Jinran Kim ist eine international etablierte Künstlerin, die seit Anfang der 1990er-Jahre in Berlin lebt. Geboren wurde sie in Seoul. Bekannt ist sie für ihre Arbeiten zum Thema Krieg, Zerstörung, Trauma. In ihren aktuellen Arbeiten setzt sie sich mit Landschaften, Meerdarstellungen und Einsamkeit auseinander.
Ihr Material sind Mullbinden, in vielen Schattierungen von weiß bis schwarz – mit einem umgekehrter Trompe-l’œil-Effekt, denn die dreidimensionalen Bilder wirken hier mit etwas Abstand betrachtet wie Fotografien oder Bleistiftzeichnungen. „PAINSTAKING. Transmutationen“ heißt ihre aktuelle Ausstellung. tipBerlin-Autorin Dorothee Robrecht hat die Künstlerin zum Interview getroffen.
tipBerlin Jinran Kim, Tod und Unheil scheinen Sie zu faszinieren. Sie haben mit Asche gemalt, große Szenarien zerbombter Städte, darunter auch das kaputte Berlin von 1945. Und Sie haben Särge montiert, aus Seifenstücken. Woher diese Vorliebe für das Düstere?
Jinran Kim Das hat mit meiner Geschichte zu tun, sicher auch mit meiner Kindheit, mit der Krankheit meiner Mutter, unter der ich sehr gelitten habe. Und natürlich spielt auch meine Herkunft aus Korea eine Rolle. In Korea ist Krieg als Möglichkeit immer präsent. Das Apokalyptische habe ich einfach im Kopf, egal was ich mache.
tipBerlin Sie sind 1994 nach Berlin gekommen…
Jinran Kim Als ich nach Berlin zog zum Beispiel, habe ich mich hier entwurzelt gefühlt, absolut fremd. Und eine meiner ersten Arbeiten war ein Tagebuch aus Stücken gebrauchter Seife, ein Stück Seife für jeden Tag, 30 Tage lang. Natürlich ging es da um mich, aber ich hatte immer diese zweite Ebene im Kopf, das Wissen darum, dass die Nazis Juden zu Seife verarbeitet hatten.
tipBerlin In den jetzt ausgestellten Arbeiten ist Krieg kein Thema mehr: Sie zeigen Porträts und großformatige Gemälde von Wäldern und Meeren. Warum dieser Themenwechsel?
Jinran Kim Es ist kein Themenwechsel. Dass Wirtschaftskriege ganze Ökosysteme zerstören, wird immer deutlicher. Die Natur ist unsere Mutter, und wenn es so weitergeht, bleibt dem Leben auf diesem Planeten nicht mehr viel Zeit.
tipBerlin Ihre Meeresbilder wirken von weitem gesehen fast wie Schwarz-Weiß-Fotografien, so realistisch schäumen die Wellen. Aus der Nähe wird sichtbar, dass sie aus vielen kleinen Stofffäden zusammengesetzt sind. Was ist das für ein Material?
Jinran Kim Es ist Gaze, Mull, ein Material zur Wundversorgung. Ich habe Mullbinden zerrissen, die einzelnen Fäden herausgezogen und mit Asche in Grautönen eingefärbt. Und diese Fäden habe ich dann auf Papier genäht, so dass sie das gewünschte Bild ergeben. Für mich hat Gaze als Material eine metaphorische Qualität. Es geht darum, zu heilen.
tipBerlin Wie sind Sie auf Gaze gekommen?
Jinran Kim Meine Mutter war lange krank und bekam Dekubitus, als sie liegen musste. Deshalb gab es zu Hause in Seoul immer Desinfektionsmittel und Gaze. Und nach dem Tod meiner Mutter standen immer noch mehrere Kästen mit Mullbinden da, mit denen ich dann mein erstes kleines Bild gemacht habe.
tipBerlin Zu den Gaze-Gemälden gehören auch Porträts, unter anderem von Karl Marx, Schopenhauer und Beckett. Warum porträtieren Sie fast exklusiv Männer, europäische Männer?
Jinran Kim Als ich angefangen habe, mit Gaze zu experimentieren, dachte ich, dass sich Bärte damit bestimmt gut machen lassen. Und deshalb habe ich als Sujet zunächst Männer mit Bärten genommen, aber ich habe auch Rosa Luxemburg porträtiert. Kategorien wie Mann, Frau, Europäer, Nicht-Europäer haben keine Rolle gespielt, ich habe einfach Personen gewählt, die mir wichtig sind und die man hier im Westen auch kennt.
tipBerlin Von Ihrer Ausbildung her sind Sie Bildhauerin. Ihre aktuellen Arbeiten sind zweidimensional. Wie würden Sie selbst sich beschreiben als Künstlerin?
Jinran Kim: Ich bin Konzeptkünstlerin. Das Konzept bestimmt Material und Technik. Und ich arbeite weiterhin auch in 3D. Ich gestalte Bühnenbilder und mache in Korea viel Kunst am Bau, große Medienfassaden unter anderem in Seoul. Mein Studium der Bildhauerei hilft mir da bis heute: ich habe absolut keine Angst vor großen Räumen und deren Gestaltung.
„Berlin ist eine Kleinstadt verglichen mit Seoul“
tipBerlin Sie leben und arbeiten sowohl in Berlin als auch in Seoul. Wie würden Sie die Unterschiede beschreiben, soweit relevant für Sie als Künstlerin?
Jinran Kim Berlin ist eine Kleinstadt verglichen mit Seoul. Seoul ist riesig und das Tempo ein ganz anderes. In Seoul bin ich immer auf „hab Acht, sei bereit“, alles muss schnell gehen. Insofern ist Berlin Erholung für mich, hier ist es ruhig, ich kann mich konzentrieren. Und ich bin hier nicht dem Anpassungsdruck ausgesetzt, den ich als Koreanerin in Seoul natürlich spüre, ob als Künstlerin oder als Angehörige einer bestimmten sozialen Schicht.
- Galerie Z22 Zähringer Str. 22, Wilmersdorf, Ausstellung: Jinran Kim – PAINSTAKING. Transmutationen, bis 16.1.2021, Künstlerinnengespräch am 5.12.2020 um 16 Uhr, www.galerie-z22.com
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Konzeptkunst mit Fingernägeln und eine Performance mit Seife: 2011 sahen wir uns Arbeiten von Jinran Kim im Su de Coucou an. Ihre Arbeiten zu Ruinen und der deutschen Geschichte waren am Körnerpark ausgestelllt.
Mit der Versteigerung von Kunstwerken hilft sich die Berliner Szene selbst. Die direkte Auktion unter dem Motto „Art, aber fair“ ist ein Zeichen der Solidarität.