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Barrie Kosky beendet seine Intendanz an der Komischen Oper mit einer fulminanten jiddischen Revue

Let me entertain you: Nach zehn Jahren seiner sehr erfolgreichen Intendanz schlägt Barrie Kosky mit der auf Jiddisch präsentierten „Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“ den Bogen von Europa nach Amerika und bringt eine Kultur nach Berlin zurück, die bis zu den Nazis auch hier zuhause war.

DIe Barrie Kosky Singers mit Ruth Brauer-Kvam, Alma Sadé, Helene Schneidermann, Katharine Mehrling, Sigalit Feig. Foto: Monika Rittershaus
DIe „Barrie Kosky Singers“ mit Ruth Brauer-Kvam, Alma Sadé, Helene Schneidermann, Katharine Mehrling, Sigalit Feig. Foto: Monika Rittershaus

Barrie Koskys letzte Premiere: Ein rauschendes Fest der jüdischen Unterhaltungskultur

Es ist bezeichnend, dass sich Barrie Kosky nicht mit der Inszenierung einer Oper sondern mit einer Revue von seiner Ära als Intendant der Komischen Oper verabschiedet. Zehn Jahre lang hat der Australier dort mit seinem lebenslustigen Spielplan bewiesen, dass ihn die merkwürdige (nachkriegs-)deutsche Eigenart der Trennung von Kultur in E und U (Ernste bzw. Unterhaltungskultur) nicht schert. Der 55-Jährige zeigte stets wenig Scheu vor Unterhaltungsstoffen und mischte munter Oper, Musical und Operette, ernste und leichtgewichtige Stoffe. Ergebnis: ein meist ausverkauftes Haus, zweimal wurde es von einer Fachjury zum „Opernhaus des Jahres“ gekürt. Jetzt lässt Kosky seinen Vertrag auslaufen. Er sagt: „Ein Theater ist keine Monarchie! Jede Intendanz sollte auf maximal zehn Jahr begrenzt werden.“

Und so wird die letzte Premiere seiner Intendanz zu einem rauschenden Fest der Unterhaltungskultur – aber nicht ohne politischen Hintersinn. Denn Barrie Kosky, selbst Jude, führt mit seiner Nummernrevue in die Catskill Mountains, das waren jüdische Feriensiedlungen in Upstate New York, dem sogenannten Borscht Belt. Die Hotels verfügten über große Veranstaltungsräume, wo ein vielschichtiges Bühnenprogramm gezeigt wurde. In den 1950er und 1960er Jahren galt die Region deshalb als „Las Vegas der Ostküste“. Startpunkt der Karrieren von Komikern wie Jerry Lewis, Woody Allen oder Mel Brooks und Musikern wie Benny Goodman, Barbra Streisand oder den Barry Sisters. Hier lebte die von den Nazis in Europa vernichtete jiddischen Kultur munter weiter.

Kosky bringt aus Europa vertriebene jiddische Kultur aus Amerika nach Berlin zurück

Somit schlägt Kosky in seiner auf Jiddisch präsentierten „Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“ den Bogen von Europa nach Amerika und bringt eine Kultur nach Berlin zurück, die bis zu den Nazis auch hier zuhause war. Freilich muss man sich in Jiddisch, die alte Sprache mittel- und osteuropäischer Juden, erst einhören, doch an der Komischen Oper gibt es ja zum Glück ein Übersetzungsdisplay in den Stuhlreihen. Viele Texte und Lieder handeln von Liebe, Sehnsucht und Schmerz, mitunter geht’s allzu rührselig knapp am Kitsch vorbei, aber es wird doch auch deutlich, was für ein Kulturschatz von den Nazis aus Europa vertrieben wurde. Immerhin, vernichten konnten sie ihn nicht. „Das ist mein Abschiedsgeschenk“, erzählte Kosky im Vorfeld. „Ich möchte sagen: Nazis, ihr habt nicht gewonnen! Diese Kultur lebt weiter.“

Dafür hat er gemeinsam mit seinem musikalischen Leiter Adam Benzwi und dem Choreograf Otto Bichler, sie sind seit langem ein eingespieltes Trio, diese kurzweilige Revue zusammengestellt. Die 22 Nummern und Lieder stammen von heute hierzulande kaum mehr bekannten Autoren wie Abraham Ellstein, Sholom Secunda oder Solomon Shmulowitz und ebenso vergessenen Musicals wie „Vintsh mir mazl tov“ oder „Ik bin farlibt“. Die Stücke stammen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu jiddischen Fortschreibungen in den USA der 60er-Jahre. Darunter Songs, die wir wohl alle kennen, aber gar nicht als jiddisch identifizieren.

Kosky mischt die deutsche Eigenart einer Trennung von E- und U-Kultur gehörig auf

Etwa Herp Alperts Adaption „A Taste of Honey“ zu „A Waste of Money“ oder „Mayn veg“, die jiddische Version des zahllos von Frank Sinatra bis Sex Pistols gecoverten Lieds „My Way“. In Koskys Revue interpretieren die Geschwister Pfister als muntere Ferienfliegerbesatzung den Song, dessen jiddische Version die Barry Sisters bekannt gemacht haben, ein in den USA damals sehr populäres Jazz-Klezmer-Vokalduo und Stammgast in den Hotelrevuen der Catskill Mountains. In der Revue werden die Barry Sisters freilich zu den „Barrie Kosky Singers“, ein Quintett um Katherine Mehring, und bekommen kurz vorm Finale ihren eigenen Medley-Block, der mit dem viel gecoverten Song „Makin’ Whoopee“ endet.

Und jetzt alle: Finale von "Barrie Kosky' All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue". Foto: Monika Rittershaus
Und jetzt alle: Großes Finale von „Barrie Kosky‘ All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“. Foto: Monika Rittershaus

Melancholisch bis zu hemmungslos sentimental wird es mitunter auch. So singt Dagmar Manzel mit „A brivele der mamen“ das Lied einer Mutter, die sich von ihrem ausgewanderten Sohn wünscht, dass er, wenn er schon nicht auf ihre Briefe antworte, zumindest ihren letzten Wunsch erfülle und an ihrem Grab das Kaddisch bete. Manzel lässt in ihrer souverän-kühlen Interpretation aber keine dumpfe Rührseligkeit aufkommen. Ein weiteres Highlight ist schließlich Max Hopp als Berliner Cowboy, der in einer herrlichen Stand-up-Comedynummer zotige Witze reißend daran erinnert, dass auch diese Unterhaltungsform bis heute von jüdischen Künstler:innen wie Jerry Seinfeld und Sarah Silverman stark geprägt ist.

Am Ende gibt es Standing Ovations für Barrie Kosky, der zwar als Intendant geht, aber dem Haus als Regisseur erhalten bleiben wird. Im tobenden Premierenapplaus bittet der australische Wahlberliner die Deutschen, Entertainment nicht mehr als minderwertig zu betrachten. So wie es Shakespeare oder Moliere auch hielten und eigentlich alle Länder dieser Welt – auch Deutschland vor den Nazis. Einen Grund für die deutsche Eigenart nach E und U zu unterscheiden, nannte Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrer leidenschaftlichen Abschiedsrede auf Barrie Kosky zu Beginn der Premiere: „Wir Deutschen müssen uns wohl immer erst der Ernsthaftigkeit versichern, um uns die Unterhaltung zu verdienen.“   

  • Komische Oper Behrenstr. 55-57, Mitte, 12.6., 18 Uhr, 15, 18., 21., 23.+29.6., 2.+6.7.,19.30 Uhr, 26.6.+10.7., 15 Uhr, 12–98, erm. 8 €

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