Die Mauer im Kopf: Im Gropius Bau zeigen wichtige Künstler*innen wie Mona Hatoum, Tagreed Darghouth und Marina Abramović Arbeiten zu Trennung und Grenzüberschreitung
Den Lichtschutz an den Fenstern des Gropius Baus ließ Stephanie Rosenthal als erstes entfernen, als sie hier Chefin wurde. Das bringt nicht nur Helligkeit ins Gebäude, sondern auch ein Stück Geschichte zurück ins Bewusstsein der Besucher, denn der Bau stand einst direkt an der Mauer.
Eine „Geschichtsstunde“ soll die Ausstellung „Durch Mauern gehen“ dennoch nicht sein, erklären die beiden Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath. Beide arbeiten bereits seit zehn Jahren an dem Thema, Bardaouil ist im Libanon während des Bürgerkrieges aufgewachsen. 28 Künstler*innen aus 21 Ländern haben die zwei in den Gropius Bau eingeladen, Saudi-Arabien, Libanon, Venezuela, USA (mit Melvin Edwards, s. Abb. links), Irland, Dänemark und Großbritannien etwa sind vertreten. Einige der Künstler wie Anri Sala, Siska oder der Maler Yuan Yuan leben in der Hauptstadt.
Eine Ausnahme bildet eine „echte“, gebürtige Berlinerin, die 2010 verstorbene Sibylle Bergemann, deren schwarzweiße Fotografien aus den Wendejahren 1989/90 die Gruppenschau an verschiedenen Stellen mit historischen Spuren durchziehen. Da ist diese Göre an der Bernauer Straße, recht keck, mit herausforderndem Blick. Das Foto als Dokument, Berlin vor der Tür und die künstlerischen Anverwandlungen – diese drei Ebenen zusammengebracht und -gedacht ergeben in der Ausstellung ein spannungsvolles Vexierbild zwischen Erinnerung und Gegenwart. Von der Malerei über die Performance bis zur ortsspezifischen Rauminstallation sind alle Medien vertreten.
Weltweite Trennungsinien
Die Berliner Mauer ist der Aufhänger, doch die Schau weitet sich aus, sie „soll zeigen, wie Künstler heute global auf Trennungen reagieren und mit Trennungslinien umgehen“, sagt Till Fellrath. „Was machen Mauern metaphorisch oder physisch mit den Menschen?“ Migration ist natürlich ein Thema. Die minimalistische Installation des US-Künstlers Fred Sanderback zeigt das mit einem simplen Trick: Mit schwarzen Wollfäden sind Begrenzungen in den Raum hinein „gezeichnet“. Wer mag, darf hindurchsteigen. Eine schöne Metapher für die Überwindung von Grenzen und ihre Durchlässigkeit.
Einige Werke machen dann aus den Museumswände doch Mauern. „Im Gebäude selbst spürt man ja, dass es hier auf dem Areal eine schwierige Vergangenheit gab“, findet Till Fellrath. Zahrah Al Ghamdi aus Saudi-Arabien hat das im Umgang im Erdgeschoss umgesetzt, in dem sie aus einem weichen Material per Hand hunderte vergrößerte Knoten fertigte, die nun – dicht an dicht – aus dem Weiß der Innenwand wuchern.
„Durch Mauern gehen“ heißt übrigens auch die Biografie der vielleicht radikalsten, auf jeden Fall berühmtesten Performerin der Welt: Marina Abramovic. 1988 liefen sie und ihr damaliger Partner Ulay sich auf einer Strecke von 2.500 Kilometern auf der chinesischen Mauer entgegen. Ein Marsch, der zur Trennung des Paars führte. Von den beiden ist ein älteres Video von 1977 zu sehen, „Light/Dark“ zeigt, wie sie sich über viele Minuten hinweg gegenseitig ohrfeigen. Ein Ohrfeigen-Exzess mit Grenzüberschreitung.
Tagreed Darghouth aus Beirut hat eine Serie verschieden großer Überwachungskameras gemalt, die an einer Wand platziert auf die Besucher gerichtet sind. Mona Hatoum ist mit drei Arbeiten vertreten, zwei davon sind neu. „Orbital“ zeigt eine vergrößerte Weltkugel aus Stahl – gespickt mit kruden Betonbrocken. Ein Stapel von Ziegeln („Pile of Bricks“, 2019) entpuppt sich als ein zerbombtes Haus, wie wir es aus Ländern im Krieg von zahlreichen Fernsehaufnahmen kennen. „Das macht mit einem etwas“, glaubt Till Fellrath, „es gibt viele Assoziationen. Das Offene in der Kunst ist doch das, was die Komplexität unserer Gesellschaft wiedergibt. Nichts ist schwarz oder weiß, sondern viel, viel komplizierter.“
Gropius Bau Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Mi–Mo 10–19 Uhr, 12.9.–19.1., 15/ erm. 10 €