Vor 20 Jahren hat der finnische Kunstsammler Timo Miettinen die Leitung des Familienunternehmens abgegeben, um sich ganz seiner Miettinen Collection zu widmen. Seit einigen Jahren lebt er in Berlin, wo er in seiner privaten Wohnung regelmäßig Ausstellungen mit den Werken aus seiner eigenen Kunstsammlung, von befreundeten Künstlern und Leihgaben anderer Sammler präsentiert. Jeden Samstag macht er für die Öffentlichkeit die Tür seiner prächtigen Altbauetage auf. Außerdem lädt er regelmäßig Gäste zu Diskussionen in seinen Salon Dahlmann. 2025 wird Timo Miettinen 70 Jahre alt. Deshalb hat er ein ganzes Jahr voller toller Ausstellungen geplant. Und sich mit dem tipBerlin zu einem Interview über das Kunstsammeln getroffen.
tipBerlin Herr Miettinen, Mitte Januar, am Tag nach der Eröffnung der Ausstellung „Maybe it was magic“, wurde eines der gezeigten Gemälde gestohlen. Ist es mittlerweile wieder aufgetaucht?
Timo Miettinen Nein, leider nicht.
tipBerlin Passiert so was häufiger, wenn Sammler privat ausstellen?
Timo Miettinen Von so etwas habe ich noch nie gehört. Bei mir sind schon ein Radio und ein Aschenbecher gestohlen worden. Und jemand hat eine wunderschöne Skulptur vom Fensterbrett genommen und auf den Boden fallen lassen. Aber so öffentlich, wie ich mit meiner eigenen Wohnung umgehe, ist es eigentlich ziemlich überraschend, dass bislang nicht mehr passiert ist. Das gestohlene Werk war ziemlich klein. Wertvollere Gemälde in kleinen Formaten werden wir in Zukunft besser an der Wand befestigen.
tipBerlin Bringt Sie dieser Diebstahl dazu, Ihr Konzept einer offenen Wohnung zu überdenken?
Timo Miettinen Nein, weil es das erste Mal in den 13 Jahren war, in denen ich dieses Projekt mit meinem Salon Dahlmann schon mache. Ich bin der Meinung, dass Kunst nicht hinter verschlossene Türen gehört. Die Kunst gehört uns allen. Und wenn ich das Privileg habe, Kunst zu sammeln, möchte ich diese Kunst mit anderen teilen. Deshalb bin ich ja Salonnier geworden.
tipBerlin Der Anlass für die Ausstellung ist Ihr 70. Geburtstag.
Timo Miettinen Ich werde erst im Dezember 70. Und weil die Sammlung etwas gewachsen ist, stelle ich im Jubiläumsjahr mehr Räumlichkeiten in unserem Gebäude der Berliner Öffentlichkeit zur Verfügung. Außerdem ist meine Sammlung eingeladen, in der Sammlung Philara in Düsseldorf auszustellen. Im Sommer zeigen wir Werke im Schloss Sacrow in Potsdam und dann noch in der Kunsthalle von Helsinki. Ich feiere das ganze Jahr.
tipBerlin Berlin und Helsinki sind klar, aber wieso Düsseldorf?
Timo Miettinen Die Kunstszene im Rheinland ist sehr aktiv und ich habe dort gute Freunde. Die Kooperation mit Gil Bronner und seiner Privatsammlung Philara ist so, dass Werke aus seiner Sammlung im April hierherkommen und bei uns gezeigt werden, und meine Sammlung wird in Düsseldorf gezeigt..
tipBerlin Die Sammlerszene in Berlin wird immer größer. Sind die Sammler untereinander vernetzt?
Timo Miettinen Wir waren in Berlin früher stärker vernetzt, als Thomas Olbricht mit dem Me Collectors Room noch in der Stadt war. Wichtiger als Kooperationen in Berlin ist mir aber der Austausch mit anderen Städten. Da gibt es dann für alle mehr zu entdecken.
tipBerlin So ein Jubiläumsjahr, wie Sie es vorhin genannt haben, kann auch Anlass sein für eine Bilanz der eigenen Sammlertätigkeit. Wann haben Sie damit angefangen?
Timo Miettinen Ich bin ein Sammlertyp und habe schon als Kind Briefmarken und Münzen gesammelt. Mein erwachsenes Leben teilt sich in zwei Abschnitte. Ich bin studierter Wirtschaftsingenieur und habe in unserem Familienunternehmen gearbeitet, in dem ich zeitweise Präsident war. Diesen Beruf habe ich dann irgendwann vor 20 Jahren hinter mir gelassen und meine Anteile am Unternehmen meinen Kindern übergeben. Die zweite Phase meines Lebens war dann, Kunst zu sammeln.
Eine Kunstsammlung ist für Timo Miettinen auch ein Familienunternehmen
tipBerlin Was hat Sie nach Berlin gebracht?
Timo Miettinen Berlin ist eine der Kulturhauptstädte Europas und ich hatte die Idee zu diesem Salon, als wir diese schöne Immobilie in der Marburger Straße 3 in Charlottenburg gekauft haben. Also ich bin jetzt Sammler-Salonnier in Berlin.
tipBerlin Sie haben natürlich viel Kunst aus Finnland in Ihrer Sammlung.
Timo Miettinen Ja, und ich habe von Anfang an gedacht, dass ich die finnische Kunst im internationalen Kontext und speziell in Berlin zeigen möchte. Aber insgesamt möchte ich eine internationale Sammlung aufbauen.
tipBerlin Sie sagten vorhin, Sie haben die Firma an Ihre Kinder übergeben. Haben Sie das auch mit Ihrer Kunstsammlung vor?
Timo Miettinen Eine Kunstsammlung ist auch ein bisschen wie ein Familienunternehmen, weil ich natürlich möchte, dass sie weitergeht. Eine meiner Töchter ist interessiert, und das freut mich. Ich möchte keinen Druck ausüben, aber ich hoffe, dass meine Kinder meine Sammlung irgendwann übernehmen werden.
tipBerlin Finnland ist ja kein so großes Land. Wenn Sie in Helsinki über die Straße gehen, werden Sie erkannt?
Timo Miettinen Ich glaube nicht, weil ich ja schon sechs Jahre weg bin. Meine Schwester, die Vorstandsvorsitzende in unserer Firma, ist bekannter als ich. Aber es gibt auch immer wieder Berichte in finnischen Zeitungen über meine Berliner Aktivitäten.
tipBerlin Wäre so ein Salon auch in Finnland möglich gewesen oder brauchen Sie die Distanz?
Timo Miettinen Das wäre absolut möglich gewesen, aber ich fand Berlin spannender. Und man ist in anderthalb Stunden in Helsinki.
tipBerlin Sprechen wir noch mal übers Kunstsammeln. Wie bekommen Sie Kontakt zu noch unbekannten Künstlern?
Timo Miettinen Sehr oft über befreundete Kunstsammler und Künstler. Eine ganz wichtige Person ist für mich Kirsi Mikkola gewesen, eine Berliner Künstlerin, die länger an der Wiener Kunstakademie Professorin war. Sie hat mich vor fast zehn Jahren nach Wien eingeladen, um ihre Studentinnen und ihre Studenten kennenzulernen, und da habe ich einige Künstler entdeckt, die später sehr berühmt wurden.
tipBerlin Was ist mit Galerien?
Timo Miettinen Die Kooperation mit Galerien ist sehr wichtig. Ich fördere nicht nur junge Künstler, sondern kaufe auch gerne bei jungen Galerien Kunst, seltener auf Kunstmessen. Ich war 2024 das erste Mal in meinem Leben auf der Art Basel Miami.
Lüpertz, Baselitz – Namedropping interessiert Timo Miettinen nicht
tipBerlin Und?
Timo Miettinen Das war spannend. Da läuft die Kunstwelt für ein paar Tage auf Hochtouren. Wo hat man ansonsten so einen breiten Zugang zur amerikanischen Gegenwartskunst. Ich habe da auch was gekauft. Aber wenn man ein bisschen älter wird, wird es stressig, da hätte ich vielleicht vor 20 Jahren anders gedacht.
tipBerlin Art Basel ist der Kunst-Olymp. Gibt es Preise, die auch für Sie viel zu teuer sind?
Timo Miettinen Natürlich. Ich kaufe nicht so viel sehr etablierte Kunst. Und wenn, dann muss ich spüren, dass diese Künstler vielleicht Vorbilder sind für jüngere Generationen. Manchmal versuche ich auch, ein Baselitz-Bild mit Arbeiten eines jüngeren Künstlers zusammen zu zeigen, um dessen Karriere zu fördern. Baselitz, Albert Oehlen, Markus Lüpertz, ich kann natürlich auch Namedropping machen, aber das interessiert mich nicht. Eine etablierte Künstlerin, die zu meinen Favoriten gehört und die ich schon seit zehn Jahren sammle, ist Leiko Ikemura.
tipBerlin Sie lebt auch hier in Berlin.
Timo Miettinen Ja, hier habe ich sie auch vor zehn Jahren bei einem Abendessen kennengelernt. Und dann bin ich natürlich sehr viel mit finnischen Künstlern, die Berliner sind, in Kontakt. Zum Beispiel mit Ola Kolehmainen, einer der besten finnischen Fotografen, den ich auch bei meiner Jubiläumsausstellung zeige, die ich wiederum mit einer finnischen Kuratorin gestaltet habe.
tipBerlin Die Fotografien von Ola Kohlemainen kann man bei Ihnen kaufen, ebenso wie die Gemälde von Elisa Breyer.
Timo Miettinen Ich mache es selten, dass bei mir in den Ausstellungen auch verkauft wird, aber im Fall von Elisabeth, die ja hier keine Galerie hat, wollte ich, dass Sammler oder auch Galerien sie entdecken. In dem Fall kaufte ich mehrere Werke der Künstlerin und ein paar Werke verkauften wir an andere Interessenten, aber dieses Geld deckt nur einen sehr kleinen Anteil meiner privaten Kosten in diesem Zusammenhang. Ola Kolehmainen verkauft seine Kunstwerke selbst und wir haben die Hälfte der Kunstwerke gekauft, um die Ausstellung zu finanzieren.
tipBerlin Wie haben Sie denn Elisa Breyer kennengelernt?
Timo Miettinen Ein Berliner Sammler, den ich gut kenne, hatte über sie gesprochen. Und kurz danach sah ich sie in einer Ausstellung in Sacrow. Dann habe ich meine Assistentin gebeten, sie im Atelier zu besuchen. Ich habe wenig Zeit und es kommen jede Woche Einladungen in Ateliers. Bei Elisa finde ich es interessant, wie sie das Leben einer jungen Frau in Berlin in ihren Malereien präsentiert.
tipBerlin Das heißt, viele Künstler und Künstlerinnen treten an Sie heran…
Timo Miettinen Ja, das ist richtig. Der Beitrag der Kunstsammler für die Kunstszene ist sehr wichtig, weil die öffentlichen Museen und Institutionen nur einen sehr kleinen Kaufetat haben. Und wenn ich angefragt werde, muss ich sehr, sehr oft Nein sagen, weil meine Mittel immer wieder erschöpft sind. Das ist vielleicht das Allerschwierigste an dieser Sammler-Tätigkeit, das Nein-Sagen.
tipBerlin Wie viele Werke haben Sie denn in Ihrer Sammlung?
Timo Miettinen Ich weiß es nicht ganz genau, rund 1.500.
tipBerlin Können Sie zu allen Werken Kontakt halten?
Timo Miettinen Meist ja. Aber manchmal passiert es, dass ich mich an ein Kunstwerk erinnere, aber nicht mehr weiß, wer es gemacht hat. Ich habe eine gutes Archiv. Doch wenn ich den Namen nicht weiß, ist es unglaublich mühsam, 1.500 Arbeiten durchzugehen.
tipBerlin Sie haben ein Depot?
Timo Miettinen Wir haben ein Depot in Berlin und dann ein kleineres in Helsinki. Und wir zeigen auch in Helsinki in unserem Haus Kunst. Das ist allerdings nicht so gut organisiert wie hier in Berlin, weil dort auch unser Family Office ist und meine Familienmitglieder finden, es sei ein bisschen mühselig, ständig die Kunst auszuwechseln.
tipBerlin 15 Jahre sind Sie jetzt schon in Berlin?
Timo Miettinen Fast 20 Jahre. Meine erste Ferienwohnung hatte ich in Wilmersdorf 2007 gekauft und seit 2010 diese Immobilie Marburger Straße 3 in Charlottenburg. 2019 bin ich dann ganz nach Berlin gezogen.
Timo Miettinen findet, Berlin sei gesättigter und etablierter als früher
tipBerlin Haben Sie den Schritt jemals bereut?
Timo Miettinen Nein. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich habe einen großen, guten Freundeskreis, Berlin hat meine Erwartungen erfüllt, und ich sehe es tatsächlich als meine Heimat.
tipBerlin Hat Berlin sich sehr verändert in der Zeit?
Timo Miettinen Hier ist nicht mehr diese Aufbruchstimmung wie früher. Berlin ist auf der einen Seite gesättigt und etablierter, auf der anderen Seite haben die verschiedenen politischen Krisen auch Deutschland betroffen, das sind große Herausforderungen.
tipBerlin Wie denken Sie denn über die Budgetkürzungen im Kulturbereich durch den Berliner Senat?
Timo Miettinen Diese Entwicklung gibt es in ganz Europa, in Deutschland, in Finnland. Ich bin der Meinung, dass auch Kultur ein sehr wichtiger Teil des menschlichen Lebens ist, aber wenn Sie über diese Kürzungen sprechen und klar ist, dass man überall sparen muss, dann muss man auch in der Kultur sparen. Ich versuche dagegenzusteuern und hoffe, es werden mehr Menschen, mit privatem Engagement gegenhalten. Das ist jetzt das Wichtige in diesen schwierigen Zeiten, dass man selbst die Initiative ergreift: Was kann ich jetzt für diese Stadt tun, für andere, ohne Subventionen vom Staat? Trotz dieser jetzigen Krisen bin ich zuversichtlich, dass auf Europa bessere Zeiten warten.
tipBerlin Also es gibt ja ganz viele Sammler, die eine ähnliche Biografie wie Sie haben, die in ihrem ersten Leben Manager in ihrem Familienunternehmen waren und dann Kunstsammler. Können Sie von Ihrem Wissen als Firmenmanager auch als Sammler profitieren?
Timo Miettien Eine Firma zu führen ist meiner Meinung nach auch ein kreativer Prozess. Und so ist auch das Leben mit der Kunst und das Kunstsammeln. Kultur, Kunst, Geschäfte, Wirtschaft, das gehört alles zusammen. Ich habe einigen jungen Künstlern versucht weiterzugeben, was ich von der Unternehmensführung gelernt habe. Ein Künstler ist auch ein Unternehmer und muss sich durchsetzen. Man muss gute Kunst schaffen, aber auch wissen: Wie verkaufe ich das, wie präsentiere ich mich der Öffentlichkeit gegenüber.
tipBerlin Was war das Faszinierende an der Kunst für Sie als Unternehmer?
Timo Miettinen Erstens trifft man richtig interessante Leute und kommt in ganz andere Kreise. Einen Salon zu führen, eine Kunstausstellung zu organisieren ist zudem spannend. Ich bin ein sozialer Mensch.
tipBerlin Fühlen Sie sich von Berlin unterstützt?
Timo Miettinen Ich fände es wichtig, dass man in Berlin und in der Berliner Politik gegenüber den Privatsammlungen positiv eingestellt ist. Heiner Wemhöner baut hier jetzt sogar ein eigenes Museum. Es wäre wünschenswert, dass die Bürokratie und die Stadt dabei mitspielen und das private Engagement in der Kultur wertschätzen.
tipBerlin Eine Sache möchte ich noch ansprechen. Ich finde, Sie sind immer toll angezogen.
Timo Miettinen Ja, ich war schon immer an Mode interessiert, schon als Wirtschaftsingenieur. Design, Kunst und Mode waren mir immer wichtig.
tipBerlin Berlin gilt nicht als gut angezogen, anders als Paris, Mailand oder New York… Kommen Sie damit klar?
Timo Miettinen Das ist mir eigentlich egal. Wenn man Salonnier ist, kann man sich auch modisch so gestalten. Das bin einfach ich.
- Miettinen Collection Marburger Str. 3, Charlottenburg, Besichtigung der Ausstellungen jeden Samstag 12–18 Uhr. Um Anmeldung wird gebeten, [email protected], Website
Timo Miettinens weitere Ausstellungen in 2025
- Sammlung Philara in der Miettinen Collection 25.4–26.7., Eröffnung: 24.4.
- Miettinen Collection bei der Sammlung Philara Düsseldorf | Kuratiert von Florian Peters-Messer & Linda Peitz & Julika Bosch, 29.6.–27.9., Eröffnung: 29.6.
- Präsentation der Miettinen Collection auf Schloss Sacrow Potsdam | Kuratiert von Michael M. Thoss, 11.7.–28.9.
- Miettinen Collection in der Kunsthalle Helsinki Finnland | Kuratiert von Florian Peters-Messer & Linda Peitz, November 2025 bis 11.1.2026, Eröffnung: 31.10.2025
- Die Ausstellung „Maybe it was magic“: Neue Arbeiten aus der Miettinen Collection, kuratiert von Riina Kylätasku und Mika Minetti, lief vom 18.1.– 29.3.2025
Mehr Kunst und Ausstellungen in Berlin
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