Malerei

„Flucht in die Bilder?“ im Brücke Museum

Es gab nicht nur Schwarz oder Weiß: Während im Hamburger Bahnhof gerade Emil Noldes NS–Opfermythos demontiert wird, hinterfragt die Ausstellung „Flucht in die Bilder?“ den künstlerischen Handlungsspielraum der Brücke-Kollegen

Erich Heckel, Annweiler, 1933, Tempera auf Leinwand, Brücke- Museum © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen

Sind diese „Entwurzelten Bäume“ symbolisch gemeint? Gut möglich, dass Karl Schmidt-Rottluff sie 1934 im Blick auf sich selbst gemalt hat. Ein Maler, der im Nazi-Deutschland seiner Wurzeln beraubt wurde. Während des Dritten Reiches widmeten er und seine Kollegen der Künstlergruppe „Die Brücke“ (1905-1913) sich verstärkt dem Thema Landschaft. Bilder malerischer Natur, von idyllischen Dörfern oder eher naturalistisch anmutenden Figuren eckten weniger an als die zackigen Gestalten aus früheren Expressionismus-Zeiten. Deformierte Porträts und Personenmotive waren dagegen besonders verpönt. Sie wurden als „entartet“ diffamiert und 1937 aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt. Gemälde wie Erich Heckels „Drei Frauen vor roter Uferwand“ (1921), Otto Muellers „Drei Akte in Landschaft“ (1919) oder Ernst Ludwig Kirchners „Artistin“ (1910), heute Highlights im Brücke Museum. Die aufschlussreiche Schau „Flucht in die Bilder?“ bringt die einst verfemten Gemälde vor dem Hintergrund des verbliebenen Handlungsspielraums der Meister-Maler zusammen.

Der einleuchtend gestaltete, kulturhistorische Rundgang führt unter anderem vorbei an diesen abgestraften Bildern und der Figurendarstellung in den 30er-Jahren und behandelt die Situation einzelner Künstler und das Schicksal jüdischer Sammler. Bislang kreisten die Analysen meist eindimensional um die „Verfemung“ der „Brücke“-Künstler.

Wie vielschichtig die Situation im Dritten Reich jedoch war, wie widersprüchlich selbst die Kulturpolitik, beleuchten die Kunsthistorikerinnen Aya Soika, Meike Hoffmann und Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt nun erstmals umfassend. Heckel, Schmidt-Rottluff und Max Pechstein stehen im Zentrum der gelungenen Schau, die im Kunsthaus Dahlem mit der unmittelbaren Nachkriegszeit endet.

Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner, von denen ebenfalls einzelne Werke zu betrachten sind, nehmen eine Sonderstellung ein. Letzterer durch seine frühe Übersiedlung in die Schweiz und den Freitod 1938. Nolde durch seine NS-Parteimitgliedschaft.

Der Künstler war Anhänger des Nationalsozialismus und wird im Hamburger Bahnhof aktuell separat behandelt. Zu Recht, denn er denunzierte sogar den Kollegen Pechstein im Propagandaministerium. So musste dieser sich früh gegen die Behauptung wehren, Jude zu sein. Dokumente wie Pechsteins „Abstammungsnachweis“ von 1936 werden im Brücke Museum ebenso präsentiert wie Bilder aus jenen Jahren. Der „Junge mit Schneebällen und drei Nelken“ etwa. Das eher neusachliche Gemälde zeigt Pechsteins Sohn und mag als Versuch der Anpassung interpretiert werden. Auch Heckels Triptychon blonder „Jungen am Strand“ (1934) macht mit unbekannten Seiten der Expressionisten vertraut und zeigt, dass sie alle sich auf die veränderte Erwartungshaltung einzustellen hatten und daher wohl naturalistischer malten als in den Tagen der „Brücke“: Schließlich wollten sie ja auch Käufer finden und Anerkennung für ihre Werke, zumindest anfangs.

Allerdings hätten sie vielleicht auch ohne Diktatur so gemalt. „Sie haben sich in den 20er Jahren schon vom Expressionismus entfernt“, weiß Lisa Marei Schmidt. Die schroffen Formen waren also bereits passé und das nicht allein als Folge der Repressalien „Wir wollen die Komplexität der Geschichte in ihrer Komplexität darstellen“, sagt die Kuratorin: „Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß.“ Gerade dieser Ansatz macht die Schau erhellend. Sie präsentiert nicht klassische Brücke-Kunst, abgesehen vom Bereich der an den Pranger gestellten „Verfallskunst“, sondern den Rückzug ins Private, die innere Emigration. Die These einer „Flucht in die Bilder?“ versehen die Ausstellungsmacherinnen aber ausdrücklich mit einem Fragezeichen.

Flucht in die Bilder? Brücke Museum, Bussardsteig 9, Zehlendorf, Mi–Mo 11–17 Uhr, bis 11.8.

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