Im Steglitzer Kreisel organisiert eine Initiative die Zwischennutzung des ehemaligen Globetrotter-Geschäfts. Die Veranstalter des ZiK haben die ehemalige Filiale des Outdoor-Ausstatters in ein temporäres Kulturzentrum verwandelt. Die Initiative liefert ein Konzept, teuren Leerstand zu minimieren und die jeweilige Fläche kulturell zu beleben, wie diesmal als „Kulturspäti, Galerie, Eventspace & Roller Disco“. Der Name „ZiK“ bedeutet sowohl „Zentrum für internationale Künste“ als auch „Zeit ist Knapp“. Die Genehmigung zur Zwischennutzung gilt zunächst bis Juli.
Eine kleine Ausstellung beleuchtet die Wahrnehmung von Zeit im urbanen Raum und reicht von Schmiedekunst bis Ölgemälde. Weitere Exponate werden hinzukommen, trotz baldigen Auslaufens des Zwischennutzungsvertrags: eine Konfrontation mit der Vergänglichkeit im Geisterbau des Berliner Südens.
Bevor die Initiative den Steglitzer Kreisel Anfang diesen Jahres gestaltete, war das ZiK zuletzt am Walther-Schreiber-Platz aktiv gewesen: Dort wurde der ehemalige Primark zur Kulturfläche samt Skatepark und Theaterbühne. Diesen Januar eröffnete das ZiK seine Türen in der alten Globetrotter-Filiale. Ein kurzer Überblick zum Leerstand, dem Konzept der Zwischennutzung und alle Infos zum neuen Standort.
Kunst statt Kayaks: Das wurde aus dem alten Globetrotter in Steglitz
Bis 2020 war das „Globetrotter“-Geschäft im Sockel des Steglitzer Kreisels angesiedelt. Wer den Laden nicht kennt, kann sich das Ganze als eine Art luxuriöser Decathlon vorstellen: In dem überdimensionalen Reiseparadies konnten sich Besucher:innen zwischen Schlafsäcken, Trinkflaschen und Moskitonetzen verirren. Zudem gab es auch einen Ableger des Tropeninstituts, wo vor anstehenden Reisen zur Malaria-Prophylaxe aufgeklärt oder die Gelbfieber-Impfung für den Reisepass erledigt wurde. Ein kluger Marketing-Schachzug, denn wer für die Impfung kam, ging zumeist auch mit einer neuen Taschenlampe, Mütze oder Isomatte. Vielleicht aber auch mit einem Kayak.
Highlight der Filiale im Steglitzer Kreisel waren schließlich die vielen Schlauchboote, Kanus und Kayaks, die in einem Schwimmbecken innerhalb des Ladens probegefahren werden konnten. Aber damit nicht genug: Der Einkaufsladen grenzte an einen (Erwachsenen-)Spielplatz. Es gab Steingruben, in denen Wanderstiefel ausprobiert werden konnten, und Kältekammern zur Überprüfung der Tauglichkeit von Gletscher-Jacken.
Zwischennutzung des Steglitzer Kreisels nach jahrelangem Leerstand
Inzwischen hat Globetrotter den Standort gewechselt: Der Auszug des Erlebnis-Globetrotters aus der ursprünglichen Filiale brachte allerdings jahrelangen Leerstand mit sich. Das Geschäft war im Sockel des Krisen-Projekts Steglitzer Kreisels angesiedelt gewesen, Problemkind der Berliner Immobilienlandschaft. Seit Baustart im Jahre 1968 sorgt das Hochhaus für Unmut. Asbest-Befall, ständiger Wechsel der Eigentümer:innen und Insolvenzen begleiten den Steglitzer Kreisel wie ein absurder Fluch.
Auch der aktuelle Eigentümer Consus Real Estate, Tochterfirma der berüchtigten Adler-Group, konnte bisher wenig Klarheit liefern. Unter dem vorheriger Eigentümer, der CG-Gruppe des Investors Christoph Gröner, wurde das Projekt „ÜBerlin“ begonnen, das ursprünglich zu Ende 2021 über 300 Wohnungen im Kreisel zusicherte.
Doch Baufortschritte bleiben aus und mögliche Einzüge wurden Jahr um Jahr aufgeschoben. Die CG Group wurde inzwischen von der Consus Real Estate AG übernommen, die wiederum an die Adler Group anschließt: Verantwortungsdiffusion pur. Unter den leeren Versprechen leiden nicht nur die versetzten Käufer:innen von nie fertiggestellten Wohnungen, auch Handwerker:innen blieben wohl zwischenzeitlich auf nicht bezahlten Rechnungen sitzen: So berichtete die „WirtschaftsWoche“ 2021 von überfälligen Rechnungen in Hohe von fast 80 Millionen Euro, die laut Sprecher der Adler Group auf Vereinbarungen der übernommenen CG Gruppe zurückgingen. Zu hoffen bleibt, dass alle Rechnungen inzwischen bezahlt sind.
Zwischennutzung des Steglitzer Kreisels: eine Win-Win-Situation
In Anbetracht der Skandale rund um das Immobilienprojekt überrascht es nicht, dass die Eigentümer:innen auch positive Schlagzeilen erzeugen möchten. Und das gelingt recht gut mit der aktuellen Strategie: Die ZiK-Initiative hat eine kurzfristige Genehmigung zur Zwischennutzung erhalten, weswegen für einige Monate ein temporäres Kulturzentrum, „Kulturspäti“ getauft, im Sockel des Gebäudes Einzug erhält.
Die ZiK-Betreiber Moritz Senff und Rebbek Wehner haben den Kreisel als wahrhaftiges Vakuum erkannt und ihre Chance darin. Der Ex-Globetrotter als „Kulturspäti, Galerie, Eventspace & Roller Disco“ wertet das Image auf: Positive Nachrichten hört man vom Steglitzer Kreisel jetzt wohl erstmalig seit Jahren. Und auch die Adler Group war in der Vergangenheit nicht wegen wohltätiger Kulturförderung in den Schlagzeilen.
Moritz Senff erklärt, dass das Projekt tatsächlich durch die Unterstützung durch die Eigentümer:innen erst möglich wird. Diese übernähmen einen Großteil der anfallenden Kosten. Bei Leerstand fallen ohnehin hohe Kosten an, beispielsweise zur Verhinderung von Schimmelbildung – Teil des ZiK-Konzepts ist es, das Gebäude vor dem Zerfall zu bewahren und den Raum in der Zeit sinnvoll zu nutzen. Die ZiK-Initiative entrichtet eine anteilige Pauschalzahlung für die Nebenkosten und finanziert sich über das integrierte Café und den Kulturspätkauf sowie über Spenden und durch Vermietung für Veranstaltungen.
Ausstellung im Steglitzer Kreisel: „Kunst im urbanen Raum“
Das ZiK bespielt den aktuellen Standort seit Januar und veranstaltet eine Reihe von Events, die sich lohnen. Das Programm reicht von Rollschuhdisko über Salsakurse. Anstelle von Karabinern und Kletterausrüstung wie im damaligen Globetrotter hängen nun Kunstwerke an der Wand. Die Ausstellung mit dem Titel „Zeit ist knapp – Kunst im urbanen Raum” dreht sich um die Wahrnehmung von Zeit in Städten. Trotz der bisher recht überschaubaren Anzahl an Exponaten entfalten diese ihre Wirkung – vor allem im Kontext von Räumen, die nur für begrenzte Zeit zur Verfügung stehen.
Aktuell stellen eine Handvoll Künstler:innen ihre Kunstwerke zur Schau, die sich allesamt mit diesem Themenkomplex beschäftigen. Passenderweise musste das Ganze innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt werden in Angesicht der Rahmenbedingungen der Zwischennutzung. Künstler Boris Bewjatkin beispielsweise fertigte seine Ölgemälde binnen 48 Stunden an, pünktlich zur Eröffnung war die Farbe getrocknet. Nicht nur die Zeit, „auch das Geld ist knapp“, erklären die Veranstalter.
Die Kunst stammt von Bekannten und Fremden, namentlich Enno Haar, Boris Bewjatkin, Peschken & Kühn sowie Timo Lucka. Die „Krawallbrüder“ sind von letzterem aus Draht gefertigte Figuren, die auf Demonstrat:innen als zunehmend integralen Teil des Stadtbildes anspielen; ob bei den Maidan-Protesten, jenen in Belarus oder auch hier. Am Boden befinden sich von Peschken & Kühn gefertigte Schmiede-Werke wie realitätsgetreue Europaletten, anderswo ist ein Möbelstück in eine Europalette zurück transformiert. Es gibt nur wenige Exponate, trotzdem eindrucksvoll ist der Besuch an diesem Ort, der in Kürze womöglich nicht wiederzuerkennen sein wird.
Die Ausstellung zum Beispiel weckt Erinnerungen an das Zwischennutzungs-Projekt „The Haus“. In einem ehemaligen Bankgebäude waren damals Künstler:innen zur Gestaltung der Innenräume aufgerufen worden, bevor dieses anschließend samt der entstandenen Kunstwerke abgerissen wurde. Im ZiK dürften die Kunstwerke zum Schluss wohl in Sicherheit gebracht werden, bevor der Steglitzer Kreisel gegebenenfalls in neue Hände übergeben wird. Immerhin.
Die Genehmigung zur Zwischennutzung des ZiK läuft im Juli aus
Ob sie realistische Chancen haben, ihr Projekt noch länger fortzuführen, wissen die Betreiber des ZiK noch nicht. An Ideen und Initiative mangelt es jedenfalls nicht. Wenn potentielle neue Eigentümer den Mehrwert in ihrem Projekt sähen, hätten sie vielleicht längerfristige Perspektiven. Das würde man allerdings – wie auch sonst – erst spontan erfahren.
Der alte Globetrotter ist wieder ein Spielplatz: Das Kulturzentrum auf Zeit
Es ist erfrischend, durch den leergefegten Globetrotter zu gehen – oder zu rollen. Donnerstags findet hier nun die Rollschuhdisko statt, an der alten Kasse des Ladens rollen Kinder und 80-Jährige vorbei, die Stimmung ist ausgelassen. Vor einem Spiegel tanzen zwei Freundinnen, auf Sofas und Sesseln sitzt eine Freundesgruppe mit Cola. Der Ort wird gut angenommen, und das nicht nur von Steglitzer:innen. Beim großen Kiezflohmarkt Anfang April erwartet das ZiK viele Besucher:innen, genauso in der Ausstellung, die im Mai noch mit neuer Kunst gefüllt und erweitert wird.
Und das ist das Erfrischende: Ein wirtschaftliches Konzept, das in sich lohnend ist; ohne dass es um Profit geht. Man merkt den Betreiber:innen an, dass es ihnen Spaß macht. Dass sich die Mühen lohnen, für egal wie lange – und das steckt an. Wie sich auch eine Reise lohnt, ohne dass man direkt Auswandern muss. So ist der Globetrotter-Spirit vielleicht ein bisschen erhalten geblieben.
Während immer mehr Freiräume in der Stadt verschwinden, machen Projekte wie diese Hoffnung. Zumindest zwischendurch.
Falls die Zeit dann Ende Juli doch vorbei sein sollte im Steglitzer Kreisel, hat das ZiK schon eine neue Location ins Auge gefasst – weit weg von der Schloßstraße. Aber noch ist Nichts in trockenen Tüchern. Und vorallem: Noch ist Zeit.
- ZiK (Zeit ist knapp/Zentrum für internationale Künste) Schloßstr. 20, Steglitz, weitere Infos zu Öffnungszeiten und Events hier
Das Steglitzer Hochhaus ist nach wie vor eine Dauer-Baustelle: Die turbulente Geschichte des Steglitzer Kreisels lest ihr hier. Es gab auch schon andere Zwischennutzungen durch die Initiative ZiK. Kulturelle Zwischennutzung wird auch gefördert durch Berliner Firma Culterim. Lust auf mehr Ausstellungen? Alle wichtigen aktuellen Ausstellungen findet ihr hier. Aber „Zeit ist Knapp“ gilt nicht überall: Dauerhaft Kunst gibt es in vielen Museen, Galerien und Ausstellungen. Wenn ihr lieber Musik möchtet, findet ihr hier Konzerte der Woche in Berlin. Heute noch nichts vor? Tagestipps in Berlin.