Zum 90. Geburtstag von Gerhard Richter würdigen Kunstbibliothek und Neue Nationalgalerie ihn mit einer besonderen Ausstellung: Sie zeigen Künstlerbücher des berühmten Malers, die dieser seit den 1960er-Jahren publiziert. Unsere Autorin hat die Schau besucht.
Gerhard Richter ist ein Weltphänomen
Gerhard Richter, am 9. Februar 90 Jahre geworden, ein Weltphänomen, ein sperriges Phänomen dazu, persönlich wie politisch meist nicht greifbar. Dazu immer auf Distanz zu seinem vielschichtigen Werk, das er einmal mit „dem Anblick eines fremden Planeten“ verglich – allerdings, nachdem er es selbst verfremdet hatte. Doch seinem Werk kam er wohl gerade in seinen Büchern wieder nah, schon allein durch die akribische Beschäftigung mit Aufbau und Sujet, die dieses Randmedium des Kunstbetriebs erfordert. Oder wie Richter sagte: „Ausstellungen verschwinden, Bücher bleiben.“
In der Neuen Nationalgalerie stehen Richters Publikationen jetzt im Mittelpunkt. Die Ausstellung „Gerhard Richter Künstlerbücher“ ist eine Kooperation mit der Kunstbibliothek, betreut von deren Sammlungsleiter Michael Lailach, der zusätzlich auf 100 Leihgaben aus dem Dresdener Richter-Archiv zurückgegriffen hat. Die Zusammenarbeit soll außerdem einen Ausblick darauf geben, wie ab 2026 das benachbarte Museum des 20. Jahrhunderts mit seinem Richter-Schatz umzugehen gedenkt.
Künstlerbücher von Gerhard Richter in der Ausstellung auch zum Anfassen
Diese erste Schau kommt durchaus unspektakulär und zugänglich daher. Einige der Bücher, die Richter seit den 1960er-Jahren regelmäßig publiziert, liegen zum Lesen und Anfassen aus, andere sind in Vitrinen ausgestellt. In einem weiteren Teil hängen serielle Arbeiten wie die „128 Fotos von einem Bild (Halifax 1978)“, die aber ebenfalls als Bücher publiziert wurden, ähnlich früheren Arbeiten wie die Vorlagen zum Katalog Polke/Richter – Richter/Polke von 1966.
Eine absolute Ausnahme bildet das Werk an der Stirnseite, der gewaltige Triptychon „Atelier“ von 1985, satte sechs Meter breit. Unter diesem Bild, das so sehr Richter ist wie nur möglich, könnte man den Büchertisch davor fast übersehen. Sollte man aber nicht, denn da liegt unter anderem „War Cut“, eine Art Mediencollage, in der Richter 216 fotografische Details seiner Arbeit „Abstraktes Bild (1987)“ teils unscharf, teils farbverschliert mit Textstellen aus der „FAZ“ gegenschneidet, aus Artikeln über die ersten Tagen des Irak-Kriegs vom März 2003.
Diese Arbeit ist nicht nur exemplarisch für Richters Weigerung, sich eindeutig politisch zu positionieren – was wahrscheinlich gut ist, denn als 2016 seine skeptischen Äußerungen zur Merkels Geflüchtetenpolitik veröffentlicht wurden, ging das schief. Sondern „War Cut“ zeigt auch beispielhaft seinen Ansatz, erst über Form und Struktur zu einer für sich möglichst objektiven Position und darüber dann zu einem Verständnis des verhandelten Themas zu finden. Diese Ansicht kann man teilen, und die Methode ist, wie vieles von Richter, beeindruckend in ihrer Stringenz. Ob dadurch aber wirklich etwas „Ablesbares“ entsteht, wie Richter es sich wünscht, das ist etwas, das in dieser Ausstellung in Ruhe überprüft werden kann.
- Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50, Tiergarten, Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, 14/ 7 €, bis 18 J. frei, Tickets: www.smb.museum, bis 29.5.
Neuzugänge und letzte Chancen: Hier sind unsere Kunst-Tipps mit den besten Ausstellungen. Zwar kein Künstler, aber seine Ideen haben nicht nur die Weltgeschichte bestimmt, sondern auch Künstler:innen inspiriert: Karl Marx. Über die aktuelle Ausstellung im Deutschen Historischen Museum haben wir mit der Kuratorin Sabine Kritter gesprochen.