Kuratorenlegende Kasper König hat für seinen Sohn Johann eine hochaktuelle Schau zusammengestellt.
Albrecht Dürer habe, erklärt Kasper König, das Privileg gehabt, auf dem Markt von Nürnberg seine Druckgrafiken zu verkaufen. Verliehen von den Patriziern der Stadt. Sein Holzschnitt „Bauernsäule“, den er 1525 als Entwurf für ein Bauerndenkmal schuf, auf dem ein erdolchter Bauer sitzt, hätte also ein finanzielles Desaster für ihn werden können. Dürer bekundete damit in den kriegerischen Auseinandersetzungen seiner Zeit seine Sympathien mit den Verlierern. Ökonomisch aber war er von den Reichen, von den Siegern abhängig. Dürer war hin- und hergerissen zwischen wirtschaftlichen und moralischen Überlegungen, so interpretiert Kasper König die Geschichte des Holzschnitts. Die „Bauernsäule“ wurde jedenfalls erst nach Dürers Tod publiziert. Und nun steht eine neue Version der „Bauernsäule“ in der Ausstellung, die Kasper König für die Galerie König, die Galerie seines Sohnes Johann König, kuratiert hat.
Marko Lehanka hat die „Bauernsäule Remix 19“ (2019) geschaffen, auf einer hohen Säule aus Holz, auf der eine alte Kiste als Stuhl thront, sitzt ein lässiger Schwarzer und raucht. Ein bisschen wirkt der ganze Aufbau wie der Ausguck eines Piratenschiffes. Diese Dürer/Lehanka-Säule ist „eine der beiden thematischen Säulen der Ausstellung“, sagt Kasper König.
Die zweite ist Théodore Géricaults monumentales Historienbild „Das Floß der Medusa“, gemalt 1819. Es hängt im Louvre, Abteilung: Große Bilder und stellt im Motiv einen Skandal dar, denn die französische Marine hatte versucht, ein Schiffsunglück zu vertuschen, bei dem sich ein Teil der Schiffbrüchigen mit einem Floß retten wollte und das 185 Opfer forderte. Das Gemälde selbst war damals aber auch deshalb ein Skandal, weil Théodore Géricaults nackte Männer und auch Genitalien darstellte. Ein dramatisches Bild, denn auf dem viel zu kleinen Floß türmen sich viel zu viele Menschen übereinander. „Wahnsinnig theatralisch“ nennt König den Bildaufbau. Natürlich hängt nicht das Original in der von Kasper König kuratierten Ausstellung, sondern dort ist die Appropriation des Gemäldes durch das Berliner Künstlerduo Susi Pop zu sehen – als magentafarbener, vielteiliger Siebdruck auf Leinwand. Eine Aneignung, durch die Géricaults Gemälde in einer Zeit, in der Flüchtende im Mittelmeer ertrinken und Schiffen mit Geretteten die Einfahrt in sichere Häfen stark erschwert wird, eine ganz neue Aktualität gewinnt.
„Beschämend, in welcher Weise es in der Kunst oft nur noch um Geld geht“
Kasper König
Es sind politischen Themen, die Kasper König um- und antreiben. Geboren 1943, ist er seit Mitte der 1970er Jahre eine der zentralen Figuren im deutschen, von sozialdemokratischen Bildungsidealen getriebenen Kunstgeschehen. Mit Klaus Bußmann hatte er 1976 die alle zehn Jahre stattfindende Schau Skulptur Projekte Münster gegründet, er war Rektor der Städelschule in Frankfurt/Main und Direktor des Museums Ludwig in Köln. Dazu hat er unzählige Ausstellungen kuratiert, darunter „Westkunst“ 1981.„Das Gegenteil von Kunst ist gut gemeint“, zitiert König Gottfried Benn, als im Gespräch das Wort sozialdemokratisch erwähnt wird und fügt hinzu: „Ich bin schon links von der Einstellung. Bei den Skulptur Projekten Münster war es mir immer wichtig, dass sie im öffentlichen Raum stattfinden, keinen Eintritt kosten und alle zehn Jahre wieder stattfinden, als Herausforderung. Es ist beschämend, in welcher Weise es in der Kunst oft nur noch um Geld geht.“
Museumsschau in einer Galerie
So ist er die Planung seiner aktuellen Ausstellung „What Beauty is, I know not“ – der Dürer-Satz –„Was aber die Schönheit sei, das weiß ich nit“ – wie eine Museumsschau angegangen, allerdings mit der Maßgabe, dass er in der Galerie seines Sohnes mit dem Geld ein wenig mehr haushalten muss.
Alisa Baremboym hat eine über sieben Meter lange und drei Meter hohe, halbtransparente Mauer aus Gaze so in den Raum gehängt – die Galerie König nutzt eine umgebaute Kirche von Werner Düttmann –, dass die Besucher*innen im Halbkreis darum herum und durch das Kirchenschiff gelenkt werden. Auf der Gaze sind Bilder der Berliner Mauer, der Mauer zwischen Israel und dem Gaza-Streifen sowie von Trumps Wall zwischen USA und Mexiko zu sehen. Diese durchsichtige, auf feinem Material gedruckte Mauer steht zwischen dem „Floß der Medusa“ und dem „Bauernsäule Remix“, denn massiv gesicherte Grenzen sind es, die gefährliche Fluchtwege nötig machen.
Justin Matherly löst für seinen Beton-Laokoon „New Beaches“ das Sockelproblem, indem er seinen in Beton gegipsten Ausschnitt der berühmten Laokoon-Gruppe auf Gehhilfen stellt. Die berühmte Skulptur im Vatikan ist eine Marmorkopie, das griechische Original ist verloren – so dass „New Beaches“ wieder das Thema Original und Aneignung aufgreift.
Emeka Ogboh hat ein ziemlich starkes Ale gebraut und in Flaschen abgefüllt, deren Etikett sich farblich auf Morris Louis Gemälde „Dalet Chet“ bezieht. Louis hat starke Farben rot, blau, gelb derart immer wieder übereinanderlegt, dass am Ende ausschließlich Brauntöne zu sehen sind.
Polly Apfelbaum, Thomas Bayerle, Nicole Eisenman, Fischli&Weiss, Rosemarie Trockel, Thomas Hirschhorn, Heidi Specker. Das sind nur einige der großen Namen, die Kasper König hier versammelt. „Curated by Johann’s Dad“, steht auf der Einladung. „Die Vater – Sohn-Reibung ist schon da“, sagt Kasper König, „wir haben verschiedene Vorstellungen von Kunst, und das ist konstruktiv und schwierig zugleich.“ Der Museumsmann mit der Idee von Kunst für alle hier, der erfolgreiche Galerist mit teuren Arbeiten, die sich nur wenige leisten können dort – da ist schon Konfliktpotential drin. Bei aller Liebe. Man kann also viel Familien-Biografie in diese Ausstellung hineininterpretieren, auch, weil Johann König mit „Blinder Galerist“ eine Autobiografie vorgelegt hat, in einem für Biografisches jungen Alter von 38 Jahren. Doch das einschneidendste Ereignis seines Lebens hatte er bereits in seiner Kindheit, als er durch einen Unfall mit einer explodierenden Starterpistole sein Augenlicht zeitweise verlor, heute wieder sehr eingeschränkt sehen kann. Schlechteste Voraussetzungen, um in der Kunst Karriere zu machen.
Heute ist Johann König dennoch einer der wichtigsten Galeristen in Deutschland und auf dem Sprung zu internationalem Rang. Eine Megakarriere. Johann König, der vor allem Konzeptkünstler seiner eigenen Generation vertritt, erklärt das damit, dass es in der Kunst nicht primär aufs Sehen ankäme, sondern auf die Fähigkeit, einen Diskurs zu führen. Kasper König sagt hingegen: „Als Johann nicht sehen konnte, war er ein bisschen wie ein mittelalterlicher Seher. Als er dann wieder ein bisschen sehen könnte, war er schon enttäuscht, dass das Sehen nicht so interessant war, wie er glaubte.“
Dass Johann Königs sehr lesenswertes Buch „Blinder Galerist“ und die Ausstellung jetzt zeitlich zusammenfallen, sei, sagt Kasper König, pure Koinzidenz. Wenn man an Zufälle glaubt.
What Beauty is, I know not Galerie Johann König, Alexandrinenstr. 118, Kreuzberg, Di–Sa 10–18, So 12–18 Uhr, 19.8.–13.10. Am 31.8.: Talk in der Kurfürstenstr. 13/14 mit Kasper König und Emeka Ogboh und am 12.9.: Biergarten in der Galerie König, von und mit Emeka Ogboh. Der Künstler legt an beiden Abenden auch auf.