg und Fall von Boris Iofan“.
Boris Iofan: ein Architekt seiner Zeit – und zeitweise Stalins Liebling
Was für einen eindrucksvollen Koloss hätten sich die Sowjets doch beinahe ins Herz ihrer Hauptstadt gepflanzt! Der „Palast der Sowjets“ wäre ein Gebäude der Superlative geworden: ein gigantischer Wolkenkratzer mit einer Höhe von bis zu 415 Metern, dessen Spitze von einer bald 75 Meter großen Lenin-Statue gekrönt worden wäre. Berlins Hochhäuser wirken geradezu winzig dagegen. „Das war keine Utopie“, sagt Sergei Tchoban mit Nachdruck. „Das war real. Ein fest entschlossenes Vorhaben, das wegen des Krieges und der Entstalinisierung der UdSSR letztlich aber nicht mehr realisiert wurde“, so der renommierte Architekt, der neben seiner Arbeit noch einer anderen Leidenschaft nachgeht: dem Sammeln von Architekturzeichnungen.
Längst sind diese Architekturzeichnungen überführt worden in eine 2009 gegründete und nach Tchoban benannte Stiftung, zu der auch das Museum für Architekturzeichnung in Prenzlauer Berg gehört. Bei diesem handelt es sich um ein – wie könnte es anders sein – architektonisch interessantes Bauwerk am Rand des Pfefferberg-Areals. Ebendort wird nun bis Mai 2022 eine Schau zu sehen sein über den „Palast der Sowjets“, oder genauer: über Boris Iofan, dessen Architekten. Es ist eine eindrucksvolle Ausstellung über einen Visionär, der „definitiv ein Architekt der großen Formen war“, wie Sergei Tchoban es formuliert.
Der aber einfach auch „ein Kind seiner Zeit“ war, ein jüdischer Junge aus der Provinz, der sich auf den Weg machte, einer der bedeutendsten Architekten der UdSSR in den 1930er- und 1940er-Jahren zu werden. Der sich jedoch auch ans System, an die Vorlieben und Formsprachen seiner Gegenwart anzupassen wusste – und so zum Liebling von Diktator Josef Stalin avancierte.
Wobei das mit „Stalins Lieblingsarchitekten“ so eine Sache ist. Tchoban, der zwar Sammlungsleiter, aber nicht Kurator der Ausstellung ist, würde das nicht so überspitzt formulieren, wie es in der Schau der Fall ist. „Er war wichtig, aber Stalins Liebling? Da bin ich mir nicht sicher“, sagt er, wohl auch im Hinblick auf das Ende von Iofans Karriere als geschasster Architekt.
Sergei Tchoban führt durch „sein Haus“ – neues Highlight ist die Ausstellung über Boris Iofan
Der Hausherr lädt uns ein auf einen Rundgang durch die Ausstellung, die sich über zwei Etagen erstreckt. Instinktiv will man auf den Höhepunkt der Ausstellung zulaufen: Auf die schon am Computerbildschirm eindrucksvoll aussehende Skizze ebenjenes „Palasts der Sowjets“, die als Zeichnung – und das sei hier an dieser Stelle bereits verraten – noch viel eindrucksvoller ist.
Doch zunächst muss man sich gedulden. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Und noch etwas ist wichtig zu wissen: In der Schau werden fast ausschließlich Zeichnungen gezeigt. Fotos, Bilder oder Dokumente fehlen ebenso wie ausführliche Erklärungen. Entsprechend empfehlenswert ist es, sich vor dem Besuch der Tchoban Foundation in das Leben des Architekten einzulesen. Das Museum scheint um diese Herausforderungen zu wissen, und verweist denn auch gleich auf eine entsprechende Publikation, die passend zum Ausstellungsbeginn veröffentlich wurde (Wladimir Sedow, „Stalins Architekt: Aufstieg und Fall von Boris Iofan“, DOM Publishers, 28 Euro).
Boris Iofan wurde 1891 in Odessa geboren und starb 1976 in Moskau. Er studierte am Schwarzen Meer und arbeitete in St. Petersburg. Später bildete er sich an der Königlichen Hochschule für schöne Künste in Rom weiter. Im Museum hängt sein Entwurf einer Gedenkstätte, die er für das italienische Vordiplom konzipierte. „Und die Iofans Faible für turmartige Gebilde bereits vorwegnahm“, so Sergei Tchoban.
Zurück in Italien entdeckte er dort seine Liebe zum Neoklassizismus. Am Mittelmeer realisierte Iofan auch erste Bauwerke, darunter Wohnhäuser, Schulen und sogar eine christliche Kapelle – und das trotz seiner sozialistischen Überzeugung, die er ein Leben lang behalten sollte. In der Ausstellung zu sehen ist auch Iofans Entwurf einer neuen russischen Botschaft, was zeigt, dass noch weitere seiner Bauwerke nicht realisiert wurden.
Die Ausstellungsräume sind bewusst schlicht gehalten, es gibt nur eine scharfe Trennlinie im glühenden Rot des Kommunismus. „Die markiert eine Wende in seinem Schaffen“, so Sergei Tchoban.
Zurück in Russland, beeinflussten Historismus und Konstruktivismus Iofans Schaffen. Hier beschäftigten ihn erstmals auch die ganz großen Projekte, die er als zunehmend wichtiger Architekt verantworten sollte, darunter das Moskauer Haus an der Uferstraße oder die beiden Pavillons, die er auf den Weltausstellungen in Paris (1937) und New York (1939) gestaltete. In der US-amerikanischen Metropole ließ er sich auch von den Wolkenkratzern inspirieren. Und plante zurück in Russland nun seinen eigenen.
Im Obergeschoss der Ausstellung hängt er nun: der „Palast der Sowjets“. Oder besser gesagt: die Paläste. Denn die Arbeit an dem Monumentalbau beschäftigten Iofan (und sein Team) viele Jahrzehnte, es wurde eine Lebensaufgabe, der er sich mit frenetischem Eifer annahm. Immer in der Hoffnung, dass sein Traum eines Tages erfüllt werden würde. Doch Iofan überwarf sich mit Stalin. Statt des Palastes wurde letztlich auf dem vorgesehenen Platz ein Freibad eingeweiht. Iofans leuchtender Stern: Er war für immer erloschen.
- Tchoban Foundation Museum für Architekturzeichnung Christinenstraße 18a, Prenzlauer Berg, Tel. 030/43 73 90 90, Mo–Fr 14–19 Uhr, Sa+So 13–17 Uhr, Karten: 6, erm 4 Euro, bis 15.5.2022, mehr Infos hier
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