Das Gorki-Theater zeigt das Werk von Delaine Le Bas, der Mitbegründerin der Roma-Biennale, in einer zweigeteilten Ausstellung: in der Garten-Jurte und im großen Kiosk. Eine Begegnung.
Delaine Le Bas – eine der bekanntesten Roma-Künstler:innen
Sie ist eine Erscheinung, mit ihren langen roten Haaren, locker am Oberkopf zusammengesteckt, einem langen Rock und darüber einem bodenlangen Mantel, alles aus weißem Baumwolltuch. Coole Designermode, die nicht schmutzig werden sollte, doch die britische Künstlerin will genau das. Ihre selbstgeschneiderte Kleidung soll in den nächsten Tagen die Umwelt aufsaugen –beim Malen, beim Vorbereiten ihrer kommenden Ausstellung im Gorki-Theater – und letztlich Teil von dieser werden.
Ist das Mode, Performance oder eine Skulptur? Das Werk von Le Bas entzieht sich einer festen Zuschreibung wie die umtriebige Künstlerin selbst. Zuletzt war ihre Arbeit hier bei der 11. Berlin Biennale 2020 und der 2. Roma Biennale 2021 zu sehen. Mit „Beware of Linguistic Engineering“ widmet ihr das Maxim Gorki Theater im Rahmen seiner Reihe „Herbstsalon“ jetzt eine Einzelausstellung. Die 57-Jährige steckt mitten in den Vorbereitungen, wir treffen sie zum Gespräch am Theater.
Roma-Biennale in Berlin
Zum Gorki habe sie eine innige Verbindung, sagt sie. Dieser Liaison ist es zu verdanken, dass in Berlin Kunst von Roma fernab jahrhundertealter Klischees sichtbar wurde. Delaine und ihr 2017 verstorbener Ehemann Damian Le Bas zählen zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstler:innen, die der diversen Gruppe der Roma angehören. Sie waren am ersten Pavillon der Sinti und Roma auf der Venedig-Biennale 2007 beteiligt, zeigten ihre Einzel-und Gemeinschaftsarbeiten überall in Europa.
Gorki-Intendantin Shermin Langhoff holte Delaine und Damian Le Bas 2013 zum ersten Herbstsalon ans Haus. Seitdem kamen sie immer wieder, fertigten auch Kostüm- und Bühnenbild für Yael Ronens Stück „Roma Armee“. Ihr künstlerisches Engagement gegen Rassismus und Antiziganismus gipfelte in der ersten Roma-Biennale 2018 am Gorki, ein gemeinsamer Traum, den die verwitwete Delaine Le Bas allein verwirklichen musste.
Le Bas, 1965 im südenglischen Worthing geboren, studierte an der Saint Martins School of Art Mode- und Textildesign. Eine weiße Romni, die an einer Kunstuniversität studierte – keine Selbstverständlichkeit, vor allem für ihre Umwelt. Manche sagten ihr, sie solle nicht von sich als „gypsy“ sprechen, als wäre es eine Selbstdemütigung, so erinnert sich Le Bas, andere erkannten ihr die Zugehörigkeit zur Community ab, weil sie nicht dem Bild von unterprivilegierten Roma entsprach. „Ich bin stolz auf meine Herkunft“, sagt sie mit feinem britischem Akzent und erzählt von ihrer 95-jährigen Großmutter, die ihr Selbstbewusstsein anerzogen habe. Prägend für Le Bas war auch das London der 1980er-Jahre. Eine heruntergerockte Stadt sei das damals gewesen mit einer großartigen Energie. Das Ausgehen, die Musik, die Lust an Outfits: Das alles trage sie in sich weiter.
In die Kunstwelt ist die damalige Modestudentin eher hineingerutscht. „Damian und ich haben einfach gemacht, was wir gemacht haben. Damals arbeitete ich mit Stoffen und Stickereien, das war nicht als hohe Kunst angesehen.“ Für beide zählte Freiheit. Das Paar hatte entschieden, sich selbst zu finanzieren, um eigene Ausstellungen zu machen. „Es war nicht der einfachste Weg, aber es war der beste Weg. Auch, weil es bedeutete, keine Kompromisse zu machen“, sagt Le Bas.
Die Elster-Methode von Delaine Le Bas
Ihre Arbeitsweise bezeichnet die britische Kuratorin Cathy Lomax als „magpie praxis“: Wie eine Elster (magpie) bringe Le Bas gefundene Gegenstände, Zeichnungen, Stoffe, Fotografien, Performances und Film in einer multimedialen Bricolage zusammen, voller Bezüge zu ihrer Biografie, der Roma-Geschichte und gesellschaftlichen Missständen. „Ihre Arbeiten haben oft eine sehr harte und unheimliche Note, die unbequeme Wahrheiten ans Licht bringt und beunruhigende Bilder zeigt“, schreibt Lomax.
Bezeichnend dafür ist die farb- und materialprächtige Installation „Witch Hunt” (2015), die mit bunt verzierten Stoffen und Püppchen zunächst hübsch und fröhlich daherkommt. Doch bei genauerem Betrachten offenbaren sich – beispielsweise in abgetrennten Köpfen – Angst und jene Gewalt, die marginalisierte Gruppen wie Roma erfahren, wenn sie und andere Opfer moderner Hexenjagden werden. Eindeutig und geradezu minimalistisch dagegen wirkt ihr seit 2015 fortlaufendes Performance-Projekt „Romani Embassy“. Dafür hängt Le Bas an verschiedenen Orten ein Pappschild mit der titelgebenden Aufschrift um ihren Hals. Jede:r kann mitmachen, eine Zweigstelle dieser Botschaft eröffnen und das Foto auf der Internetseite der „Romani Embassy“ hochladen.
Mag eine eigene diplomatische Vertretung für alle Roma utopisch sein, so ist mit „RomArchive“, dem digitalen Archiv für Roma und Sinti, ein wichtiger Schritt für die Bewahrung und Sichtbarmachung ihrer Kulturen gemacht. Und auch hier ist Le Bas involviert, im wissenschaftlichen Beirat. Als Repräsentantin sieht sie sich aber nicht. „Ich kann nicht einmal meine Familie repräsentieren, geschweige denn die gesamte Community. Das ist absolut unmöglich. Alles was ich repräsentieren kann, bin ich selbst und wie ich die Welt wahrnehme.“
Neue Ausstellung im Gorki widmet sich der Sprache
Und das lässt Le Bas umgehend in ihre Arbeit einfließen. Nur 2017, nach dem Tod ihres Mannes, war es für sie schwer, weiterzumachen. „Da legte sich sofort ein Schalter um. Mir wurde innerhalb von Sekunden klar, dass mein Leben nie wieder dasselbe sein wird.“ Für sie gilt seitdem, keine Zeit zu vergeuden, schon gar nicht mit Negativität. Sie sei stärker auf die Gegenwart fokussiert, nutze die Möglichkeiten des Moments, sagt sie.
Während der Pandemie hat Le Bas viel geschrieben, Bücher und Gemälde geschaffen, die sie in der kommenden Ausstellung zeigt. In den vergangenen zwei Jahren, sagt sie, habe sie sich viel mit Sprache beschäftigt und damit, wie diese gegen Menschen verwendet werde. So, wie in der manipulativen Rhetorik der Brexit-Politik, den Lügen des Party-Skandals um Boris Johnson und auch in einem politisch korrekten Gebrauch von Worten, hinter dem nicht zwingend verändertes Denken steht.
Le Bas’ Ausstellung im Gorki wird geteilt: Sie findet in der Jurte im Garten des Theaters und im Gorki-Projektraum Kiosk statt. So sollen die verschiedenen Facetten von Arbeit und Person Le Bas’ besser sichtbar werden. „Ich hatte den Eindruck, dass ich auf eine bestimmte Weise gesehen werde. Aber wir alle sind so Vieles, und ich bin in gewissem Sinne dahin zurückgegangen, wo ich angefangen habe”, sagt sie. Somit wird auch „Beware of Linguistic Engineering“ eine Art Selbstbestimmung, mit der Delaine Le Bas festen Vorstellungen von ihrer Kunst entgegentreten will.
Maxim Gorki Theater Dorotheenstr. 3, Kiosk und Jurte, Mitte, Mo–So 12–20 Uhr, Eintritt frei, 1.4.–26.6.
Gesellschaftliche Minderheiten, starke Stimmen: bei der Ausstellung „The Knast“ im ehemaligen Frauengefängnis Licherfelde zeigen Künstler:innen aus der Community der LGBTQIA+ ihre Arbeiten. In der Berliner Kunstszene ist ständig etwas los. Mit unseren Ausstellungs-Tipps halten wir euch über die sehenswerten Ausstellungen auf dem Laufenden.