Interview

The Scharf Collection: „Die Kunst gehört einem nie allein“

Was für eine Premiere! Eine der bedeutendsten Privatsammlungen in Deutschland, die Berliner The Scharf Collection, wird erstmals ausgestellt – ab dem 24. Oktober in der Alten Nationalgalerie. Eine solche nun in vierter Generation zusammengetragene Sammlung erzählt nicht nur viel über Kunst-, sondern auch über Berlin-Geschichte. Ein Gespräch mit René und Christiane Scharf über Familientradition, Kriegsverluste und die Frage, warum sie nun an die Öffentlichkeit gehen.

Ein Teil der Scharf Collection – und eines der Lieblingsbilder von Christiane Scharf: Claude Monet, Waterloo Bridge, 1903, Öl auf Leinwand, 65 x 100 cm © The Scharf Collection, Ruland Photodesign 

tipBerlin Mir ist erzählt worden, eine gerahmte Fotografie von Ihrer Großmutter habe ein Einschussloch. Wie ist das passiert?

René Scharf Genau weiß ich es auch nicht. Es gibt in unserer Familie die Erzählung, dass auf diese Fotografie entweder geschossen oder mit einem Säbel eingestochen wurde, dort, wo der Hals meiner Großmutter zu sehen ist. Höchstwahrscheinlich waren das sowjetische Soldaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

tipBerlin Wie hat Ihre Großmutter Margarethe Scharf es geschafft, die Kunstsammlung Ihres Urgroßvaters, Otto Gerstenberg, durch den Zweiten Weltkrieg zu bringen? Viele Kunstwerke sind im Krieg zerstört wurden oder gingen verloren.

René Scharf Das war auch bei unserer Sammlung der Fall. Es gibt einen Brief von Paul Ortwin Rave, dem damalige Direktor der Nationalgalerie, und er hat meine Großmutter 1942 angeschrieben und meinte, es würde langsam Zeit, die Sammlung in sichere Gefilde zu bringen. Das hat meine Großmutter, wie andere Sammler auch, dann getan. Sie hat einen Teil ihrer Kunstsammlung der Nationalgalerie anvertraut. Ein Teil wurde im Keller der Viktoria-Versicherung untergebracht, ein Teil wurde nach Süddeutschland verbracht und nach Dänemark. Ein Teil hat überlebt. Die in der Obhut der Nationalgalerie befindlichen und in Bunker ausgelagerten Werke überstanden das Bombardement zwar unbeschadet, wurden jedoch von der Roten Armee nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Kriegsbeute in die damalige Sowjetunion verbracht.

tipBerlin Wenn Sie diese Bilder sehen wollen, müssten Sie nach St. Petersburg fahren?

René Scharf Genau, entweder dahin in die Eremitage oder in das Puschkin Museum nach Moskau. Darunter ist ein Jahrhundertbild, der „Place de la Concorde“ von Degas, aber auch drei große Renoirs und andere Bilder. Sie hängen in der Eremitage und daneben steht auf einer Tafel Sammlung Gerstenberg-Scharf“, und zwar ohne dass „früher“ oder „ehemals“ dabeisteht. Eine Rückgabe der Werke ist trotz Rückgabeverlangen bis heute nicht erfolgt. Ausgeliehen werden diese Gemälde nie, denn nach dem Völkerrecht und dem Haager Abkommen sind das eigentlich immer noch der Familie.

tipBerlin Können Sie sich an Ihre Großmutter noch erinnern?

René Scharf Ich kann mich erinnern, aber nicht mehr besonders gut. Meine Großmutter ist 1961 gestorben, ich war damals fünf Jahre alt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie auf den Dachboden ging und für mich zum Spielen einen Kreisel herunterrunterholte. Und an ihre Hunde. Sie hatte große Neufundländer, auf denen bin ich als Kind geritten.

tipBerlin Wie waren die Anfänge der Scharf Collection?

René Scharf Die Sammlung ist durch meinen Urgroßvater Otto Gerstenberg entstanden. Er hatte Mathematik und Philosophie studiert, was eine ideale Voraussetzung war, um das Versicherungswesen voranzutreiben. Er hat im höheren Management der Viktoria-Versicherung angefangen und dort erst einmal die Sterbeversicherung erfunden. Zwar wurde er zunächst belächelt, aber es wurde ein absoluter Erfolg, woraufhin der die für die Allgemeinheit erschwingliche Lebensversicherung erfunden hat. Dadurch kam er zu einem großen Vermögen und hat angefangen, Kunst zu sammeln, erst einmal vor allem niederländische Künstler, die er dann nachher wieder veräußert hat. Danach fing er an, die für seine Zeit zeitgenössische Kunst zu sammeln. Das war dann hauptsächlich französische Kunst, Renoir, Monet und Toulouse-Lautrec, aufbauend auf der Generation davor mit Courbet, Delacroix, Corot.

tipBerlin Wie kam Ihr Urgroßvater auf den Impressionismus?

René Scharf Er arbeitete mit verschiedenen Kunsthändlern zusammen, die ihn auf Paris und den Impressionismus aufmerksam machten. Er hat dann Bilder von Monet, Renoir und anderen gekauft, meist in Paris oder London. Die Sammlung hat dann seine Tochter geerbt, meine Großmutter. Sie hat nicht selbst Kunst gesammelt, aber die Sammlung eben so gut sie konnte durch den Zweiten Weltkrieg gebracht, indem sie die Sammlung an verschiedene Orte auslagerte. Einer dieser Orte war Berlin, was sich als schlechte Entscheidung erwiesen hat. Nachher ist man immer schlauer.

Ein großer Schritt: René und Christiane Scharf gehen mit der Scharf Collection erstmals in die Öffentlichkeit. In der Alten Nationalgalerie werden 150 Werke ausgestellt. Foto: Romana Eder-Grabher

tipBerlin Die Trennung der Sammlung in die Sammlung Scharf und die Sammlung Scharf-Gerstenberg kam dann in der nächsten Generation?

The Scharf Collection ist aus der Teilung der Gerstenberg Sammlung hervorgegangen

René Scharf Die Aufteilung der Sammlung erfolgte in der Tat in der nächsten Generation, wobei die in der Alten Nationalgalerie nunmehr ausgestellte Scharf Collection den größeren Teil der Gerstenberg Sammlung beinhaltet. Die Aufteilung der Gerstenberg Sammlung erfolgte zwischen meinem Vater Walther und seinem Bruder Dieter Scharf. Ein Schweizer Kunsthändler, dem beide vertrauten, moderierte die Aufteilung. Und der hatte sich ein System ausgedacht, bei dem er jedem Bild Punkte gab. Je wertvoller oder größer ein Bild war, desto mehr Punkte hatte es. Dann erhielt jeder der beiden Brüder ein Kontingent von Punkten und konnte damit die Bilder im Wechsel aussuchen. Mein Vater fing an, weil er der Ältere war. Und dann ging es hin und her. Jeder konnte seine Punkte so ausgeben, wie er wollte.

tipBerlin Hat das funktioniert?

René Scharf Ja, das hat sehr gut funktioniert und die Sammlung wurde geteilt, ohne dass es zu irgendeinem Disput kam. Das ist ungewöhnlich. Und ich bin sehr froh darüber.

tipBerlin Es gibt unter dem Dach der Staatlichen Museen in Berlin eines, das den Namen der Sammlung Scharf-Gerstenberg trägt.

René Scharf Mein Onkel hat die Stiftung „Sammlung Dieter Scharf zur Erinnerung an Otto Gerstenberg“ gegründet, die Sammlung Scharf-Gerstenberg ist eine Dauerleihgabe an das Land Berlin.

tipBerlin Seit 2008 ist die Sammlung Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg zu sehen. Sie beide zeigen nun zum ersten Mal Ihre Sammlung.

René Scharf Wir haben uns immer etwas gescheut, in die Öffentlichkeit zu gehen und die Sammlung in ihrer Gesamtheit und mit dem Namen der Sammlung zu zeigen. Es ist ein großer Schritt. Allerdings haben wir schon immer Kunstausstellungen auf der ganzen Welt mit Leihgaben unterstützt. Die Kunst gehört einem nie allein und es ist ein tolles Gefühl, wenn Menschen sich an vielen Orten daran erfreuen. Doch diese Leihgaben erfolgten bislang immer nur mit dem Hinweis „Privatsammlung“, nie unter unserem Namen.

tipBerlin Wie kam es zustande, dass die Scharf Collection jetzt in der Alten Nationalgalerie gezeigt wird?

René Scharf Das war der ausdrückliche Wunsch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über sehr viele Jahre, dem ich dann irgendwann zugestimmt habe. Schon im Jahr 2009 schlug das Peter-Klaus Schuster, der damals Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin war, vor. Dann ist die Idee wieder eingeschlafen, und vor ein paar Jahren hat uns dann Hermann Parzinger, der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erneut darauf angesprochen, ob wir unsere Sammlung nicht in der Alten Nationalgalerie zeigen wollen.

Wir kamen zu dem Schluss, dass die Sammlung es verdient hat, in ihrer Gesamtheit gesehen zu werden

René Scharf

tipBerlin Hermann Parzinger konnte Sie davon überzeugen, in die Öffentlichkeit zu gehen?

René Scharf Wir haben dann nach längerem Nachdenken ja gesagt. Unsere Überlegung war, was ist eigentlich, wenn wir gar nichts machen? Und wir kamen zu dem Schluss, dass die Sammlung es verdient hat, in ihrer Gesamtheit gesehen zu werden.

tipBerlin Die Scharf Collection gilt als eine der bedeutendsten Privatsammlungen in Deutschland. Was macht sie so besonders?

The Scharf Collection: Keine Generation soll hervorgehoben werden

René Scharf Die Sammlung wurde über vier Generationen zusammengetragen. Wir haben sie The Scharf Collection genannt, weil wir nicht möchten, dass irgendeine Generation, weder die von Otto Gerstenberg noch die von meinen Eltern, noch unsere eigene, hervorgehoben wird. Ich betrachte diese Sammlung als Gesamtkunstwerk, ihre Qualität ist wirklich durchgängig herausragend. Und das über drei Jahrhunderte, von Goya bis Grosse, von der französischen Romantik über den Realismus, über den Impressionismus, Cézanne, Bonnard, die klassische Moderne mit Léger und Picasso und bis zur zeitgenössischen Kunst.

tipBerlin Haben Sie Lieblingsbilder?

Edgar Degas, Sich kämmender Akt, 1886–1890, Kohlezeichnung, Pastellkreiden auf Papier, 60 x 45,5 cm © The Scharf Collection, Ruland Photodesign

Christiane Scharf Ich habe ganz klar zwei Lieblingsbilder. Das eine ist ein Pastell von Degas, es zeigt ein Mädchen mit einem roten Schuh bei der Morgentoilette und ist ein sehr sinnliches, schönes und in sich ruhendes Bild. Und das andere ist Monets „Waterloo Bridge“, was offenbar auch ein Lieblingsbild von Monet selbst war. Und bei Dir?

René Scharf Ich habe aus jeder Zeit Lieblingsbilder, zum Beispiel in der französischen Romantik finde ich den „Tod des Lara“ von Delacroix herausragend, dann natürlich bei den Impressionisten auch die „Waterloo Bridge“. Und auch von Bonnard das „Mädchen in der Badewanne“, bei dem Bonnard seine Frau Marthe als junges Mädchen malt.

tipBerlin War es schwierig, 150 Werke für die Ausstellung auszuwählen?

Christiane Scharf Das war eigentlich gar nicht so ein schwieriger Prozess. Wir sind mit den Kuratoren die Sammlung durchgegangen und haben entschieden, welche Bilder in die Ausstellung reinkommen. Unsere Lieblingsbilder sind natürlich dabei. Hinzu kommt, dass die weitere Station, der Kunstpalast Düsseldorf, zum Teil andere Bilder ausgewählt hat, so dass es sich auf jeden Fall lohnt, beide Ausstellungen zu sehen.

Eine Sammlung mit Geschichte

René Scharf Tatsächlich war von Anfang an klar, dass die Sammlung bereits eine Geschichte hat und man keine Geschichte zu den Bildern erfinden musste. Die Qualität stand stets im Vordergrund, und auch der innere Zusammenhang.

tipBerlin Sie kaufen zeitgenössische Kunst. Stehen diese Neuerwerbungen in einem inneren Zusammenhang zur schon bestehenden historischen Sammlung?

Christiane Scharf Wenn wir neue Arbeiten ankaufen, denken wir auch an die Sammlung, beides muss miteinander kommunizieren. Wir kaufen zwar teilweise auch aus dem Bauch heraus, Doch dann bemerken wir im Nachhinein, auch diese Käufe stehen doch im Zusammenhang mit der Sammlung. Wir haben ja sowohl abstrakte Bilder als auch figurative Bilder. Und beides ergibt in dieser Sammlung absolut Sinn.

Katharina Grosse, o. T., 2000, Acryl auf Leinwand, 216 x 314 cm © The Scharf Collection, Foto: Olaf Bergmann / VG Bild-Kunst

René Scharf Zum Beispiel ist das letzte Bild in der Ausstellung eines von Katharina Grosse, ein großes Bild aus dem Jahr 2000, das durch seine Farbigkeit wirklich direkt korrespondiert mit den impressionistischen Bildern, die im anderen Saal zu sehen sind, speziell mit Monets „Waterloo Bridge“. Katharina Grosse hat ein kühles Rosa, Rot und Blau drin, das Bild changiert immer in den Farben. Auch der Monet hat so ein kühles Blau, aber doch dann wiederum auch warme Töne, weil es eben ein Bild des „Effet de Soleil“ ist und die Sonneneinstrahlung die warmen Töne hineinbringt. Und so changieren beide Bilder in den Farben hin und her und stehen in einem direkten Zusammenhang. Wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn die Besucher und Besucherinnen das auch so sehen würden.

tipBerlin Sie sagten, die Scharf Collection in die Öffentlichkeit zu bringen, sei für Sie ein großer Schritt. Welche Gefühle haben Sie jetzt?

René Scharf Diese Ausstellung vorzubereiten, war ein langer Prozess und viel Arbeit, wir haben viel dazugelernt. Und jetzt überwiegt die Freude.


„The Scharf Collection. Goya – Monet – Cézanne – Bonnard – Grosse“ in der Alten Nationalgalerie

Eine der wichtigsten Ausstellungen des Jahres 2025: Die Scharf Collection öffnet erstmals vollständig ihre Schatzkammern und präsentiert sich als Panorama französischer Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts sowie internationaler Gegenwartskunst. Diese deutsche Privatsammlung steht in direkter Linie zur legendären Berliner Sammlung Otto Gerstenberg, die einst von den Meistern der Moderne wie Goya bis hin zu Vorreitern der französischen Avantgarde wie Gustave Courbet und Edgar Degas. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs bewahrte Gerstenbergs Tochter Margarethe Scharf die Sammlung vor der endgültigen Zerstörung und gab sie an ihre Söhne Walther und Dieter weiter. Walther Scharf und seine Frau Eve setzten den französischen Schwerpunkt mit Werken von Monet, Cézanne, Bonnard, Matisse und Picasso fort. René Scharf und seine Frau Christiane erweitern die Sammlung mit Positionen wie Sam Francis, Daniel Richter und Katharina Grosse.

  • Alte Nationalgalerie Bodestr. 1–3, Mitte, 24.10.–15.2., Di-So 10–18 Uhr, 16/8 €

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