Herman de Vries –Pionier der Environmental Art – bewegt sich auf den Spuren der Natur
In seinem ersten Leben war Herman de Vries (*1931) Gärtner. Doch Umwege sind oft nicht umsonst, tatsächlich befasst sich der im fränkischen Steigerwald lebende Künstler viel mit der Pflanzenwelt. Seit seiner Präsentation im holländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2015 zählt er zu den wichtigsten Protagonisten der Environmental Art. Anfang der 50er-Jahre begann der Niederländer als informeller Maler und stand der Gruppe ZERO nah. Seit Anfang der 70er Jahre verbindet er seine Studien der Natur mit der Kunst.
Nun bringt das Kolbe Museum den subtilen Natur-Poeten nach Berlin. Die retrospektiv angelegte Schau „How green is the grass?“, die in Kooperation mit dem Umweltbundesamt entstand, erscheint nicht erst in Zeiten von „Fridays for Future“, Umweltzerstörung und den Auswirkungen des Klimawandels überaus aktuell.
Mit dem Handballen ausgeriebene Pigmente
Mit den Mitteln seiner Kunst erinnert de Vries daran, dass wir die Erde aus der Nähe betrachten sollten, teilnehmend und nicht ständig eingreifend. Er selbst durchstreift auch nach 50 Schaffensjahren noch täglich den Wald, beobachtet die Vielfalt der Vegetation. In ihr verbirgt sich ein Schatz, der nur darauf wartet, gefunden zu werden. So fördert der Künstler Natürlich-Erstaunliches zutage. Etwa, dass Grün nicht gleich Grün ist, sondern voller Farbtöne – wie seine Erdausreibungen, mit dem Handballen ausgeriebene Pigmente.
Diese Arbeit, die in Venedig zu sehen war, ist jetzt Teil der Ausstellung, die Museumsdirektorin Julia Wallner mitkuratiert hat. Erstaunt habe sie beim ersten Kennenlernen, „wie farbig Erde sein kann“, sagt sie. Herman de Vries hat die Erden vielerorts geborgen. Werke wie dieses vermitteln laut Wallner eine „Wertschätzung dessen, was am Wegesrand wächst, achtsam zu sein für die unscheinbaren Dinge.“ Zum Beispiel zu sehen, wie viel auf einem Mini-Rasenstück wächst. De Vries fand 473 Pflanzen auf 40 mal 40 Zentimetern Wiese.
66 leuchtende Erdproben
Das Erforschen und Sammeln von Materialien aus der Natur spiegelt sich im Werk des 88-Jährigen, der filigrane Gräser und Blätter ins Museum holt. Mit ihnen schärft er unsere Wahrnehmung. Im Laufe der Zeit entstand ein Archiv von über 9.000 Erdproben. De Vries ist weit gereist. Ein Nachfolger Alexander von Humboldts quasi, der katalogisiert und archiviert. Nur dass dieser stille Vorkämpfer eines ökologischen Bewusstseins seine naturwissenschaftlichen Studien zurück in die Kunst bringt – in Bilder und Installationen.
Mal ist es die kontemplative Poesie, etwa der knorrigen Eichenholzstümpfe am Boden des ehemaligen Kolbe-Ateliers, die beeindruckt, mal die belebende Buntheit der Farben. Besagte Erdausreibungen „from earth: europe“ bestechen im Neubau als Mosaikbild an der Wand. Es besteht aus 66 leuchtenden Feldern von Erdproben. Nach einem Mahl- und Siebeprozess hat de Vries sie ohne Bindemittel mit den Fingern auf Papierbögen gerieben.
Im Eingangsbereich empfängt den Besucher eine frühe Arbeit, die schon das ganze Oeuvre birgt: „One afternoon under a cherry tree“. Der Künstler legte dafür weißes Papier unter einen Kirschbaum und wartete, bis die Blätter heruntergerieselt waren. Sein Bild besteht aus zwei Teilen. Die eine Seite zeigt das chaotisch anmutende System der Natur; die andere die vom Menschen hergestellte Ordnung der Blätter in Reih und Glied.
Ein weiterer Eyecatcher sind die „Wintervegetationen“ – filigrane Halme, Gräser, zarte Äste, Laub. Erstaunlich vielfältig ist die Biodiversität, ganz anders als man es im Winter vermuten würde. So öffnet uns dieser Waldwanderer die Augen für die Natur und setzt Denkprozesse in Gang. Dass der Mensch etwas ändern sollte an der Schieflage, in die er den Planeten gebracht hat – indem er die Umwelt achtet; und die Pflanzen auch mal sich selbst überlässt.
Herman de Vries. How green is the grass? Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, Charlottenburg, tgl. 10–18 Uhr, 27.1.–3.5., 7/ 5 €, bis 18 Jahre frei