Gerade mal 1,90?x?3,40 Meter ist die Zelle groß. Auf den circa 6,5 Quadratmetern waren jeweils zwei Menschen inhaftiert. Jetzt hängen an den Wänden über ein Dutzend Fotografien von geschlossenen Metalltüren, in beiger, leicht vergilbter Farbe. Der Künstler Nasan Tur hat die ehemalige Stasi-Untersuchungshaftanstalt Bautzner Straße 112?a in Dresden in die zentrale Ausstellung des Monats der Fotografie „MemoryLab“ gebracht. In dem mit „Terror“ betitelten Saal steht der maßstabsgetreue Nachbau einer Zelle und vermittelt dem Besucher das Gefühl von Enge und Machtlosigkeit, das wohl ehemals von den politischen Gefangenen empfunden wurde. Die Installation passt sich thematisch in die sie umgebenden Bilder von Anna Charlotte Schmid ein, die junge Homosexuelle in Ungarn porträtiert hat. Das Motiv der Unterdrückung und Verfolgung wird so von der DDR-Vergangenheit in die Gegenwart transportiert, wenngleich der künstlerische Ansatz ein ganz anderer ist. Terror, gesellschaftlich, politisch, zwischenmenschlich, wird hier zusammengebracht. Nebenan zeigen Adam Broomberg und Oliver Chanarin einen Ausschnitt ihres Buchprojekts „Holy Bible“. Religiöse Texte, etwa das Matthäus-Evangelium, werden darin von machtvollen Bildern überlagert, die die biblische Erzählung mit der Darstellung von Gewalt und Sexualität konterkarieren. In Zeiten des religiösen Krieges der IS ist diese Inszenierung niederschmetternd aktuell.
Insgesamt 17 Künstler zeigen im Martin-Gropius-Bau auf unterschiedliche Weise, wie sich Geschichte heute ablichten lässt. In den acht Ausstellungssälen ist der künstlerische Blick dabei kein nüchterner, dokumentierender, sondern ein aktiv inszenierender. Museumsdirektor Gereon Sievernich vergleicht die zentrale Ausstellung mit dem Polarstern: Genau wie dieser funkelt sie als Leitmotiv über den anderen 125 Ausstellungsorten. Etwas pathetisch ist dieser Vergleich, allerdings ist die Komposition von Kurator Frank Wagner unter dem Zusatz „Die Wiederkehr des Sentimentalen“ treffend im Sinne der etymologischen Wortbedeutung. Nicht Nostalgie oder Sehnsucht prägen das Sujet, sondern persönliche Empfindung und Wahrnehmung. Damit ist der Ansatz nicht objektiv, sondern radikal subjektiv und berührend. Den einzelnen Projekten ist es durchweg gelungen, einen brandaktuellen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Im Jahr des Gedenkens an den Fall der Mauer sowie den Ausbruch des Ersten und Zweiten Weltkrieges wird die Fotografie hier zum Mittel gegen das Vergessen und verbindet so auf einzigartige Weise Kunst und geschichtliche Rezeption.
Text: Lea-Maria Brinkschulte
Foto: Adam Broomberg & Oliver Chanarin
Martin-Gropius-Bau, bis 15.12.