Fotograf und Berghain-Türsteher Sven Marquardt hat eine Imagekampagne für die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gesobau geschossen. Die Bilder zeigen unterschiedlichste Mieter:innen der Gesobau, fotografiert im Märkischen Viertel. Das ist der Teil der Stadt, in dem die Firma die meisten Wohnungen besitzt. Die Bilder sind ab dem 17. Juni 2022 für zehn Tage in der kostenfreien Ausstellung „NAH“ zu sehen – natürlich im MV.
Auftrag hat Sven Marquardt zum ersten Mal ins MV gebracht
Bevor Sven Marquardt, Fotograf und Türsteher im Berghain, mit den Fotoshootings für die neue Imagekampagne der Gesobau und die Ausstellung NAH startete, war er noch nie im Märkischen Viertel gewesen – und das als geborener Berliner. Jetzt ist er begeistert vom MV: „Ich bin schon ein bisschen verknallt ins Märkische Viertel“, sagt er. „Als die Shootings vorüber waren, hätte ich auch noch weitermachen können. Es ist alles sehr echt hier. In vielen Teilen der Stadt ist das nicht so.“
Marquardt steht an einem heißen Junitag in der ehemaligen Zentrale der Gesobau am Wilhelmsruher Damm, direkt am Märkischen Zentrum, Nukleus eines Viertels, das als Großwohnsiedlung berühmt und berüchtigt ist. Sido kommt von hier, hat das Video zu „Mein Block“ gedreht und die Außenwirkung als Ghetto verfestigt. Im Ausstellungsraum ist es kühl. Das Gebäude wird gerade umgebaut, es entstehen Seniorenwohnungen. Vorher aber gibt es eine Zwischennutzung: Sven Marquardt stellt die Bilder von Mieter:innen der Gesobau aus, die er für die neue Imagekampagne der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft gemacht hat.
Die Bilder zeigen zum Beispiel einen Zauberer, den Mitarbeiter einer Security-Firma und einen Boxtrainer, eine Youtuberin, eine Kassiererin, einen Profihandballer, Renter:innen und Restaurantbesitzer:innen. Studierende. Die Abgebildeten sind Ehepaare, beste Freund:innen oder Familien. „Ich finde, alle diese Menschen haben Stolz in ihrem Blick. Das war mir wichtig“, sagt Marquardt.
Gesobau: Das MV ist kein „Ghetto“
Dass Sven Marquardt eine Imagekampagne für eine Wohnungsbaugesellschaft schießt, mag erst einmal ungewöhnlich erscheinen. Dass es überhaupt dazu gekommen ist, liegt daran, dass die Gesellschaft keine herkömmliche Kampagne wollte. „Wir wollten zeigen, wie vielfältig und die divers die Mieterschaft der Gesobau ist“, sagt Jörg Franzen, Vorstandsvorsitzender der Landeseigenen. „Und dass das hier kein Ghetto ist. Sido hat uns mit seinem Video damals und damit, dass er das MV so stilisiert hat, keinen Gefallen getan.“
Mehr als 100.000 Mieter:innen wohnen bei der Wohnungsbaugesellschaft zur Miete, sie besitzt 45.000 Wohnungen, davon allein ungefähr 15.000 im Märkischen Viertel. Auch der Rest liegt vornehmlich im Berliner Norden. Dort werden auch einige der Bilder auf Plakaten zu sehen sein.
Als die Gesobau bei Marquardt anfragte, wollte er zuerst wissen, ob der Plan sei, dass er die Menschen in ihren Wohnungen fotografiert. „Das hätte ich nicht gemacht“, sagt er. „Diese Schwelle wollte ich nicht übertreten. Meine Arbeit ist nicht sozialdokumentarisch. Ich schaffe eher Parallelwelten, in die die Menschen für kurze Zeit eintauchen können und die auf den Bildern sichtbar werden.“
Marquardts Fotos: Ungewöhnliche Modelle, gewohnte Ästhetik
Die Marquardt-Handschrift, also das Zarte im scheinbar Roughen, das Sensible und Sanfte, das Ausdrucksstarke – man erkennt sie auf den Bildern. Dass das nicht so sein könnte, davor hatte Sven Marquardt Angst – eben weil dieses Projekt so anders ist, als alles, was er bisher gemacht hat, weil die Fotografierten nicht wie sonst Musiker:innen, Models, Menschen aus dem Nachtleben sind.
Gar nicht so anders ist hingegen der Ort der Ausstellung im Erdgeschoss des ehemaligen Gesobau-Headquarters: Die Wände des großen Raums sind unverputzt, die Säulen ebenso, der Beton roh, an der Decke sieht man Rohre, die später nicht mehr zu sehen sein werden. Manche Bilder sind auf PVC gedruckt, haben eine grobe Textur. Die Location hat den industriellen Charme, den man vom Berghain und den Settings vieler Fotografien Sven Marquardts kennt.
- NAH Wilhelmsruher Damm 142, Reinickendorf, 17.-26.6., täglich 14-22 Uhr, Eintritt frei, Zugang schräg gegenüber des Fontanehauses
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