„Vision findet Stadt“ – Mit der Werkschau „Life in Cities“ des renommierten Fotografen Michael Wolf eröffnet die Urania ihre erste große Kunstausstellung. Die Bilder sind geprägt von skurrilen Gegensätzen in Megastädten
Menschen, eng zusammengepfercht in überfüllten U-Bahnen oder notgedrungen beim Urinieren auf offener Straße – in seinen Bildern spiegelt Michael Wolf das lebendige Treiben in Megastädten wider, wie es ist: Eng. Dreckig. Und in hohem Maße schräg. Er reflektiert die Lebensbedinungen in überbevölkerten Städten unerschrocken realitätsgetreu, ist er doch selbst stets von ihren Glücksmomenten wie auch von ihren Schattenseiten beeindruckt gewesen.
Vor etwaigen gesellschaftlich tabuisierten Themen schreckt der renommierte Fotograf dabei nicht zurück. Seine Arbeiten leben von Gegensätzen: Voyerismus steht der Privatsphäre gegenüber wie der Massenkonsum dem Mangel an Wohnraum und öffentlichen Plätzen. Einige Aufnahmen zeugen von der Anpassung des Stadtmenschen an die ökonomischen Strukturen – und von seinen Versuchen, daraus auszubrechen.
Die Urania Berlin eröffnet am 15. Juni die zweimonatige Ausstellung „Life in Cities“, eine Retrospektive des kürzlich überraschend verstorbenen Fotografen Michael Wolf. Die Werkschau ist eine Produktion des Fotomuseums Den Haag, in Deutschland war sie erstmals 2018 in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen. Die wissenschafts- und dialogorientierte Urania schlägt damit eine neue Richtung ein: Es ist die erste große Kunstausstellung in ihrer Geschichte. „Die Thematik von Michael Wolfs Arbeiten verbindet sich auf beeindruckende Weise mit dem Jahresthema ,Vision findet Stadt‘“, sagt Urania-Kuratorin Lena Lucander. „Und sie umkreist die stetige Frage: Wie wollen wir miteinander leben?“ Diese Übereinstimmung war für den Programmdirektor Ulrich Weigand ausschlaggebend, die Werkschau zu zeigen. „Das passt hervorragend zu unserem Diskurs zur Entwicklung der Berliner Stadtgesellschaft“, sagt Weigand.
Dabei tut sich die Frage auf, wo die Urania die Bilder unterbringt, wirken doch die bekannten Räumlichkeiten eher ungeeignet als Ausstellungsort. Kuratorin Lena Lucander erzählt, dass sich Wolf die Räumlichkeiten noch selbst ausgesucht habe. Sie befinden sich in einem Teil der Einrichtung, der für Besuchende bisher meistens verborgen geblieben ist: in der zweiten Etage im Altbau. Viel mehr möchte die Leitung noch nicht preisgeben, um den Überraschungseffekt zu wahren.
„Life in Cities“ ist die erste größere Retrospektive der fotografischen Arbeiten von Michael Wolf. Die Schau läutet in zweierlei Hinsicht das Ende einer Ära ein: Mit der letzten Serie „Cheung Chau Sunrises“ zeichnet sich der Abschluss von Wolfs 13-jähriger Tätigkeit in Hongkong ab. Gegenüber der Kuratorin Lucander beschrieb Wolf die Serie als „Akt der Befreiung aus dem Gedränge der Großstädte.“ Zugleich bildet sie den Abschluss von Wolfs gesamtem Lebenswerk, denn kurze Zeit später, am 25. April, starb er in Hongkong.
In seiner letzten Mail an die Urania äußerte er den Wunsch, einen Platz für die „Cheung Chau Sunrises“ in der Ausstellung zu finden; die Serie war anfangs nicht einkalkuliert. Die idyllischen Sonnenaufgänge stehen im harten Kontrast zu den Aufnahmen einer überbevölkerten Stadt und verdeutlichen noch einmal die Gegensätzlichkeit in Wolfs Bildern. Ihnen wird nun ein eigener Saal gewidmet. „Michael Wolf war ein so inspirierender, freundlicher Mensch, neugierig und interessiert an unserem Haus, offen für neue Ideen“, sagt Lucander betroffen. „Mir geht der Anblick dieser Sonnenaufgänge nun besonders nahe und gleichzeitig sehe ich in ihnen eine befreiende Dimension, die größer ist als alle Megacities dieser Welt.“
Urania Berlin An der Urania 17, Schöneberg, 15.6.–14.8., tgl. 12–20 Uhr, Eintritt frei, urania.de/life-cities