Kunst

Ukrainische Künstler:innen: Plötzlich in Berlin

Aus der Ukraine sind viele Künstler:innen in die deutsche Hauptstadt geflohen. Zur Berlin Art Week stellt sich die Frage, wie ihnen das Leben zwischen Krieg und Frieden gelingen kann.

Die Arbeit „State of Emergency” des ukrainischen Künstlers Sasha Kurmaz in der Karl-Marx-Straße 84.  Fotocredits: Volo Bevza and Victoria Pidust/Sasha Kurmaz
Die Arbeit „State of Emergency” des ukrainischen Künstlers Sasha Kurmaz in der Karl-Marx-Straße 84. Fotoc: Volo Bevza and Victoria Pidust/Sasha Kurmaz

Wenn es nach Anna Scherbyna und Kateryna Berlova geht, ist Berlin das neue Kyjiw. Die zwei Künstlerinnen sind nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar aus der Ukraine über Zwischenstationen nach Berlin gekommen, so wie viele ihrer Kolleg:innen, vor allem aus Kyjiw. Jetzt sitzen die beiden  vor der Akademie der Künste am Hanseatenweg, die 36-jährige Kateryna Berlova ist hier Stipendiatin. „Es klingt schrecklich, aber wir haben jetzt bessere Bedingungen und mehr Möglichkeiten als zuhause“, sagt sie.

Seit sechs Monaten herrscht in der Ukraine Krieg. Seit sechs Monaten richten sich von dort Geflüchtete ein Leben in Berlin ein. Es klingt ebenfalls schrecklich, aber so viele Ausstellungen von Ukrainer:innen wie in dieser Zeit waren hier noch nie zu sehen. Sowohl geflohene wie in der Ukraine gebliebene Künstler:innen zeigen ihre Werke, in Schöneberg genauso wie in Friedrichshain, Kriegsfotografie genauso wie Neuinterpretationen von Folklorekunst. Doch darüber, ob die Stadt für sie ein neues Zuhause geworden ist oder als Wartezimmer dient, sagen ihre Arbeiten – noch – nichts.

Unerwartete Wendungen für ukrainische Künstler:innen

„Ich denke, für ukrainische Künstler:innen ist es jetzt eine besondere Situation, weil wir erstmals mit unserem Beruf und unserer Nationalität Privilegien erfahren“, sagt Berlova. Ihre Kollegin Anna Scherbyna lebt auf dem Künstlerhof Frohnau und wartet auf die Zulassung zu ihrem Meisterschülerstudium in Leipzig. Berlova wiederum hat nach mehreren erfolglosen Bewerbungen für die angesehene Jan van Eyck Academy in Maastricht dort nun einen Platz ab Ende des Jahres. Bei aller Freude nagt an ihr der Gedanke, dass sie diesen nur erhalten habe, weil sie aus der Ukraine kommt und unterstützt werden muss. Aber, sagt sie, so sei es eben momentan.

Welche Wendung ihr Leben nehmen würde, konnte Olha Lobazova nicht ahnen, als sie im August 2021 zunächst für einige Monate in die Stadt kam und sich nach dem Februar 2022 entschied, vorerst zu bleiben.  Lobazova ist IT-Technikerin aus Charkiw,  ohne kuratorische Erfahrung, ohne großes Netzwerk in der Kunstszene, aber mit einer Liebe zur ukrainischen, insbesondere traditionellen Kunst. „Ich musste etwas tun, um nicht verrückt zu werden, und wenn du jeden Tag bereit sein musst, ein Familienmitglied zu beerdigen, dann hast du vor nichts mehr Angst“, sagt die 30-Jährige. In der Friedrichshainer Green Hill Gallery lief bis Ende August ihr Herzensprojekt, die Ausstellung „Light into Darkness“.

Lobazova präsentierte Arbeiten, die sich auf traditionelle Motive und Techniken wie Stickereien, Weizenfelder oder den Widerstand zur Sowjetzeit beziehen. Es sollte keine weitere Ausstellung über den Krieg werden, sagt sie: „Ich will zeigen, warum wir kämpfen – weil es nämlich etwas zu bewahren gibt.“ Wenn der Krieg vorbei ist, möchte sie zurück, wegen der Familie, aber auch, weil sie eine engere Verbindung zur Ukraine spüre als zuvor. Ihr biete Berlin einen zeitlich begrenzten Schutz. Während ihres Aufenthalts will die entschlossene Autodidaktin Menschen für ukrainische Kultur interessieren und Erfahrungen sammeln, um in Charkiw eine Galerie zu eröffnen.

Olha Lobazova spricht zu Besucher:innen während der Ausstellungseröffnung "Light Conquers Darkness" in der Green Hill Gallery.  Foto: Greenhill Gallery
Olha Lobazova spricht zu Besucher:innen während der Ausstellungseröffnung „Light Conquers Darkness“ in der Green Hill Gallery. Foto: Greenhill Gallery

Verschiedene Realitäten für Ukrainische Künstler:innen

Mitten im Krieg dagegen wähnt sich, wer einen namenlosen, temporären Kunstraum in der Neuköllner Karl-Marx-Straße betritt. In dessen Keller heult eine Luftschutzsirene, schallen Alarmtöne von Krankenwagen, Polizei und Feuermeldern. Sasha Kurmaz hat diese Warn-Sinfonie geschaffen, die Teil der Ausstellung „PostOst: Ukraine“ ist. Kurmaz setzt sich mit der russischen Okkupation im Ostteil des Landes seit 2014 auseinander. Der ehemalige Stipendiat der Akademie der Künste nahm gleich an drei Berliner Ausstellungen teil, auch in der Urania und im Kunstraum A:D Curatorial in der Kurfürstenstraße. Als ein Mann im wehrfähigen Alter durfte Kurmaz wie seine Kollegen Mykola Ridnyi und Nikita Kadan die Ukraine erstmals im Sommer verlassen, mit einer begrenzten Sondergenehmigung, die ihm die Ausreise zu seinen Ausstellungseröffnungen erlaubte.

Weil wehrfähige Männer im Land bleiben müssen, sind überdurchschnittlich viele Künstlerinnen nach Berlin gekommen, wo sie von den Möglichkeiten zu Vernetzung, Kooperationen und Sichtbarkeit profitieren. Positive Diskriminierung nennt Anna Scherbyna das Interesse an „der ukrainischen Künstlerin“. Der Zugang zur westlichen Kunstwelt sei nun leichter, aber der Umstand, als explizit ukrainische Künstlerin wahrgenommen zu werden, löst bei ihr Unbehagen aus. „Ich hatte nie einen Bezug zu einer Idee von nationaler Repräsentation“, sagt sie. „In der jetzigen Situation erwartet man irgendwie, dass wir in unserer Kunst über den Krieg sprechen.“ Scherbyna hat sich in ihren Zeichnungen und Installationen immer wieder mit dem Krieg im Donbass auseinandergesetzt, auch schon, als hier kaum jemand darüber sprach. Nach dem 24. Februar fertigte sie einige, wie sie es nennt, „reaktive Arbeiten“ an. Eine seelische Erleichterung sei das gewesen, aber ob das einen künstlerischen Sinn für sie habe, daran zweifelt sie.

Ihre Kollegin Kateryna Berlova arbeitet vor allem in Video und Installation, eher surreal, nicht dezidiert politisch. Sie erzählt, kürzlich sei eine Kuratorin, die eines der weniger bekannten, verspielten Gemälde Berlovas ausstellen wollte, leicht verzweifelt darüber gewesen, ob sie dieses überhaupt ausstellen könne. „Fast alle gezeigte Kunst aus der Ukraine illustriert das Geschehene“, sagt die Künstlerin. „Und mir ist nicht klar, wie ich damit umgehen soll.“ Berlova und Scherbyna finden Arbeiten, die den Krieg thematisieren, wichtig, weil sie die Aufmerksamkeit für ihn aufrecht halten. Aber sie wollen nicht, dass ihre künstlerischen Interessen davon überschattet werden.

Berliner Sorgen: Bürokratie und Wohnungsmarkt

Anders positionieren sich Mitglieder der Ukranian Cultural Community UCC, ehemals „Art Shelter“ in Charlottenburg. Viele von ihnen sehen sich durchaus als Repräsentanten ihres Landes, das sie mit ihrem künstlerischen Tun unterstützen. Rund 20 junge Künstler:innen haben im Mai mit Hilfe aus der Berliner Kultur- und Immobilienwelt ein ehemaliges Bordell in einen temporären Wohn- und Arbeitsort verwandelt. Der ungewöhnliche Ort, die viele Arbeit, die sie in ihn gesteckt haben, und ihre regelmäßigen Veranstaltungen haben sie zu einer Art Postergirls und -boys der ukrainischen Kunstszene in Berlin werden lassen.

Doch auch sie müssen bürokratische Hürden nehmen. Alle Bewohner:innen des UCC beziehen Grundsicherung, Voraussetzung für die Miete der Wohnung. Kompliziert wird es, wenn sie aus den unregelmäßigen Verkäufen ihrer Werke Einnahmen erzielen, die sie mit der Grundsicherung verrechnen müssen. Die starre Bürokratie in dem für seine Effizienz hochgelobten Deutschland sei ein Kulturschock, sagt die Leiterin des Projekts, Anastasia Pasechnik.

 Die Arbeit „Air Alarm“ (Ausschnitt) von Lesia Khomenko and Mikolaj Chylak entstand in den ertsen Wochen des Krieges in einem Schutz- und Arbeitsraum für ukrainische Künstler:innen im Westen des Landes. Foto: Lesia Khomenko and Mikolaj Chylak
Die Arbeit „Air Alarm“ (Ausschnitt) von Lesia Khomenko and Mikolaj Chylak entstand in den ertsen Wochen des Krieges in einem Schutz- und Arbeitsraum für ukrainische Künstler:innen im Westen des Landes. Foto: Lesia Khomenko and Mikolaj Chylak

Zwischen Zuhause und Fremde

Noch ist offen, welche Möglichkeiten die Stadt Neuankommenden aus der Ukraine bei anhaltendem Krieg und weiteren Preissteigerungen bieten wird. Anna Scherbyna, die ihren Meisterschüler von Berlin aus absolvieren kann, hält den Wohnungsmarkt für die größte Herausforderung. Sie will endlich ankommen und den Kopf für ihre Arbeit frei haben, dafür braucht sie ein eigenes Zuhause.

Kateryna Berlova blickt mit der Aussicht auf einen elfmonatigen Aufenthalt in Maastricht etwas entspannter in die Zukunft. Sollte sie danach nicht zurück in die Ukraine können,  komme sie  womöglich wieder hierher. „Berlin ist eine der wenigen Städte“, sagt sie, „in denen ich mich nicht fremd fühle.“

  • A:D Curatorial Kurfürstenstraße 142, Schöneberg, Do 12–17, Fr 13–18. Sa 13–17.30 Uhr, Finissage mit Künstler:innen-Gespräch Sa 11.9., 19 Uhr
  • „Postost Ukraine“ Karl-Marx-Str. 84 Neukölln, Di–So 13-21 Uhr, 7 €,  1. + 3. Do/ Monat frei, bis 20.11.

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