Nachruf

Zum Tod des Kunstmäzens Heiner Pietzsch: Berlin braucht die Moderne!

Heiner Pietzsch ist mit 91 Jahren gestorben – sein Einfluss auf die Kunstwelt Berlins war groß, seine Sammlung bleibt eine der bedeutendsten der Stadt. Zumal die Sorgen um sein Vermächtnis, die ihn zuletzt beschäftigt haben sollen, unbegründet waren. Auch, weil Witwe Ulla Pietzsch auf einen würdevollen Umgang mit den Meisterwerken achten wird.

Ein Nachruf zum Tod des Unternehmers, Sammlers und Mäzens, der fast ein halbes Jahrhundert eng mit der Neuen Nationalgalerie verbunden war und zum Aufstieg Berlins zum internationalen Kunststandort beitrug.

Ulla und Heiner Pietzsch beim Jahrestreffen des International Council Museum Berggruen im Museum Berggruen, Berlin 2017. Foto: Imago/Eventpress/Radke
Heiner Pietzsch ist tot. Hier ist er mit Ehefrau Ulla beim Jahrestreffen des International Council Museum Berggruen im Museum Berggruen im Jahr 2017 zu sehen. Foto: Imago/Eventpress/Radke

Heiner Pietzsch gestorben: Vom Kunststoffhändler zum internationalen Investor

Zuletzt soll er sich Sorgen um sein Vermächtnis gemacht haben, dabei war Heiner Pietzsch mehr als ein halbes Jahrhundert der Berliner Kunstwelt verbunden, die er schon früh geprägt hat. 1977 gehörte er zu den Mitbegründern des einflussreichen Vereins Freunde der Nationalgalerie, der Verein sollte den weltberühmten Bau des Stararchitekten Mies van der Rohe fördern und in der Welt bekannt machen. Da lebte Pietzsch schon seit mehr als zwei Jahrzehnten in West-Berlin. Er kannte sich aus in der Mauerstadt, kam in den 1950er-Jahren aus dem Ostteil rüber, erlebte den August 1961 und die Teilung hautnah mit und machte in jener Zeit eine Karriere als Unternehmer.

Der gelernte Elektroinstallateur verdiente sein Geld mit Kunststoffhandel und stieg zum international operierenden Investor auf. Doch der Kunststoffhandel war nur Mittel zum Zweck, seine Leidenschaft galt der Kunst und nicht dem Kunststoff. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Ulla, begann er Mitte der 1960er-Jahre eine der bedeutendsten Privatsammlungen des Landes aufzubauen. Den Schwerpunkt bildete die Klassische Moderne, allem voran der Surrealismus. Das Ehepaar Pietzsch kaufte kapitale Werke von Max Ernst, René Magritte, Salvador Dalí, Joan Miró und lebte mit den unschätzbaren Gemälden in der Dahlemer Villa.

Das Ehepaar Pietzsch bei der Ausstellung "Bilderträume . Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch" in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, Juni 2009. Foto: Imago/Eventpress/Herrmann
Das Ehepaar Pietzsch bei der Ausstellung „Bilderträume . Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, Juni 2009. Foto: Imago/Eventpress/Herrmann

Zwar gehörte Pietzsch als Schatzmeister und Kuratoriumsmitglied des Vereins Freunde der Nationalgalerie schon lange zum inneren Kreis des Berliner Kunstbetriebs, seine Sammlung machte er aber erst 2009 der Öffentlichkeit zugänglich. Die Schau in der Neuen Nationalgalerie, die seit kurzem wieder geöffnet ist, hieß „Bilderträume – Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch“, mehr als 200.000 Besucher kamen, um die gut 150 Bilder des Sammlerpaares zu sehen. Den Surrealismus aus der einstigen Kunsthauptstadt Paris, aber auch Pietzschs zweiten Sammlungsschwerpunkt, den Abstrakten Expressionismus aus den USA, der in New York der 1940er entstand und die Kunstwelt nachhaltig durchgerüttelt hat.

So sah das Publikum neben Dalí, Ernst und Yves Tanguy auch Arbeiten der amerikanischen Stars Jackson Pollock, Ad Reinhardt, Mark Rothko und Barnett Newman. Nach dem enormen Erfolg der Ausstellung entschieden sich die erbenlosen Pietzschs, einen beträchtlichen Teil der Sammlung an die Neue Nationalgalerie zu geben. Anfangs 60 Werke, später sprach man von der doppelten Zahl, sollten in die Sammlung eingehen und in einem Haus der Staatlichen Museen gezeigt werden. Das war die Bedingung.

Die Pietzschs wollten ihre Schätze nicht in klimatisierten Depots verschwinden sehen

Die Pietzschs wollten ihre Schätze nicht in klimatisierten Depots verschwinden sehen. Sie wollten die Stadt, in der sie lebten und die sie liebten, an ihrer Kunst teilhaben lassen. „Berlin braucht die Moderne“, das wusste das Paar schon früh. Doch in Berlin wusste man anfangs nicht so genau, wohin mit dem großzügigen Geschenk. Ein eigenes Museum wollten die Pietzschs nicht, die Verwaltung der Staatlichen Museen erwies sich als sperrig, die bürokratischen Mühlen drehten sich langsam, die Stifter grämten sich zwischenzeitlich und Pietzschs Geburtsstadt Dresden unternahm einen Versuch, die unbezahlbaren Werke an die Elbe zu holen.

Doch Berlin verprellte den Sammler nicht, der trotz einiger Holperer seiner Stadt und der Neuen Nationalgalerie die Treue hielt. 2012 entschied man, die Gemäldegalerie auszubauen, um dort die Sammlung Pietzsch dauerhaft auszustellen. Es war ein früher Schritt auf dem Weg zum Museum des 20. Jahrhunderts, dass nach den Plänen der Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron am Kulturforum entstehen soll und wo endlich die Pariser Surrealisten und New Yorker Abstrakten Expressionisten einmal eine würdige Heimat finden werden.

Dies wird der Mäzen und Sammler Heiner Pietzsch nicht mehr erleben. Er starb im Alter von 91 Jahren am 7. September 2021 in Berlin, seine Witwe Ulla dürfte aber die Zukunft ihrer Bilder, die sie und ihr Mann stets wie eigene Kinder behandelt haben, streng überwachen.


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