Die World Press Photo Foundation lässt Skandale um gestellte und zu stark nachbearbeitete Bilder hinter sich und schlägt eine neue Seite auf: Das neue Kapitel steht für Vielfalt, Nachhaltigkeit und authentische Repräsentation. Die dieses Jahr ausgezeichneten Einzelbilder, Fotostrecken und Filmprojekte werden bis zum 12. Juni 2022 im Willy-Brandt-Haus ausgestellt.
Rote Kleider auf Kreuzen am Wegrand, ein Regenbogen über dem finsteren Himmel. Zum diesjährigen World Press Photo wurde „Kamloops Residential School“ der kanadischen Fotografin Amber Bracken gekürt: eine beklemmende Aufnahme in Erinnerung an die indigenen Kinder, die an der Kamloops Residential School in British Columbia unter „westlich-christlichen Werten“ umerzogen werden sollten. 2021 wurden die Gräber von mehr als 200 Kindern am Schulgelände entdeckt, die Opfer der Assimilation wurden.
Die Jurorin Rena Effendi über die Bedeutung des diesjährigen Weltpressefotos: „Es ist eine Art Bild, das sich ins Gedächtnis einbrennt und eine Art sensorische Reaktion hervorruft. Ich konnte die Stille in diesem Foto fast hören, einen stillen Moment der globalen Abrechnung mit der Geschichte der Kolonialisierung, nicht nur in Kanada, sondern auf der ganzen Welt.“
Außerdem werden die Waldbrände auf der griechischen Insel Evia 2021 mit einem eindrucksvollen Einzelbild und die Opiumherstellung in Mexiko als kunstvoll bearbeitete Serie im Offenen Format zum Thema. Ein Langzeitprojekt des französischen Fotojournalisten Guillaume Herbaut widmet sich schon seit 2013 der Ukraine und macht bewusst, wie fest die Augen über Jahre vor der lang angekündigten Katastrophe verschlossen wurden.
World Press Photo – jetzt wirklich „Welt“-Pressefoto
Nach Vorwürfen über einseitige anstelle von globaler Repräsentation wurden dieses Jahr längst überfällige Neuerungen für ein diverses Gleichgewicht umgesetzt: Sechs Jurys auf den verschiedenen Erdteilen wählen regionale Gewinnende aus und nominieren sie für den globalen Preis. Neben dem Einzelbild gibt es auch Kategorien für Fotostrecken, Langzeitprojekte und das Offene Format.
Auch das Urteilsverfahren wurde umstrukturiert: Die Jurymitglieder erfahren erst nach der ersten Auswahlphase Informationen über die Fotograf:innen – so kann eine unvoreingenommene Bewertung sichergestellt werden. Außerdem liegt der Fokus jetzt weniger darauf, dass die Fotos spektakulär und sensationell sind: Sie sollen nachhaltig wirken und Perspektiven bieten. Mit diesen Maßnahmen hat der World Press Photo Contest gerade noch die Kurve gekriegt und darf sich nun zurecht als global repräsentativer Wettbewerb bezeichnen.
Auszeichnung für kreative Manipulation
Für manipulierte Arbeiten gibt es jetzt eine eigene Kategorie: das Offene Format. Bearbeitete Fotos können nicht mit ihren unbearbeiteten Artgenossen verglichen werden. Nachdem es in den vergangenen Jahren zu Skandalen wegen gestellter oder zu stark nachbearbeiteter Bilder kam, gibt es mit dem Offenen Format jetzt einen Rahmen, in dem genau das zur Kunst wird.
Bis zum 12. Juni 2022 werden die Werke der regional und global ausgezeichneten Fotojournalist:innen und Dokumentarfotograf:innen im Willy-Brandt-Haus ausgestellt. Der Besuch lohnt sich dreifach: Neben der Ausstellung zum World Press Photo Award, werden dort aktuell auch die Bilder des Felix Schoeller Photo Awards und Arbeiten des Künstlers Peer Boehm gezeigt, der Fotografien als Vorlagen für seine Bilder nutzt.
- Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V. Stresemannstr. 28, Kreuzberg, Di–So 12–20 Uhr, Eintritt frei, Personalausweis erforderlich, bis 12.6, online
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