Die Einzelausstellung Gustave Caillebotte. Maler und Mäzen der Impressionisten in der Alten Nationalgalerie widmet sich dem spät entdeckten französischen Künstler und holt sein bekanntestes Werk „Straße in Paris, Regenwetter“ erstmals nach Berlin
Der Asphalt des Bürgersteigs schimmert in feuchtem Grau, zwischen dem Kopfsteinpflaster haben sich kleine Seen aus Regenwasser gebildet. In ihnen reflektieren sich der Himmel, die umliegenden Häuser, die Menschen auf der Straße. Zwei Passanten – eine Frau mit Ohrringen und elegantem Hut und ein Mann mit Fliege und Zylinder – flanieren unter einem Regenschirm. Sie scheinen den Betrachtenden nichtsahnend in die Arme zu laufen, während ihre Blicke auf die Straße gewandt sind, ungewiss worauf.
Diese Szene stammt aus dem Bild „Straße in Paris, Regenwetter“ des französischen Malers Gustave Caillebotte, das in der Ausstellung „Gustave Caillebotte. Maler und Mäzen der Impressionisten“ ab 17. Mai in der Alten Nationalgalerie zu sehen ist. Durch einen Tausch mit dem Art Institute in Chicago gelang es der Alten Nationalgalerie, das 1877 in Paris vollendete Bild erstmals nach Berlin zu holen. Der aus dem Großbürgertum stammende Caillebotte zählte Ende des 19. Jahrhunderts zu den bedeutendsten Mäzenen des französischen Impressionismus. Er förderte Künstler wie Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir, unterstützte sie finanziell und organisierte die ersten Gruppenausstellungen. Durch sein Engagement in der Gruppe der Impressionisten trug er nachhaltig zur Anerkennung der neuen Kunstgattung bei.
Neben seiner Förderung kaufte er Werke der Künstler und legte bereits früh eine weitreichende Sammlung an. Alleine von Camille Pissarro soll er 18 Werke besessen haben. Nach seinem Tod 1894 überlässt er sein Vermächtnis dem französischen Staat, allerdings werden nur 38 Werke angenommen und in Paris öffentlich ausgestellt. Zeitgleich macht der damalige Direktor der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, die Berliner Sammlung, die in ihrer Zusammensetzung jener Caillebottes ähnelte, öffentlich zugänglich. So werden erstmals impressionistische Werke in Museen gezeigt – ein wegweisender Moment, an dem Caillebotte als Mäzen nachhaltig beteiligt war.
„Dass er als Maler jedoch lange Zeit unentdeckt blieb, liegt daran, dass seine eigenen Arbeiten nach seinem Tod gänzlich in Privatbesitz übergingen“, sagt der Leiter der Alten Nationalgalerie, Ralph Gleis. Das Bild „Straße in Paris, Regenwetter“, das Caillebotte 1877 auf der dritten Impressionisten-Ausstellung ausstellte, schaffte es jedoch über Umwege in den 1950er Jahren in die USA, wurde 1964 an das Art Institute in Chicago verkauft und machte den Maler schließlich bekannt. Obwohl auch das Werk „Die Parkettschleifer“ von 1875, das dem Musée d’Orsay in Paris übergeben wurde, als internationales Meisterwerk gehandelt wird, gilt Caillebotte heute noch als Geheimtipp.
Genau aus diesem Grund widmet ihm die Alte Nationalgalerie nun eine Einzelausstellung, die Caillebotte gleichzeitig als Mäzen und als Künstler zeigen möchte, erklärt Ralph Gleis. Dieser Einteilung versucht auch der Aufbau der Schau gerecht zu werden. Mit insgesamt etwa zwanzig Objekten bleibt sie überschaubar, wobei Dokumente und testamentarische Verfügungen seine Tätigkeit als Mäzen in Frankreich skizzieren sollen. Das angesprochene Werk „Straße in Paris, Regenwetter“ steht dabei als zentrales Exponat im Zentrum und wird durch von Caillebotte akribisch angefertigte Studien, Zeichnungen sowie Ölskizzen ergänzt.
Vergleicht man Caillebottes Kunstwerke mit denen seiner Zeitgenossen wie Cézanne, Renoir oder Monet, findet sich bei ihm eine eigene Form des Impressionismus, erklärt Gleis. Obwohl er sich mit Edgar Degas zeitlebens über die Ausrichtung des Impressionismus stritt, kann er am ehesten mit ihm verglichen werden. Doch alleine die überdimensionalen Maße des Bildes „Straße in Paris, Regenwetter“ von über zwei Metern Breite und Höhe sowie die gewählte Perspektive stellen eine Ausnahme dar. Hinter den zwei Passanten im Vordergrund öffnen sich Straßenschluchten, die dem Bild eine räumliche Tiefe verleihen. Caillebotte schuf so einen aufwendig konstruierten Bildraum, der für den damaligen Stil als ungewöhnlich und neuartig galt.
Die Zufälligkeit der Szene wird insbesondere dadurch geschaffen, dass Figuren vom Bildrand abgeschnitten oder sogar durch andere Gegenstände überdeckt werden. „Das galt damals als sehr modern – fast skandalös“, so Ralph Gleis. Beispielsweise ist ein Mann rechts im Bild von hinten und nur zur Hälfte zu sehen, oder die grüne Straßenlaterne in der Mitte ist an mehreren Stellen überdeckt.
Am ungewöhnlichsten sei es jedoch, meint Gleis, dass unter einem aufgespannten Regenschirm im Hintergrund nur zwei Beine einer sich dahinter befindenden Figur zu erkennen sind. „Ein Schirm mit Beinen?“, fragten sich damals manche Kritiker. So wie der Blick der Passanten im Vordergrund lässt Caillebotte in seiner Pariser Straßenansicht vieles offen. Den gelblichen Himmel legt er wie eine dumpfe Decke über die Dächer. Ungewiss, wann der Regen aufhört.
Alte Nationalgalerie Bodestr. 1–3, Mitte, Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, 10, erm. 5 €, 17.5.–15.9.