Fotografie

Politisch oder pornografisch? „Love, Ren Hang“ bei C/O Berlin

Anstößige Schönheit: Mit „Love, Ren Hang“ ist in Deutschland erstmals eine Einzelausstellung des chinesischen Fotografen Ren Hang zu sehen. Wie politisch und wie porno ist das?


Ren Hang „Untitled 56“, 2015, „Love, Ren Hang“, C/O Berlin. Foto: © Ren Hang. Courtesy Estate of Ren Hang und OstLicht, Galerie für Fotografie, Wien

Man könnte Ren Hang leicht für einen knallharten Revoluzzer halten. Zum Beispiel, wenn er einen jungen Mann ablichtet, vor dessen Augen je ein Penis hängt. Oder ein anderer, dem ein Aschenbecher auf dem Anus liegt, in den dieser selbst hineinascht. Oder zwei Frauen, die ihre Klitorides aneinander reiben, anscheinend – und das nicht etwa durch Dunkelheit kaschiert, sondern mit sehr viel Mut zum Licht: Die Menschen, die Ren Hang fotografiert hat, sehen meist so aus, als hätten sie extra viel Blitzlicht abbekommen – tatsächlich hat Ren oft auch starke Strahler verwendet, um seine Models ein Maximum an Licht reflektieren zu lassen – selbst wenn diese Menschen von Düsternis umhüllt waren, nachts draußen in der Natur etwa. Doch auch nicht zu viel Licht: gerade so viel, dass die Züge der Gesichter, der Körper voll zum Vorschein kommen – ohne sie ins Diffuse, Konturlose zu überstrahlen.

„Normalerweise fotografiere ich nur meine Freunde, da Fremde mich nervös machen“, hat Ren Hang gesagt. 1987 wurde er im Nordosten Chinas geboren, zog dann in die Hauptstadt Peking, studierte Werbung, brach das aber rasch ab – um sich seinen Fotografien zu widmen. Immer analog auf Rollfilm. Er litt lang an starken Depressionen, bevor er 2017 den Freitod wählte. Dass er mit expliziter, auch homoerotischer Nacktheit ein politisches Statement setzen wollen würde, hat er zwar stets bestritten – aber das tut man eben auch besser, solange man in China arbeiten und ausstellen will; einem Land, in dem Pornografie seit 1949 verboten ist. Und in dem Homosexualität nach wie vor eines der größten gesellschaftlichen Tabus ist.

Natürliche Sehnsüchte

Die Menschen in Rens Fotografien fügen sich oft ein als Teil der Natur: Der Mensch ist eben nicht nur ein kulturell geformtes, verformtes Wesen, sondern hat natürliche Sehnsüchte. Ein Gesicht erscheint in einer Fotografie wie ein Seepflanzenblatt zu Wasser. Die Menschen biegen sich organisch bei Ren, oft in einer Melange aus Melancholie und Verführungstrieb. Ren Hang hat sich zeitlebens für japanische und amerikanische Kultur begeistert; und so liegt der Gedanke gar nicht fern, bei seinen Fotografien auch an das Kurzgedicht „In a Station of the Metro“ (1913) von Ezra Pound zu denken, das als erster amerikanischer Haiku gilt: „The apparition of these faces in the crowd: Petals on a wet, black bough.“ Menschengesichter also als Blütenblätter auf einem nassen Ast. Für einen Moment lang: In all ihrer Schönheit, die Zerbrechlichkeit beinhaltet und immer mitmeint. 

Auf anderen Fotografien sieht man bei Ren auch: eine Frau in einer Badewanne; mit einem Strohhalm holt sie unter Wasser Luft. Oder: zwei junge Männer, einer krallt sich an einem Baum fest und hält dem anderen sein Gemächt ins Gesicht. Wobei beides so dicht aneinanderliegt, dass man keines von beiden wirklich sieht. Der potentielle Blowjob findet, wenn überhaupt, nur hinter den Augen der Betrachtenden statt – ziemlich genau dort, wo auch die Frage nur beantwortet werden kann, wie viel politische Sprengkraft man in diesen Arbeiten sehen mag; ihre wohlkomponierte, aber anstößige Schönheit hingegen ist von einer intuitiven Klarheit, der man sich kaum entziehen kann.

C/O Berlin Hardenbergstr. 22, Charlottenburg, bis 29.2., tgl. 11–20 Uhr, 10 / erm. 6 €

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