Was soll das, fragt man sich unwillkürlich, wenn man die große, ziemlich leere Halle betritt. Der Blick fällt als Erstes auf einen Cereus-Kaktus im Blumenkübel, ein stolzer Phallus von wohl dreieinhalb Metern Größe. Ein schönes Objekt, um das man sich bemühen muss. Der Künstler ist ein guter Mann. Der hat den Kaktus für eine Ausstellung 2002 in Frankfurt in der andalusischen Tabernas-Wüste ausgegraben, wohin er gepflanzt wurde, um für Sergio Leones Western eine ordentliche Kulisse abzugeben. 2145 Kilometer hat er mit seinem Volvo 240 Kombi das gute Stück nach Deutschland transportiert.
Und weil es dem Kaktus gut gehen sollte, hat er den Motor seines Volvos ausgebaut und mit der Energie der Schwedenkutsche eine Klimaanlage geschaffen. In der Kunsthalle hört man den Motor und denkt womöglich an eigene Reisen in dem Gefährt in den Süden. Man sieht nur, was man weiß, und so sieht man Heizungsrohre und Abgasrohre, die durch die Wand ins Freie führen, wo sie tatsächlich auch im Auspuff des dort geparkten roten Volvos enden, der so aussieht, als ob der Fahrer eben ausgestiegen sei, um zu tanken und eine Tasse Kaffee zu trinken.
Hat man nun begriffen, was es mit dem Kaktus auf sich hat, kann man sich dem „Gewächshaus“ zuwenden. Das ist ein katakombenähnlicher Lehmziegelbau, in dessen Inneren sich sechs Vintage-Prints von Künstler Karl Blossfeldt befinden, der sich mehr als Bildhauer denn als Fotograf verstand. Jedenfalls brauchen seine Fotos eine exakte Temperatur, die die „Standard-Museumsbedingungen“
(20° C +- 2° C bei 50 % +- 5 % relativer Luftfeuchtigkeit) garantiert. Und so ein Lehmbau, versehen mit einem „hocheffizienten energiesparenden Klimaregelungssystem“ erfüllt diese Bedingungen. Gebaut hat der Künstler dieses Ensemble im letzten Jahr, als ihm der Kunstraum Dornbirn absolute Freiheit gegeben hat, mit der Einschränkung, man könne dort eben diese Bedingungen nicht herstellen. Das hat den Trotz des Künstlers herausgefordert, und er musste etwas erfinden, um seine Freiheit durchzusetzen.
Tritt man aus der Hütte, fällt der Blick zweifellos auf einen Gegenstand, der an eine Motorsäge erinnert. Tatsächlich ist es eine auseinandergenommene Motorsäge, die Simon Starling zum Flaschenzug umfunktioniert hat, um damit einen von eben dieser früheren Motorsäge abgesägten Ast einer Linde der gleichnamigen Allee unter das Hallendach hinaufzuziehen, wo sie nunmehr titelgebend „Under Lime“, unter der Decke baumelt.
Selbstverständlich könnte man poetisch auch „schweben“ sagen, aber der Ast hängt da oben nackt und kahl, einsam, sinnlos.
Sinnlos?
Der Kurator der Ausstellung, Dr. Julian Heynen, künstlerischer Leiter der K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, und Mitglied des künstlerischen Beirats der Temporären Kunsthalle, tat sich zumindest ein wenig schwer, den Künstler überhaupt zu verorten. Beim Wort „Bildhauer“ schluckte er schwer und ließ sich nach einigem Hin und Her auf die Behelfsbezeichnung „Skulpteur“ ein, wobei es ihm offensichtlich darum gelegen war, das schöne Wort „Installateur“ zu vermeiden.
Der Kurator hat schließlich in den vergangenen Jahren keinen Künstler getroffen, geschweige denn ein Kunstwerk gesehen, das ein Künstler aus Stein herausgemeißelt hat oder aus Ton geformt, das seinen Ansprüchen an zeitgenössische Kunst überhaupt verdient hat. So ist er interessiert daran, Künstler zu pflegen, die solch altertümliche Herangehensweise an Kunst hinter sich gelassen haben. Er spricht lieber davon, dass diese drei Kunststücke von Simon Starling für ihn, und damit mindestens für die Menschheit, ein einziges Füllhorn an Inspiration seien. Man müsse nur genau hinschauen und die Gedanken schweifen lassen.
Der einsame und verlassene grüne Kaktus beispielsweise. Da müsse man sich doch Gedanken machen über seine Herkunft. Man müsse ihn doch quasi nehmen als Sinnbild der westlichen Kultur, die nichts anderes im Kopf hat, als die Welt zu entwerfen und sich untertan zu machen. Dieses Phallusobjekt ist doch ein Symbol für die Kultur des weißen Mannes, der einfach für seine Zwecke einen Kaktus in Lateinamerika aus seiner Umgebung herausreiße, um ihn niederträchtigerweise nach Spanien zu verpflanzen, wo der arme Kerl zum Objekt der Italowestern degradiert und missbraucht würde.
Aber er, der Künstler Simon Starling, habe mit der Ausgrabung des Kaktus und seine Überführung nach Mitteleuropa nicht nur dem schändlichen Treiben der Kulturindustrie die Maske vom Gesicht gerissen. Nein. Mit dem Transport durch den Volvo und den Ausbau des Motors, um mit seinen Pferdestärken eine Klimaanlage für den Kaktus zu betreiben, reißt er uns allen die Maske der Ignoranz vom Gesicht…
Lesen sie mehr in Heft 05 des tip-Berlin auf S. 56.
Text: Qpferdach
Simon Starling „Under Lime“,
Temporäre Kunsthalle, Schlossplatz 1, Mitte,
So-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-21 Uhr, bis 18.3.2009