Fotografie

C/O Berlin zeigt Harald Hauswalds Retrospektive „Voll das Leben!“

Harald Hauswald zählt zu den bedeutendsten Chronisten Ost-Berlins und der DDR. Er fotografierte alle und alles: die Punks am Alexanderplatz, die ­Oppositionellen in den Kirchenräumen, die Underground-Künstler bei ihren Happenings, aber auch die Normalbürger, wie sie mürrisch und erschöpft in die U-Bahn einstiegen. C/O Berlin zeigt mit „Voll das Leben!“ Harald Hauswalds große Retrospektive mit mehr als 250 Aufnahmen aus den 1970er- bis 1990er-Jahren.

Der Fotograf Harald Hauswald, 2014. Foto: Imago/Christian Thiel

Legendäre Menschen zeichnet oft Gelassenheit aus. Entspannt sitzt Harald Hauswald, die langen Haare und der Bart mittlerweile grau geworden, in einem Café an der Zossener Straße in Kreuzberg. „Ich bin ein Straßenköter, ein Straßenfotograf. Ich gehe los und suche mir Räume, in denen Bilder mit Menschen entstehen. Das kann an jeder Ecke passieren“, sagt er. Neuen Motiven jagt er jetzt aber nicht hinterher. Er ist zum Reden ­gekommen. Das Handy, das er herausholt, dient nur dazu, jüngste Projekte zu zeigen.

250 Fotografien, die Harald Hauswald zwischen Ende der 1970er- bis Mitte der 1990er-Jahre machte

Im Juli fotografierte er vor dem Brandenburger Tor eine Demonstration. „Es war eine dieser Demos alle gegen alle. Sie hatten Fahnen dabei, eine ­Reichskriegsfahne, eine US-Flagge auch“, sagt er. Er lauerte auf ein Motiv, das mit einer seiner Aufnahmen aus DDR-Zeiten korrespondiert. 1987 fotografierte er im Regen Fahnenträger am Rande der Parade zum 1. Mai genau in dem Moment, als sie ihre Fahnen senkten. „Fahnenflucht“ heißt das Bild. Jetzt, im Sommer 2020, wollte er die Gelegenheit nutzen, Reichskriegsflaggenträger auf der Flucht zu erwischen.

Vielleicht wird dies einmal ein ebenso ikonisches Bild wie das mit den sich zu Boden neigenden DDR-Fahnen von 1987. Das zählt nun zu der Retrospektive, die ihm das Charlottenburger Fotohaus C/O Berlin ab 12. September widmet. Sie zeigt rund 250 Fotografien, die Hauswald zwischen Ende der 1970er- bis Mitte der 1990er-Jahre machte, auch bisher unveröffentlichte.

Hauswald zählt zu den bedeutendsten Chronisten Ost-Berlins. Er fotografierte alle und alles: die Punks am Alexanderplatz, die ­Oppositionellen in den Kirchenräumen, die Underground-Künstler bei ihren Happenings, aber auch die Normalbürger, wie sie mürrisch und erschöpft in die U-Bahn einstiegen.

U-Bahnlinie A, Ost-Berlin, 80er, DDR.
U-Bahnlinie A, Ost-Berlin, 80er, DDR. Foto: Harald Hauswald

Legendär ist sein Foto mit den drei Männern geworden. Einer legt düsteren Blicks seine Hände auf der speckigen Aktentasche ab. Noch grimmiger schaut der Mann rechts daneben unter einer russischen Pelzmütze hervor, während die Augen des Mannes links zerstreut nach oben gehen.

Die Kamera war für mich der Schlüssel zur Welt

Hauswald weiß mittlerweile, dass der Mann links Russischlehrer war, die anderen beiden waren Pförtner. Zuerst hatte sich die Tochter des Mannes rechts bei ihm gemeldet. „Ich dachte, jetzt kommt so eine Sache mit Anwalt und Recht am eigenen Bild“, erinnert er sich. Dann aber habe die Frau ihm gesagt, wie glücklich sie sei, dass ihr 1987 verstorbener Vater nun dank des Fotos weiterlebe.

Es ist eine klassische Hauswald-­Geschichte. Zum Fotoapparat griff er nicht, um berühmt zu werden oder den sensationellen Schuss abzuliefern. „Die Kamera war für mich der Schlüssel zur Welt, sie ist eine regelrechte Menschenkennenlern­maschine.“

In Bewegung setzte sie sich so richtig 1978, als er aus dem sächsischen Radebeul nach Ost-Berlin zog. Er hatte eine abgebrochene Fotografenlehre hinter sich und verschiedenste Jobs, unter anderem als Roadie der Rockband Bürkholz. „Dort war auch ­Michael Heubach, der später mit Nina Hagen spielte. Er ist der Micha aus dem Song ‚Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael‘“, erinnert er sich. Als Hauswald seinen Armeedienst ableistete, wurde die Band aufgelöst. Bürkholz war zu radikal für die DDR, Bürkholz-Fans zerlegten bei Konzerten auch gern halbe Stadien.

Die Grenzen der Freiheit setzte aber die Stasi

In Ost-Berlin arbeitete Hauswald ­zunächst als Telegrammbote. „Das war ideal. Ich kam auf jeden Hinterhof. Und du ­hattest keinen festen Arbeitsvertrag, sondern konntest arbeiten, wenn du Geld brauchtest. Du hattest also Freiraum. Mit dem Honorar konntest du beweisen, dass du nicht ,asozialʻ bist“, sagt Hauswald. Heute würde man das „prekäre Existenz“ nennen. Für Hauswald bedeutete es Freiheit im ­geschlossenen ­System der DDR.

Die Grenzen der Freiheit setzte aber die Stasi. Bereits seit 1977 observierte sie ihn. Noch in Sachsen geriet er in ihr Visier, nachdem ein Freund von ihm die ­Artikel aus der Schlussakte von Helsinki 1975 ­herausgeschrieben hatte, die eine freie Wahl des Wohnorts erlaubten. Weil die DDR den Vertrag unterschrieben hatte, konnten sich Ausreisewillige auf diese Artikel berufen. Hauswald trug damals einige Kopien der Texte bei sich. „Deshalb haben sie mich für den Chef einer Gang von Ausreisewilligen gehalten“, sagt er. Später in Ost-Berlin waren bis zu 40 Inoffizielle Mitarbeiter auf ihn angesetzt. Auszüge aus der Stasi-Akte werden in der Ausstellung bei C/O Berlin mit seinen Fotos kontrastiert.

„Ich denke, sie haben das schon mitbekommen. Sie wollten aber nicht, dass dieser Fehler, den sie gemacht haben, in den Akten steht“, erklärt sich Hauswald die Abwesenheit dieser Episode in den Berichten. Hauswalds Stasi-Akte ist ein Dokument des Scheiterns eines Überwachungsstaats. Die Bilder dieses Chronisten des Prenzlauer Bergs sind es ohnehin.

Harald Hauswalds Retrospektive „Voll das Leben!“ bei C/O Berlin Hardenbergstr. 22–24, Charlotten­burg, Mo–So 11–20 Uhr, Eintritt: 10/6 €, bis 18 J. frei, 12.9.–23.1.2021


Fotos aus der Ausstellung „Voll das Leben!“ von Harald Hauswald

Hans-Otto-Straße, 1983

Hans-Otto-Straße, Prenzlauer Berg, Berlin, 1983.
Hans-Otto-Straße, Prenzlauer Berg, Berlin, 1983. Foto: Harald Hauswald

Schloßplatz, 1984

Liebespaar auf dem heutigen Schloßplatz, vor dem Außenministerium der DDR, Berlin-Mitte, 1984.
Liebespaar auf dem heutigen Schloßplatz, vor dem Außenministerium der DDR, Berlin-Mitte, 1984. Foto: Harald Hauswald

1. Mai Demonstration am Alexanderplatz, 1987

"Fahnenflucht", 1. Mai Demonstration auf dem Alexanderplatz, Berlin-Mitte, 1987, DDR.
„Fahnenflucht“, 1. Mai Demonstration auf dem Alexanderplatz, Berlin-Mitte, 1987, DDR. Foto: Harald Hauswald

Straßenkampf in der Mainzer Straße

Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße, insgesamt kämpften ca. 4000 Polizisten gegen 500-600 Autonome, wovon am Ende ca. 300 festgenommen wurden, Friedrichshain 13./14.11.1990.
Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße, insgesamt kämpften ca. 4000 Polizisten gegen 500-600 Autonome, wovon am Ende ca. 300 festgenommen wurden, Friedrichshain 13./14.11.1990. Foto: Harald Hauswald

Paar auf der Schwalbe

Ein Paar auf einer Schwalbe, 1984, Borna, DDR.
Ein Paar auf einer Schwalbe, 1984, Borna, DDR. Foto: Harald Hauswald

Big Country in Weißensee

Konzert von Big Country, Radrennbahn, Weißensee, Berlin, 1988. Foto: Harald Hauswald
Konzert von Big Country, Radrennbahn, Weißensee, Berlin, 1988. Foto: Harald Hauswald

Öffnung der Mauer

Menschen laufen, nach Öffnung der Mauer am 22.12.89, auf das Brandenburger Tor zu, 1989. Foto: Harald Hauswald
Menschen laufen, nach Öffnung der Mauer am 22.12.89, auf das Brandenburger Tor zu, 1989. Foto: Harald Hauswald

Grenzdenkmal Hötensleben

Blick von einem Wachturm am Grenzdenkmal Hötensleben, 1995, Hötensleben. Foto: Harald Hauswald
Blick von einem Wachturm am Grenzdenkmal Hötensleben, 1995, Hötensleben. Foto: Harald Hauswald

Mauerdurchbruch, 1989

Ein Volkspolizist steht in einem Mauerdurchbruch, 1989. Foto: Harald Hauswald
Ein Volkspolizist steht in einem Mauerdurchbruch, 1989. Foto: Harald Hauswald

Nicht in den Akten vermerkt ist allerdings der größte Coup des Observierten. Im Juli 1989 nutzte er die Erlaubnis zum Besuch seiner in Stuttgart lebenden Eltern, um sich frech einen bundesdeutschen Pass zu holen und einen Freund in Istanbul zu besuchen. Danach kehrte er brav in den ­Osten zurück.


An der Elbe

Zwei Jugendliche schießen mit einem Luftgewehr an der Elbe, 1984. Foto: Harald Hauswald
Zwei Jugendliche schießen mit einem Luftgewehr an der Elbe, 1984. Foto: Harald Hauswald

Prenzlauer Berg, 1985

Prenzlauer Berg, Berlin, 1985. Foto: Harald Hauswald
Prenzlauer Berg, Berlin, 1985. Foto: Harald Hauswald 

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