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Ull Hohn im Haus am Waldsee müsst ihr unbedingt noch sehen

Die Ausstellung „Revisions” mit Arbeiten von Ull Hohn läuft nur noch bis zum 11. Mai 2025. Sie steht auf Platz eins des tip-Kritikerspiegels, also unserer Umfrage unter wichtigen Kunstkritikern Berlins, und gehört zu den Ereignissen des Jahres, die man wirklich nicht verpasst haben möchte. Mein Wort drauf. Und noch ist genügend Zeit, ins Haus am Waldsee zu fahren.

Ull Hohn, Untitled, 1993. Öl auf Leinwand, 45,5 x 61 cm

Wolfgang Tillmans ist es zu verdanken, dass wir jetzt diese großartige Ausstellung im Haus am Waldsee erleben können. Dessen Direktorin Anna Gritz hatte Arbeiten von Ull Hohn erstmals in Tillmans‘ Londoner Projektraum Between Bridges gesehen (der ist mittlerweile in Berlin), im Jahr 2009 war das. Seitdem trägt Gritz die Idee einer Hohn-Ausstellung mit sich rum, musste aber erst selbst Leiterin eines Hauses werden, um sie umsetzen zu können. Als angestellt Kuratorin konnte sie den Künstler nicht durchsetzen. Nun hat sie die Schau selber kuratiert.

Bei Ull Hohn ist Malerei Konzeptkunst

Wer ist Ull Hohn? Auf Wikipedia gibt es keinen Eintrag über ihn. Geboren wurde er 1960 in Trier, gestorben ist er 1995 in Berlin. Studiert hat er zunächst vier Jahre an der Hochschule der Künste Berlin, heute Universität der Künste, bevor er sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Richter fortsetzte. 1986 zog er nach New York, wo er am Whitney Independent Study Programme teilnahm. Das war die absolute Kunst-Avantgarde dieser Zeit. Am Whitney ging es um Konzepte, um theoretische und politische Diskurse, um die Erneuerung der Kunst. Dort hielt man Hohns Medium, die Malerei, für toter als tot. Als Maler musste und wollte sich und den anderen unter all den Konzept-Künstlern also permanent beweisen, was dieses Medium alles vermag. Entsprechen mögen einige seine Arbeiten auf den ersten Blick einfach und gefällig wirken, wie beispielsweise die Berglandschaft von 1993. Aber sie sind alle konzeptionell, Ull Hohn ist ein artist’s artist.

Gestorben ist Ull Hohn an den Folgen einer HIV-Erkrankung, mit nur 35 Jahren. Es waren die Jahre der Aids-Epidemie. Viel Zeit hatte er nicht für die künstlerisch Entwicklung. Sein Nachlass liegt in Berlin-Nikolassee, nicht weit vom Haus am Waldsee, dort lebt sein Bruder. Für Anna Gritz ein weiterer Grund, sich für diese Schau zuständig zu fühlen. Vertreten wird Ull Hohn mittlerweile von der einflussreichen Berliner Galerie Neu.

Eines seiner zentralen Themen ist die Landschaftsmalerei. Er konnte die amerikanische Ausprägung dieses Genres in den New Yorker Museen studieren, beispielsweise den romantisierenden Stil der Hudson River School, einer einflussreichen Künstlerbewegung im 19. Jahrhundert. Deren Traumlandschaften übertreibt und überhöht er weiter, was man besonders bei der Betrachtung aus der Nähe sieht. Steht man weiter weg, präsentieren die Arbeiten einen fast fotorealistischen, wenngleich unglaublich kitschigen Naturalismus. Hohn spielt hier mit unserer Wahrnehmung und der Fähigkeit des menschlichen Auges, auf weiterer Distanz sinnvolle Ergänzungen vorzunehmen und ein Bild zu vervollständigen. Auch überzieht Hohn manche seiner Landschaften mit einem Gelb, er baut also den Firnis, die Vergilbung und den Gelbstich bei der fotografischen Reproduktion in seine Malerei gleich mit ein.

Bob Ross als Referenzpunkt

Ein weiterer Referenzpunkt seiner Landschaftsmalerei ist Bob Ross, in den 1980er und 1990ern in den USA wahnsinnig bekannt. Im Fernsehen gab er in seiner Sendung „The Joy of Painting“ Schritt-für-Schritt-Anleitungen zum naturalistischen Malen in Ölfarbe für jedermann. So eine Art Malen nach Zahlen. Was unterscheidet den Künstler vom Amateur? Was ist Hoch-, was Populärkultur? Und was ist eigentlich eine „echte“ Landschaft und wie kann diese „Echtheit“ belegt werden? Ist der Landschaftsgarten mit seiner Sehnsucht nach der schönen Landschaft nun „natürlich“ oder „unnatürlich“? Hohn stellt hier Fragen über Fragen.

Ull Hohn, Untitled, 1988 (Detail), Installationsansicht Ull Hohn. Revisions, Haus am Waldsee, 2025, Foto: Frank Sperling, Courtesy Sammlung Wade Guyton, New York

Im Obergeschoss hängen sich zwei aufeinander bezogene Werkseriengegenüber, in denen Ull Hohn auf den Formenkanon der abstrakten Kunst abhebt. Die eine Serie besteht aus neun auf quadratischen Boxen gemalten Landschaften und bezieht sich trotz der hochnostalgischen Motive durch diese Kästen als Leinwand/Rahmen auf das Vokabular der Minimal Art. Die andere ebenfalls neunteilige Serie aus vorgeblich pastös aufgetragener Farbe referiert auf den abstrakten Expressionismus und die gestische Malerei des Informel. Tatsächlich hat Hohn hier für diese Arbeiten Gips verwandt und dünn mit brauner Farbe übermalt. Im Zusammenspiel mit der gelblichen Landschaftsserie legt die Hängung den Bezug auf Urin und Fäkalien nahe.

Ull Hohn, Untitled, 1987, Öl auf Leinwand, 35,6 x 45,7 cm

Das ist kein Zufall. Der Konzeptkünstler Hohn hat tatsächlich die Präsentation seiner Arbeiten im White Cube schon bei der Konzeption seiner Werke mit eingeplant. Er hat in Ausstellungen gedacht und einige tatsächlich auch in wichtigen New Yorker Galerien noch zu Lebzeiten realisieren können.

Und noch zwei weitere Themenstränge kann das Haus am Waldsee mit seiner Ausstellung zeigen. Der eine dreht sich um Sex, Homosexualität, politischen Aktivismus und die Kulturkämpfe im New York der 90er Jahre, thematisiert in den „Penis Patterns“. Sie bestehen aus vielen einzelnen, wie schablonenartig ausgeschnittenen und dadurch zweidimensional wirkenden Penissen, die zu einer Art Muster collagiert sind. Oder auch aus einem einzelnen, kaum zu erkennenden Penis, auch dieser wieder stark abstrahiert.

Ull Hohn, Untitled, 1994. Öl auf Leinwand. 127,5 x 101 cm. Courtesy Nachlass Ull Hohn und Galerie Neu, Berlin

Und dann gibt es noch die Werkserie „Revisions“, die der Ausstellung im Haus am Waldsee den Titel gab und in der Ull Hohn sich mit seinen Jugendwerken beschäftigt. Sie kann als Auseinandersetzung des Malers mit seiner eigenen Entwicklung als Künstler begriffen werden, zu einem Zeitpunkt, an dem er noch nicht alt war, aber schon von seiner Krankheit und dem bevorstehenden Tod wusste. Hohn nimmt sich Motive aus seiner Jugend vor, manche banale Stillleben, malt sie neu und anders, unterzieht sein jugendliches Ich einer Revision und tritt dadurch im Angesicht des Todes in einen autobiografischen Dialog mit sich selber – für mich die emotional berührendste seiner Serien.

  • Haus am Waldsee Argentinische Allee 30, Zehlendorf, Di–So 11–18 Uhr, Eintritt 9/6€, mehr Infos hier

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