Ausstellung

„Paris Magnétique“ im Jüdischen Museum Berlin: Reise an die Seine

Aus Frankreich kommt „Paris Magnétique. 1905–1940“ in das Jüdische Museum Berlin. Die Ausstellung mit 130 Werken führt in Leben und Schaffen teils vergessener jüdischer Künstler und Künstlerinnen ein, die aus verschiedenen Gründen nach Paris zogen. Dazu gibt es ein umfangreiches Event-Programm.

Unter dem Künstlernamen Marevna malte Maria Bronislawowna Worobjowa-Stebelskaja. Hier das Bild „La mort et la femme“, 1917 Schweiz, Genf, Petit Palais. Foto: Studio Monique Bernaz, Genève VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Paris Magnétique führt in die Stadt der Freiheit und Kunst

Paris, das war Freiheit, und Paris bedeutete Kunst – sie zu erleben ebenso wie sie zu schaffen, ganz nach eigenem Plaisir. Das galt zum Beispiel für die Bildhauerin Chana Orloff. Wer im Sommer im Bröhan Museum die Ausstellung „Ansehen!“ besucht hat, ist ihr bereits begegnet. Sie gehörte zu den weniger bekannten Namen in der Schau, neben Größen wie Käthe Kollwitz und Marina Slavona. Alle drei reisten um 1900 nach Paris, alle drei bildeten dort ihr Können aus. Kollwitz und Slavona, weil die Türen deutscher Kunstakademien für Frauen verschlossen blieben, die Jüdin Orloff, weil sie 1905 vor den Pogromen in Russland geflohen war.

Jetzt nimmt das Jüdische Museum Berlin Besucher:innen mit auf eine Reise an die Seine. Die Schau „Paris Magnétique. 1905–1940“ geht der Anziehungskraft jener Kunstszene nach, aus der die École de Paris, die Pariser Schule, hervorgegangen war. Die École de Paris war weder Schule noch Strömung, sondern eine Bezeichnung für die internationalen Künstler:innen, für die Paris zu einer Art Schule wurde, die dort blieben und Teil der Kunstszene wurden. „Paris Magnétique“ konzentriert sich auf jüdische Künstler:innen und stellt 33 von ihnen mit über 130 Werken vor, vornehmlich diejenigen, die bereits zwischen 1900 und 1914 nach Paris kamen, weit vor den Emigrant:innen, die Deutschland um 1933 verlassen mussten.

Suchte das Glück in Paris: Rudolf Levy. „Blick auf den Pont Marie“, 1910. Foto: Bernd Kirtz

So trifft man in „Paris Magnétique“ Chana Orloff wieder, für die Paris zur Heimat geworden war. Nach einer Zwischenstation in Palästina war sie 1910 mit 22 Jahren in die französische Metropole gekommen, wo sie zu einer der wichtigsten Repräsentantinnen der École de Paris wurde. Ihr vom Kubismus geprägtes Schaffen erstreckt sich über mehr als 60 Jahre, ihre Skulpturen, Plastiken und Zeichnungen wurden in Paris, New York und Tel Aviv ausgestellt. In den 1920er-Jahren porträtierte sie Intellektuelle, fast alle aus dem Kreis der Emigrierten. Trotz des unübersehbaren kubistischen Einflusses zeichnen sich ihre Figuren wie „Maternité“ (1912) und „Sérénité“ durch weiche Linien aus.

Berlin war eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg nach Paris

Chana Orloff bewegte sich in Kreisen, denen auch Marc Chagall, Amedeo Modigliani und Sonia Delaunay angehörten. Auch deren Werke bringt die Schau nach Berlin. Doch dreht sie sich mehr um jene Künstler:innen, die in den Kanon der Klassischen Moderne gehören würden, hierzulande jedoch vergessen wurden, obwohl einige in Deutschland aufgewachsen waren oder gearbeitet und ausgestellt hatten. „Für viele aus Russland, Ungarn oder dem heutigen Polen stammende Künstler waren München oder Berlin wichtige Stationen auf dem Weg nach Paris“, sagt Kuratorin Shelley Harten.

Es gibt also gute Gründe, die Ausstellung, die in Paris 2021 am Musée d’art et d’histoire du Judaïsme zu sehen war, nach Berlin zu holen. Mit Blick auf das hiesige Publikum hat Harten den Schwerpunkt leicht verschoben: hin zum Kreis der deutschsprachigen Akteur:innen. So hebt die Schau neben Michel Kikoïne, Moïse Kisling und Chaïm Soutine auch Walter Bondy, Otto Freundlich, Rudolf Levy und Lou Albert-Lasard hervor.

Marc Chagall gehört zu den Größten seiner Zeit.  „Das Atelier,“ von 1911. Foto: FR, Paris, MNAM – Centre Pompidou VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Lou Albert-Lasard studierte in München, wo sie Kontakt zu der Künstlergruppe Blauer Reiter hatte. Sie reiste regelmäßig nach Paris, 1919 schloss sie sich der Novembergruppe in Berlin an. Hier ist sie kein Unbekannte: 1983 erinnerte die Berlinische Galerie an Lou Albert-Lasard, 2003 das Verborgene Museum.

In die französische Hauptstadt zog sie 1928. Das Jüdische Museum Berlin präsentiert ihr Ölgemälde „Tanz“ (ohne Jahr), das in leuchtenden Farben eine Tanzbar zeigt und mit seinem abstrahierten Malstil, in dem Neue Sachlichkeit mitschwingt, den damaligen Zeitgeist aufgreift. Daneben sind Lithografien aus der Mappe „Montmartre” (1925) zu sehen, die das dortige Nachtleben mit dynamischen Linien feiern. Die Bildsprache erinnert an die Jeanne Mammens, jedoch malte Albert-Lasard weniger zeitkritisch. 

Die äußerst produktive Künstlerin war in Montparnasse zu Hause, in Nachbarschaft von Matisse, Modigliani, Chagall und Orloff, die sie oft im Café du Dôme sah. Dort trafen sich Kulturschaffende mit Verbindungen zu Deutschland. Rudolf Levy und Walter Bondy, die 1903 nach Paris gekommen waren, hatten es zu ihrem Stammcafé gemacht.

Paris Magnétique blickt auch auf jüdische Kultur

Wie sich die École de Paris entfaltete, zeichnet die Schau in zehn Kapiteln nach, anhand von Orten und mittels historischer Ereignisse. Bei den Orten ist das Künstlerhaus La Ruche eine Entdeckung, in dessen Ateliers auch Jiddisch zu hören war. Die geografische Herkunft der Künstler:innen und ihre Religionszugehörigkeit flossen allerdings kaum bis gar nicht in ihre Arbeiten ein. Nur wenige Werke wie die der polnischen Malerin Alice Halicke zeigen jüdisches Leben. „Die Beschäftigung mit der jüdischen Kultur ist bei manchen Künstlern zwar ein Thema, sie ist aber von Religiosität zu trennen“, sagt Harten. „Wären die Künstler streng religiös, hätten sie höchstwahrscheinlich Kunst nicht zum Beruf gemacht.“ Wie bedeutsam dagegen die Auseinandersetzung der Künstler:innen mit der jüdischen Kultur ist, zeigt ein ihr eigens gewidmetes Kapitel.

Der letzte Blick ist auf den Einmarsch der deutschen Truppen 1940 in Paris gerichtet, der die Künstler der École de Paris zur Flucht, in den Untergrund oder den Tod trieb. Orloff, Halicke und Albert-Lasard gehörten zu denen, die die Zeit überstanden. Ihre Werke  zeugen davon, wie stark die zugewanderten jüdischen Künstler:innen die Klassische Moderne in Paris mitgestalteten.

  • Jüdisches Museum Berlin Lindenstr. 9–14, Kreuzberg, Mo–So 10–19, Uhr, 8/ 3 €, bis 18 J. + 1. So im Monat frei, Eröffnung: Di 24.1., 19 Uhr, bis 1.5.

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