Sie ist bunt, schräg und voller Gegensätze, die raue Wirklichkeit rund um die Potsdamer und Kurfürstenstraße. Hier „Love, Sex and Dreams“. Dort die Hochpreisgalerie. „Man kann hier alles finden“, sagt Galeristin Salomй Sommer (Foto links). Sie und Patricia Kohl fühlen sich wohl in der Gegend. Es gibt alte gewachsene Strukturen und viel neue Kunst. „Das Pflaster hier ist schon ein bisschen härter“, meint die Schweizerin, „aber trotzdem angenehm.“ Lange hat sie in Mitte bei neugerriemschneider gearbeitet, bevor sie sich 2008 mit Patricia Kohl (Foto rechts) selbstständig machte. Ihre Partnerin, die in London Kunst studierte und eines schönen Tages in der gleichen Galerie anheuerte, ergänzt: „Down to earth!“ Döner statt Lifestyle. Einfach gut geerdet und alles andere als gelackt.
Der Mann am Kiosk hat ein waches Auge. So müssen Salomй Sommer und Patricia Kohl sich wenig Sorgen machen, dass einer Paul McDevitts Brunnenskulptur mitgehen lässt. „Unsere Galerie ist nicht so sichtbar im GSG-Hof.“ Das sind Giti Nourbakhsch nebenan und Neuzugang Florent Tosin auf dem leeren ehemaligen Gelände des Tagesspiegels auch nicht. Man muss sie schon kennen und wissen, wo sich die Hotspots verstecken. Eine neue Generation von Galeristen, die mit jüngeren Künstlern handelt und frische internationale Positionen ins Spiel bringt, hat den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Sie hat wie Tosin, der gerade eröffnete, bei Marie-Blanche Carlier und Ulrich Gebauer gelernt, oder wie Tanja Wagner bei Max Hetzler. Man kooperiert vorzugsweise mit der eigenen Künstler-Generation, der Jahrgänge zwischen 1969 und 1980.
Tanja Wagner ist die jüngste Einsteigerin. Wie ihre Kolleginnen, die hier vor drei Jahren noch zu den Vorreitern gehörten, reizte die 31-Jährige das Potenzial der Gegend: Der Kiez sei urtümlich, dazu die Ladies vom horizontalen Gewerbe. „Es ist schon eine Herausforderung, da mit einer Galerie rein zu gehen.“ Die günstigen Mieten sprechen für sich. 100 Quadratmeter für 1000 Euro oder 150 für 1050 Euro warm sind Bedingungen, die überzeugen. Die Kunsthistorikerin, die in Prenzlauer Berg wohnt, ist vom fremden Kiez positiv überrascht. Auch die Nachbarschaft traue sich herein, etwa die Schulkinder von nebenan. Sie fragen, ob ihre Galerie ein Museum sei, sagen frei heraus, was ihnen gefällt, wie die kleine libanesische Muslima, die täglich vorbeischaut. An Paula Doepfners ephemerer Installation dürften sie nicht nur die Fleisch fressenden Pflanzen interessieren (bis 15.1.).
„Für mich ist es wichtig, dass die Kunst be-greifbar ist“, meint Tanja Wagner zu ihrem Programm mit ausnahmslos weiblichen Künstlern, das von Issa Sants delikater Malerei bis hin zu gesellschaftspolitischen Objekten der Bosnierin Љejla Kameric‘ reicht (ab 28.1.). In loser Folge finden bei ihr auch Künstlergespräche statt. Die ambitionierte Jungunternehmerin ist auf der Suche nach einer neuen Begrifflichkeit jenseits der Postmoderne. Bald 20 Kollegen, von internationalen Zuzüglern wie der Engländerin Tanya Leighton oder der Galerie Kavi Gupta aus Chicago bis zu Veteranen wie Matthias Arndt oder Martin Klosterfelde, die von Mitte an die Potsdamer Straße wechselten, haben ihr Quartier im näheren Umfeld. Esther Schipper wird in
Kürze ans Schöneberger Ufer ziehen. In Sichtweite der Neuen Nationalgalerie arbeitet auch Isabella Bortolozzi in einem bürgerlichen Wohnhaus. „Es herrscht reger Zuzug internationaler Galerien und Umzug innerhalb Berlins“, bestätigt Arndt, der über dem Wintergarten sein repräsentatives Domizil fand. Derzeit erlebt der verstorbene Kroate Julije Knifer bei ihm seine Wiederauferstehung (bis 5.2.). Die erste Werkschau in Deutschland des Zero-Artisten vom Balkan dürfte für Kunstarchäologen spannend sein.
Auf der anderen Straßenseite tut sich ein Abenteuerspielplatz für weitere Pioniere innerstädtischer Standortentwicklung auf. Arnd berät den Eigentümer des freien Tagesspiegel-Areals bezüglich der Neukonzipierung. Der 42-Jährige sieht dort „viele attraktive Flächen für den Kunstbetrieb und sonstige Unternehmen.“ Ab Januar wird die Hamburger Produzentengalerie die Ödnis aufwerten. Ob hier mit der Kunst auch die Schickimickis anrollen? Noch sieht es nicht danach aus. Die Bewegung scheint eher davon weg zu gehen, von den Warenwerten hin zur Entdeckung der wahren Werte. Als Erster hat sich Tosin auf das Gelände vorgepirscht. An den „sehr berlinischen Ort“, eine schräge Mischung aus kruder Gegenwart und dem Atem der Historie. Nebenan pinselte Anton von Werner in seinem Atelierhaus fleißig an seinen Schinken aus dem Kaiserreich. Heute arbeiten Künstler aus aller Welt ein paar Meter weiter. Der Kiez globalisiert sich. Zwischen türkischen Brautmoden und Curry 124, Woolworth und Wintergarten haben Tom aus London, Jeremy aus Frankreich, Nicholas aus den USA, die Chinesin Yafeng Duan und Marco Reichert ihr Atelier über dem Freien Museum eingerichtet. Andere Künstler wie der Maler Jan Meier leben in der Nähe.
Mit Galeristen wie Tosin internationalisiert sich die Szene weiter. Der 43-jährige Franzose war früher selber Maler, entdeckte aber irgendwann sein Talent, die Kunst anderer zu vermitteln. Die Krise der Wirtschaft sah er als Chance. Hätte sie geboomt, hätte er mit großem Budget starten müssen. „Jetzt ist der Druck nicht mehr so riesig“, findet Tosin. Seine zweite Schau ist den Gemälden des Indianers Kent Monkman gewidmet. Der ironisiert die überlieferten Mythen von Kolonialisierung und heldenhaften Pioniertaten im amerikanischen Westen (bis 8.1.). Demnächst gibt Tosin mit Monkman und dem Berliner Gerd Rohling ein Paris-Gastspiel in der Galerie von Michel Rein, der vorher mit seinen Künstlern bei ihm einzieht (ab 14.1.). Am Galerien-Austausch „Berlin-Paris“ nehmen Salomй Sommer und ihre Partnerin ebenfalls teil. In Berlin allein sind keine großen Umsätze zu machen.
„In Berlin muss man international agieren. Es gibt hier – anders als im Rheinland – kaum Sammler“, bekennt die Galeristin. Langsam tue sich etwas. „Eine junge Sammlergeneration wächst heran. Aber von denen können wir nicht leben.“ Alte Hasen auch nicht. Nicht umsonst absolvieren sie so viele Messen. „Wir haben zahlreiche Besucher für unsere Ausstellungen. Aber das Geschäft machen wir, wie die übrigen Kollegen unserer Liga, außerhalb Berlins“, sagt Arndt. Vom Boom der Galerien zum knallharten Businessstandort ist es also noch ein Stück Weg. Der führt jetzt auch an die Potsdamer Straße. An der Ecke prallen Wunsch und Wirklichkeit hart aufeinander. Der Realität schadet die Reibung an der Kunst nicht. Und umgekehrt.
Text: Andrea Hilgenstock
Fotos: David von Becker
Die Galerien
Arndt Potsdamer Straße 96
Center Projektraum Kurfürstenstraße 174
Esther Schipper Schöneberger Ufer 65
Freies Museum Potsdamer Straße 91
Galerie Cinzia Friedlaender Potsdamer Straße 105
Galerie Florent Tosin Potsdamer Straße 81 C
Galerie Giti Nourbakhsch Kurfürstenstraße 12
Galerie Tanja Wagner Pohlstraße 64
Helga Maria Klosterfelde Edition Potsdamer Straße 97
Isabella Bortolozzi Schöneberger Ufer 61
Kavi Gupta Kluckstraße 31
Klosterfelde Potsdamer Straße 93
Nymphius Projekte Potsdamer Straße 70
Reception Kurfürstenstraße 5/5a
Sassa Trülzsch Blumenthalstraße 8
Sommer & Kohl Kurfürstenstraße 13/14
Tanya Leighton Gallery Kurfürstenstraße 156
Walden Potsdamer Straße 91
Wentrup Tempelhofer Ufer 22